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Selbstmord von Zellen als Waffe im Pflanzenschutz


Jährlich fallen Millionen von Tonnen der Weltkartoffelernte Pilzen zum Opfer. Bisher versuchte man, die Pflanzen gegen den Befall resistent zu machen, indem man sie gentechnisch so veränderte, daß sie einen für die Schädlinge toxischen Stoff produzieren – etwa das Enzym Chitinase, welches das Chitin in den Zellwänden der Pilze abbaut. Diese Abwehrmethode hat allerdings den Nachteil, daß sie jeweils nur gegen ein eingeschränktes Sortiment von Schädlingen wirkt.

Günter Strittmatter, ehemaliger Mitarbeiter der Abteilung Biochemie des Max-Planck-Institutes für Züchtungsforschung in Köln und jetzt bei der Firma Plant Genetic Systems in Gent (Belgien) tätig, verfolgt deshalb gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern einen neuen Ansatz. Die Idee dazu lieferte die Beobachtung, daß manche Pflanzen auf den Angriff durch einen Krankheitserreger mit dem sogenannten hypersensitiven Zelltod reagieren. Dabei begehen die befallenen Zellen in einem lokal begrenzten Bereich gewissermaßen Selbstmord und entziehen dem Schädling damit den Boden für seine Ausbreitung.

Diese sogenannte Apoptose ist allerdings kompliziert und nicht genügend aufgeklärt, als daß man sie künstlich als Abwehrwaffe einsetzen könnte. Deshalb versuchte Strittmatter auf einfachere Art einen ähnlichen Effekt zu erzielen. Dazu führten er und seine Mitarbeiter in Kartoffeln ein Gen des Bakteriums Bazillus amyloiquefaciens ein, das für die Bildung des Enzyms Barnase verantwortlich ist – einer Ribonuclease, die RNA-Moleküle abbaut. Ohne diese Moleküle, die den Bauplan für die zum Zellstoffwechsel benötigten Proteine tragen, kann keine Zelle überleben.

Durch einen weiteren Trick erreichte Strittmatter, daß die Barnase nur beim Befall durch einen Schädling produziert wird. Dabei nutzte er den Umstand, daß Kartoffelpflanzen in Zellen, die von einem Krankheitserreger attackiert werden, ein Gen namens gst1 anschalten. Für diese Aktivierung (von der noch nicht geklärt ist, wie sie der Schädlingsabwehr dient) sorgt eine davor gelegene Regulationseinheit. Indem Strittmatter diesen sogenannten Promotor mit dem Barnase-Gen von Bazillus amyloiquefaciens kombinierte, stellte er sicher, daß die Ribonuclease nur genau dann produziert wird, wenn ein Schädling angreift.

Allerdings können Gene auch ohne Stimulus in geringem Maße aktiv sein, und die Barnase ist so wirksam, daß geringste Mengen bereits die Zelle töten. Damit also die Kartoffelpflanzen nicht schon von sich aus Schaden nehmen, übertrug Strittmatter zusätzlich das Gen für einen Gegenspieler des Enzyms, der gleichfalls in Bazillus amyloiquefaciens vorkommt. Dieser wird kontinuierlich in geringer Zahl gebildet und neutralisiert die wenigen spontan produzierten Barnase-Moleküle in der Zelle; dagegen kommt er gegen die großen Mengen des Enzyms, die beim Angriff eines Schädlings entstehen, nicht an.

Bereits letztes Jahr testeten die Wissenschaftler ihre Pflanzen im Gewächshaus gegenüber dem Erreger der Kraut- und Knollenfäule Phytophthora infestans. Dieser Pilz ist einer der schlimmsten Schädlinge in Kartoffelfeldern und war beispielsweise für die große Hungersnot in Irland im vergangenen Jahrhundert verantwortlich. Tatsächlich erwiesen sich die genmanipulierten Pflanzen als deutlich weniger anfällig. Ob sie auch, wie erhofft, gegen andere Pathogene wie Viren und Nematoden (Fadenwürmer) resistent sind muß dagegen erst überprüft werden.

In diesem Jahr sollte nun ein Freisetzungsexperiment in Köln sowohl zeigen, ob das System auch im Freiland funktioniert, als auch Sicherheitsaspekte klären. Allerdings wurde das Versuchsfeld – wie das hierzulande in solchen Fällen fast schon üblich ist – Anfang August von Gentechnikgegnern verwüstet. Es entbehrt nicht einer traurigen Ironie, daß selbsternannte Umweltschützer damit ausgerechnet die Entwicklung einer Methode des Pflanzenschutzes torpedierten, die der Umwelt letztlich zugute käme.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1996, Seite 30
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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