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Schlagkräftig nur im gemischten Doppel

Beruhigungsmittel wie Valium wirken über sogenannte GABA-Rezeptoren im Gehirn. Die Funktionsweise dieser Membranproteine konnte nun genauer entschlüsselt werden. Damit bestehen Aussichten auf Tranquilizer mit weniger Nebenwirkungen.


Nervenzellen verständigen sich untereinander durch die Ausschüttung von Botenstoffen. Zu diesen Neurotransmittern gehört neben Acetylcholin, Noradrenalin und Glutaminsäure insbesondere die Gamma-Aminobuttersäure (GABA). Sie wurde schon vor knapp 50 Jahren im menschlichen Gehirn entdeckt, wo sie der wichtigste hemmend wirkende Botenstoff ist und von rund einem Drittel der Nervenfaser-Endigungen ausgeschüttet werden kann. Auch medizinisch hat sie große Bedeutung; denn sie vermittelt die Wirkung der weit verbreiteten und wegen ihrer Suchtwirkung umstrittenen Beruhigungsmittel aus der Familie der Benzodiazepine – mit Valium als bekanntestem Vertreter.

Um so mehr erstaunt es, daß der Mechanismus der Signalübertragung durch GA-BA bis heute noch nicht restlos aufgeklärt ist. Immerhin konnte nun ein bedeutender Fortschritt erzielt werden. Er bringt nicht nur das Verständnis der Zellkommunikation ein gutes Stück voran, sondern eröffnet auch vielversprechende Perspektiven für gezielter wirkende Psychopharmaka, von denen etwa Epilepsiepatienten profitieren könnten.

Damit ein Neurotransmitter seine Botschaft überbringen kann, muß er auf der Zielzelle an einen passenden Rezeptor andocken, der die Anweisung entweder selbst in die Tat umsetzt oder sie an andere Moleküle weiterreicht. Was die Verhältnisse beim GABA-Rezeptor so schwierig und unübersichtlich gestaltet ist, daß er in verschiedenen Formen vorkommt, von denen jeweils wiederum zahlreiche Untergruppen existieren. Prinzipiell unterscheidet man einen Typus, der eine relativ einfache Schleuse darstellt und sehr schnell reagiert (GABAA), von einem zweiten, dessen Funktionskaskade sehr viel komplizierter ist und langsamer abläuft (GABAB). (Ein dritter Typus, GABAC, wird von manchen Wissenschaftlern getrennt behandelt, von anderen aber als Variante von GABAA betrachtet.)

Der einfachere Rezeptor vom A-Typ ist im Prinzip eine Schleuse für negativ geladene Chlorid-Ionen. Sie öffnet sich, wenn sich zwei GABA-Moleküle an den Außenbereich des Rezeptors binden, der aus der Zellmembran herausragt. Je nach den vorliegenden Ionenkonzentrationen kann das jedoch völlig gegensätzliche Konsequenzen haben.

Im Normalfall ist die Konzentration an Chlorid-Ionen innen geringer als außen. Die Öffnung des GABAA-Rezeptors bewirkt folglich, daß vermehrt negativ geladene Teilchen in die Zelle strömen und deren sowieso schon negativen Ladungszustand verstärken: Durch diese Hyperpolarisation entfernt sich das Neuron von dem weniger negativen Schwellenwert für die Auslösung eines Nervenimpulses und wird dadurch schwerer erregbar. Das ist der Grund für die hemmende Wirkung von GABA und den beruhigenden Effekt von Valium.

Bei bestimmten Nervenzellen ist allerdings zu Beginn ihrer Entwicklung die Chlorid-Konzentration innen größer als außen. In diesem Falle strömen die negativen Ionen durch den geöffneten Kanal aus, so daß GABA depolarisierend und damit stimulierend wirkt. Erst kürzlich wurde eine spezielle Ionenpumpe entdeckt, die vermutlich dafür sorgt, daß beim Reifen der Neuronen die Chlorid-Konzentration in der Zelle auf ein niedriges Niveau abgesenkt wird (Nature, Bd. 397, S. 251-255).

Auch der GABAB-Rezeptor bewirkt unter anderem die Öffnung eines Membrankanals – allerdings für positive Kalium-Ionen: Sie strömen dadurch aus der Zelle aus und tragen so ebenfalls zur hyperpolarisierenden, "beruhigenden" Wirkung von GABA bei. Das geschieht freilich auf indirektem Wege. Der GABAB-Rezeptor gibt das Signal zunächst an eine der häufigsten zellulären Vermittlungsstationen weiter: ein aus drei Untereinheiten aufgebautes G-Protein. Angehörige dieser Familie von Eiweißstoffen sind an vielen zentralen Körperfunktionen beteiligt (siehe Spektrum der Wissenschaft, September 1992, Seite 54); ohne sie könnten wir weder sehen noch schmecken, und auch die Hormone ließen uns ziemlich kalt.

Der Umweg über die G-Proteine gestaltet die Verhältnisse beim GABAB-Rezeptor recht kompliziert. Diese Signalüberträger kommen nämlich gleichfalls in verschiedenen Typen vor und haben jeweils mehr als eine Wirkung. So sorgt die Gi-Form für die erwähnte Öffnung des Kaliumkanals. Außerdem aber hemmt sie das Enzym Adenylatcyclase und damit die Synthese des zellinternen sekundären Botenstoffs cAMP (cyclisches Adenosinmonophosphat). Die Go-Form dagegen unterdrückt auf Anweisung des GABA-Rezeptors die Öffnung eines Calciumkanals. Es sind diese Mehrfachwirkungen, die Arzneimitteln, welche in neuronale Signalketten eingreifen, oft unerwünschte Nebeneffekte verleihen.

Die nun gemachte Entdeckung bietet eine überraschende Möglichkeit, das Funktionsgewirr im Falle des GABA-Rezeptors teilweise zu entdröseln. Den Ausgangspunkt bildete ein zunächst rätselhafter Befund. Im Jahre 1997 gelang es der Arbeitsgruppe von Bernhard Bettler bei der Baseler Firma Novartis, einen GABAB-Rezeptor gentechnisch zu erzeugen. Beim Funktionstest zeigte er jedoch unerklärliche Defizite: Das rekombinante Protein konnte zwar die Adenylatcyclase hemmen, doch mit der Wirkung auf die Ionenkanäle haperte es.

Eineinhalb Jahre später fanden nicht nur Bettler und seine Mitarbeiter, sondern unabhängig von ihnen drei weitere Teams den Grund: Dem ursprünglich klonierten Rezeptor fehlte die Hälfte. Wie die Forscher aus vier verschiedenen Pharmaunternehmen fast gleichzeitig herausfanden, läuft GABAB – als erster unter den gut 1000 bekannten mit G-Proteinen gekoppelten Rezeptoren – nur im gemischten Doppel zur Hochform auf. Tatsächlich existieren zwei verwandte, aber verschiedene Proteine (GBR1 und GBR2), die ein sogenanntes Heterodimer bilden; erst dieses erfüllt sämtliche Funktionen des B-Rezeptors (Nature, Bd. 396, S. 674, 679 und 683 sowie Science, Bd. 283, S. 74). Bettler hatte zunächst fälschlich den Teil (GBR1) bereits für das Ganze gehalten.

Eines der vier erfolgreichen Teams arbeitet unter Hans-Christian Kornau in der Heidelberger Firma BASF-LYNX Bioscience AG. Es fand die zweite Rezeptorhälfte durch systematisches "Angeln" nach einem Protein, das mit dem von Bettler hergestellten wechselwirkt. Tatsächlich scheinen die Endstücke von GBR1 und GBR2, die auf der Innenseite der Zellmembran ins Cytoplasma ragen, spezifische Bindungen miteinander einzugehen.

Die drei anderen Arbeitsgruppen hatten hingegen vermutet, daß Bettlers Rezeptor nicht der richtige sei, sondern eine fehlerhafte Mutante, die nur noch als Evolutionsmüll im Erbgut mitgeschleppt würde. Sie suchten deshalb nach dem heil gebliebenen Original. Dazu durchmusterten sie systematisch die vorhandenen Gendatenbanken – und stießen alle auf dasselbe Protein: GBR2. Der ersten Euphorie folgte jedoch Enttäuschung: Tests zufolge schien der zweite Rezeptor genauso "fehlerhaft" zu sein wie der erste. Doch dann fiel den Forschern auf, daß in Gewebeschnitten beide Proteine in denselben Zellen vorkamen; und damit dämmerte die Erkenntnis, daß sie vermutlich zusammenwirken.

Nachdem sich nun herausgestellt hat, daß der voll funktionsfähige GABAB-Rezeptor aus zwei leicht verschiedenen Hälften besteht, sollte man auch andere Rezeptorsysteme noch einmal genauer unter die Lupe nehmen: Vielleicht wurde dort ja ebenfalls ein Teil übersehen. Überdies eröffnet die Erkenntnis, daß jedes der beiden Membranproteine für sich allein nur einen Ausschnitt des normalen Funktionsspektrums ausführt, interessante Möglichkeiten für die Medikamentenentwicklung; denkbar wären etwa Psychopharmaka, die die unerwünschte kollektive Aktivierung ganzer Hirnareale bei Epilepsie unterdrücken. Als Ansatzpunkte bieten sich die ins Cytoplasma ragenden Kettenenden an, deren Kontakt für die Öffnung des Kaliumkanals wesentlich ist, für die Hemmung der Adenylatcyclase aber keine Rolle spielt. Die Möglichkeit der Separation von Rezeptorfunktionen wird jedenfalls nicht nur die Grundlagenforschung befruchten, sondern auch den Bemühungen um Heilmittel für neurologische Störungen neuen Auftrieb geben.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1999, Seite 17
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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