Direkt zum Inhalt
Login erforderlich
Dieser Artikel ist Abonnenten mit Zugriffsrechten für diese Ausgabe frei zugänglich.

Neurobiologie: Sein oder nicht sein

Täglich entstehen in unserem Denkorgan neue Nervenzellen. Doch die meisten davon sterben schon bald wieder ab. Warum? Forscher glauben: Diese Neurone sind für bestimmte Lernvorgänge wichtig - und überleben nur, wenn sie dabei so richtig gefordert werden.
Gehirn
Anfang der 1990er Jahre warteten Neurobiologen mit einer Sensation auf: Das bis dahin geltende Dogma, die Gehirne ausgewachsener Säugetiere könnten grundsätzlich keine neuen Nervenzellen mehr bilden, sei nicht mehr haltbar. Was war geschehen? Die amerikanische Neurowissenschaftlerin Elizabeth Gould an der New Yorker Rockefeller University hatte beobachtet, dass im erwachsenen Rattenhirn frische Neurone entstehen – und zwar im so genannten Hippocampus, der für Lernen und Gedächtnis zuständig ist. Bald darauf folgten entsprechende Berichte über andere Tiere, von Mäusen bis zu Krallenaffen.

1998 wiesen dann Neurobiologen in den USA und Schweden auch bei Menschen eine solche "adulte Neurogenese" im Gehirn nach (siehe Spektrum der Wissenschaft 7/1999, S. 32). Um die Nervenzellneubildung bei Nagetieren zu untersuchen, injizieren Forscher ihnen eine Substanz namens Bromdesoxyuridin (BrdU). Das Molekül markiert die Erbsubstanz sich teilender Zellen, wodurch sich die betreffenden Zellkerne im Mikroskop sichtbar machen lassen. Solche Untersuchungen brachten an den Tag, dass im Hippocampus einer Ratte täglich zwischen 5000 und 10 000 neue Nervenzellen entstehen. Wie viele Neurone sich pro Tag im menschlichen Gehirn neu bilden, ist noch unbekannt, denn BrdU kann Mutationen verursachen und eignet sich daher nicht für Experimente mit gesunden Menschen.

Dieser Nachschub erfolgt nicht automatisch und gleichmäßig, sondern hängt von verschiedenen Umweltfaktoren ab. Alkoholkonsum bremst beispielsweise die Produktion an Neuronen; Sport und andere körperliche Aktivitäten hingegen steigern sie. Ratten und Mäuse, die regelmäßig in einem Laufrad rennen, bilden bis zu doppelt so viele neue Zellen wie ihre Artgenossen, die ein beschaulicheres Leben führen. Sogar der Verzehr von Heidelbeeren scheint einigen Studien zufolge die Erneuerung im Rattenhippocampus zu fördern.

Allerdings: Ein Großteil des Nachwuchses stirbt binnen weniger Wochen ab. Weshalb treibt das Gehirn dann überhaupt den beträchtlichen Aufwand, neue Zellen herzustellen, wenn diese doch so rasch wieder verloren gehen? Unseren Experimenten mit Ratten nach zu schließen entstehen die Zellen einfach für den Fall, dass sie gebraucht werden. Werden die Tiere geistig gefordert...

Kennen Sie schon …

Gehirn&Geist – Völlig verwirrt?

Sind Sie manchmal völlig verwirrt und haben keinen Durchblick? Gut so, Konfusion motiviert, macht produktiv und beschleunigt den Lernprozess. Außerdem: Manche Menschen werden von einem lästigen Pfeifen geplagt. Die Suche nach den Hirnmechanismen, denen Tinnitus entspringt, deckt zugleich mögliche Wege zu seiner Linderung auf. Lachgas hat den Ruf einer relativ ungefährlichen Substanz. Warum entwickeln trotzdem immer mehr Konsumenten gesundheitliche Schäden bei Einnahme der Trenddroge? Lange hielt man den Thalamus für eine simple Zwischenstation auf dem Verarbeitungsweg der Sinnesinformationen. Doch vermutlich wären viele Denkprozesse ohne ihn gar nicht möglich.

Spektrum Kompakt – KI im Einsatz - Gekommen, um zu bleiben

Künstliche Intelligenz beantwortet längst nicht nur Fragen im Chat. Durch stetiges Lernen berechnet sie das Risiko zukünftiger Naturkatastrophen, entschlüsselt tierische Kommunikation und unterstützt die medizinische Diagnostik.

Spektrum - Die Woche – Eine Pipeline quer durch die Artenvielfalt

In einigen der artenreichsten Naturräumen Ostafrikas entsteht eine 1445 km lange Öl-Pipeline. Der daran geknüpfte erhoffte Wohlstand ist ungewiss, der gigantische Umweltschaden jedoch ohne Zweifel. Wie es dazu kam, lesen Sie in der aktuellen »Woche«. Außerdem: die Debatte um KI als öffentliches Gut.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.