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Schwerionenforschung. Beschleuniger, Atomphysik, Kernphysik, Kernchemie, Anwendungen



Das Forschungsgebiet, um das es in diesem Buch geht, definiert sich durch sein Arbeitsgerät: den Schwerionenbeschleuniger. Daß die massereichen Atome, die da beschleunigt werden, ionisiert sind, ist für deren Beschleunigung unumgänglich. Erst wenn sie dadurch auf hohe Energien gebracht sind, können sie als "Projektile zur Veränderung von Atomen, Atomkernen oder auch makroskopischen Strukturen oder als Sonden zur Untersuchung solcher Objekte" (Seite 2) dienen. Die hier dargestellten Forschungsergebnisse wurden im wesentlichen im letzten Jahrzehnt im Schwerionenlabor der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt gewonnen.

Eine Übersicht über die verschiedenen modernen Beschleunigungstechniken steht am Anfang des Buches. Die zentralen Kapitel über Kernphysik und Kernchemie sind eingerahmt durch eine Darstellung der Atomphysik mit Schwerionen und ein Abschlußkapitel über deren Anwendungen wie Mikrostrukturierung von Materialien, Biophysik und Plasmaphysik. Die Wichtung der Arbeitsgebiete ist unterschiedlich, bedingt durch die Aufteilung des Stoffes unter die drei Autoren, die sämtlich in leitender Stellung bei der GSI arbeiten.

Die Schwerionen-Atomphysik erhält in der Darstellung sicherlich nicht das ihr gebührende Gewicht. Hier hätte man eine andere Auswahl treffen können. Dieser Teil des Buches vermittelt auch nicht annähernd die Qualität dieses neuen Forschungsgebietes.

Die Ergebnisse der Kernreaktionsexperimente sind gut ausgewählt und decken exemplarisch einen weiten Energiebereich ab, von der Coulomb-Barriere (der minimalen Energie, die erforderlich ist, um die elektrostatischen Abstoßungskräfte zwischen zwei Atomkernen zu überwinden, so daß eine Kernreaktion überhaupt stattfinden kann) bis zu den Energien, bei denen die Bindungen der drei Quarks, aus denen sich ein Nukleon zusammensetzt, aufbrechen und ein Quark-Gluon-Plasma entsteht. Ein solches nachzuweisen ist allerdings bisher noch nicht gelungen.

Untersuchungen der Kernstruktur mit Schwerionen haben viele Überraschungen erbracht. Da schwere Ionen mit ihren großen Energien auch große Drehimpulse zu übertragen vermögen, kann man beispielsweise mehr über die Zustände von Atomkernen erfahren, die durch extrem schnelle Rotation zigarrenförmig verzerrt ("superdeformiert") sind oder gar durch Zentrifugalkräfte zerreißen. Dieses kurze Kapitel vermittelt nur schwach die Breite dieses lebendigen Arbeitsgebietes.

Die kernchemischen Entdeckungen der letzten Jahre sind in einem Kapitel über Element- und Nuklidsynthesen beschrieben. Die Synthese der drei neuen chemischen Elemente und die Entdeckung der Protonenradioaktivität schwerer Kerne bei der GSI werden kurz und klar dargestellt (vergleiche unseren Artikel "Die schalenstabilisierten schwersten Elemente", Spektrum der Wissenschaft, September 1988, Seite 42). Dies ist das beste Stück des Buches.

Das Schlußkapitel über Anwendungen stellt die Verfahren zur Mikrostrukturierung von Festkörpern und deren Oberflächen anhand interessanter Beispiele vor. Außerdem beschreiben die Autoren die Grundlagen der Wirkung schwerer Ionen auf die Bausteine lebender Organismen und deren mögliche Anwendung in der Krebstherapie. Zum Abschluß wird das Prinzip einer schwerionengezündeten Fusionsmaschine dargestellt, welche die Energieprobleme kommender Generationen lösen könnte.

Das Buch wendet sich an eine naturwissenschaftlich interessierte Leserschaft, an Studenten der unteren Semester, die sich informieren wollen, aber auch an Nichtfachleute. Die Darstellung verzichtet auf Formeln. Eine Vielzahl von Abbildungen, zumeist aus Originalveröffentlichungen, soll dem Leser einen Zugang zu den Quellen geben; dies vermittelt Authentizität, vor allem durch die sorgfältig verfaßten Bildunterschriften. Der Bildteil allein ist bereits eine Dokumentation der Schwerionenforschung der letzten Jahre, die auch die Fachkollegen interessieren könnte.

Dem neugierigen Naturforscher kann der Band als Einführung in die Schwerionenforschung empfohlen werden. Studenten sollte das Buch eine nützliche Orientierungshilfe sein. Für die große Zahl von Wissenschaftlern und Technikern, die zur Schwerionenforschung beigetragen haben, ist es eine willkommene Zusammenfassung des weiten Arbeitsgebietes, das zum Erfolg zu bringen sie mithelfen konnten.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1994, Seite 118
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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