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Schilfgras statt Atom. Neue Energie für eine friedliche Welt


In seinem neuen Buch macht sich Franz Alt, einem breiten Publikum als Moderator vieler „Report“-Sendungen bekannt, zum Fürsprecher einer sanften Energie-Revolution. Eine neue Politik, basierend auf einer Umweltbewegung quer durch alle weltanschaulichen und parteipolitischen Fronten, soll den Weg aus der vielfach beschriebenen Energiekrise aufzeigen. Als alternative Form der Energiegewinnung favorisiert Alt die Nutzung von Schilfgräsern, wobei er sich auf Forschungsarbeiten des Physikers und Ingenieurs Wolfgang Ständer in München und der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig stützt.

Doch es geht ihm, wie der Untertitel andeutet, um mehr als die Vorstellung eines nachwachsenden Rohstoffes, der aufgrund seiner höheren Sonnenenergieumsetzung entscheidende Vorteile gegenüber den bisher in Deutschland angebauten Energiepflanzen wie Raps und Kartoffeln aufweist. Mit den seit „Global 2000“ und „Die Grenzen des Wachstums“ bekannten Szenarien zeichnet er im ersten Teil des Buches ein Bild vom bevorstehenden Untergang des Planeten Erde. „Es ist bald soweit. Alles deutet darauf hin: Das System, von dem wir leben, die Natur, bricht bald zusammen“ und „Realisten wissen: Viel Zeit haben wir nicht mehr. Über die Klimawende wird in den nächsten 10 Jahren entschieden. Wenn sie nicht gelingt, dann wird uns diesmal auch eine Arche Noah nicht mehr retten können“. Aber: „Die Schöpfung hat mehr Lösungen für unsere Probleme bereit, als wir ahnen.“ Dieser Ausspruch seiner Frau diente Franz Alt als Inspiration für sein Buch.

Der Autor sieht die Lösung nicht in einer risikoreichen Großtechnologie wie der Atomkraft, die nicht schon deshalb umweltfreundlich ist, weil sie kein Kohlendioxid produziert, sondern in der konsequenten Nutzung der Sonnenenergie, der Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen Zufluß und Verbrauch verfügbarer Energie. Anstelle des „technologischen Wegs“ über Sonnenkollektoren und Solarzellen, die bereits eine gewisse Verbreitung gefunden haben, favorisiert er den „biologischen Weg“ über die Photosynthese der Pflanzen: die Umwandlung der Strahlungsenergie in chemische Energie in Form von Kohlenstoffverbindungen.

In dem Teil, der bezeichnenderweise mit „Das Geheimnis der C4-Pflanzen“ überschrieben ist, versäumt Alt es allerdings, den Leser systematischer in die Eigenschaften und Nutzungsmöglichkeiten der C4-Pflanzen einzuführen, zu denen die Schilfgräser gehören, und diese von den in den gemäßigten Breiten eher anzutreffenden C3-Pflanzen zu unterscheiden. Eine Abbildung oder Übersicht hätte Nicht-Botanikern hier das Verständnis erleichtert (vergleiche „Mehr Kohlendioxid – wie reagiert die Pflanzenwelt?“ von Fakhri A. Bazzaz und Eric D. Fajer, Spektrum der Wissenschaft, März 1992, Seite 64).

Für Franz Alt sind die technischen und biologischen Detailfragen von Wissenschaftlern zu beantworten, deren Forschungen zu Ertragspotentialen, Anbauformen und Verarbeitung sowie technischer Aufbereitung der Ernteprodukte noch lange nicht abgeschlossen sind. Ihm geht es vielmehr um energie- und agrarpolitische Notwendigkeiten und Chancen sowie um die Durchsetzbarkeit eines neuen Energiekonzepts. „Die Wirtschaftlichkeit nachwachsender Rohstoffe ist neben ihrer Umweltverträglichkeit das entscheidende Kriterium für ihren langfristigen Erfolg.“ Ohne genaue Berechnungen anzuführen, behauptet Alt, unter Einbeziehung der Umweltkosten werde die Bioenergie so wirtschaftlich, daß mit entsprechenden Anstrengungen bis zum Jahre 2050 die Verwendung fossiler Energien auf ein Viertel reduziert und die Atomkraftwerke abgeschaltet werden könnten. Und dank dieser Aussicht finden sich offenbar Politiker und sogar Teile der Automobilindustrie bereit, Forschungsgelder bereitzustellen; gemessen an den Subventionen für die Kernenergieforschung oder die EG-Agrarproduktion nehmen sie sich allerdings verschwindend gering aus.

Da die durchgreifenden Änderungen, die zu Alts Energiekonzept gehören, auch aufgrund zahlreicher Interessenverstrickungen von Energiewirtschaft und Politik nicht von den „Großen“ zu erwarten sind, appelliert er im letzten Teil an die „Kleinen“, ihr „Verhalten zu ändern und zugleich politisch aktiv zu werden“. Nach den Erfahrungen der Pazifismus- und Antiatombewegung ist für ihn nun die Zeit gekommen, für statt gegen etwas einzustehen, mit „menschlicher Sanftmut“ gewaltfrei und mit der Schöpfung im Sinne der Bergpredigt nach neuen Wegen zu suchen. Das Schilfgraskonzept steht dabei ein für „ein rücksichtsvolles und vorsorgliches, ein sanftes Konzept – intelligent, aber nicht gigantisch; sanftmütig, aber nicht hochmütig. Es vermittelt Lust auf Zukunft“.

Und genau dort setzt auch das Buch an, nicht geschrieben für diejenigen, die nach den harten Fakten über Energiekonzepte suchen, sondern für Menschen, die angesichts der Krisen dieser Welt auf dem Weg sind, Zukunftspessimisten zu werden. Es will Mut machen und gerade junge Menschen dazu anregen, ihr eigenes Leben zu gestalten und die Erde auch für künftige Generationen zu erhalten.

Dieser Absicht hätte Alt aber gerade im letzten Teil eher durch Argumentieren als durch Moralisieren gedient. Denn ein neues Konzept in der Energie- und Umweltpolitik wird auch Neueinsteiger in die Thematik durch seine ökologische und ökonomische Überlegenheit eher überzeugen als durch die moralische Unangreifbarkeit seiner Verfechter.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1993, Seite 119
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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