Bildverarbeitung: Sicherheit durch Rundumblick
Video- und Radarsensoren sollen Straßenbegrenzungen erkennen sowie Verkehrszeichen, Fußgänger und andere Automobile. Sie bilden die Basis intelligenter Assistenzsysteme.
Autos sind – bislang – blind, taub und stumm. Doch Forscher in Europa, Japan und den USA entwickeln Kameras, Radargeräte und Informationssysteme, die Fahrzeuge in mobile Sensoren verwandeln. "Die Autos von morgen werden die Aufmerksamkeit des Fahrers auf drohende Gefahren lenken", prophezeit Professor Anton Anthofer von der Fachhochschule Amberg-Weiden. "Mehr noch, sie werden unter bestimmten Umständen – zum Beispiel im Stop-and-go-Verkehr oder bei Fahruntüchtigkeit des Lenkers – das Fahrzeug selbst steuern."
Anthofer arbeitet eng mit Industriepartnern zusammen, um deren Entwicklungsaktivitäten mit dem Forschungsprogramm Invent (Intelligenter Verkehr und nutzergerechte Technik) des Bundesforschungsministeriums zu koordinieren. Teilnehmer bei diesem im Juli 2001 gestarteten, 76 Millionen Euro umfassenden Programm sind viele der größten deutschen Unternehmen. Invent ist in drei Bereiche untergliedert: Fahrerassistenz und aktive Sicherheit, Verkehrsmanagement sowie Transportlogistik.
Einen Arbeitsschwerpunkt bildet der "Stop-and-go-Assistent", der in drei Jahren ein Demonstrationsfahrzeug steuern soll. Denn laut Statistik ist etwa jeder vierte Unfall Folge eines von hinten auffahrenden Fahrzeugs. Das System basiert auf Vorarbeiten aus den 80er und 90er Jahren: Das EU-Projekt Prometheus gipfelte in Fahrzeugen, die – voll gestopft mit Elektronik, mehr als einem Dutzend Kameras und höchstentwickelten Bildverarbeitungssystemen – automatisch mit Tempo 100 über die Autobahn fuhren. In der Stop-and-go-Variante, die jetzt zur Serientauglichkeit geführt werden soll, erfassen zwei Kameras – vermutlich im Gehäuse der Scheinwerfer oder hinter der Windschutzscheibe montiert – bis zu drei Fahrspuren vor dem Auto und blicken bei Geschwindigkeiten unter 50 Kilometern pro Stunde etwa 40 Meter weit voraus. Der Assistent passt das Tempo dynamisch der Situation an. "Selbst wenn andere Fahrzeuge bei starkem Verkehr in die eigene Spur wechseln oder sie verlassen, kann das Auto sofort reagieren. Das reduziert Stress und die Zahl der Auffahrunfälle", erläutert Martin Hummel, Spezialist für Sicherheitselektronik bei Siemens VDO.
Schnelle Algorithmen der Datenkompression erschließen auch Situationen mit wesentlich höheren Fahrgeschwindigkeiten. So haben Wissenschaftler im Forschungszentrum Roke Manor Research (RMR) in der Nähe von Southhampton in Südengland ein Verfahren entwickelt, das wichtige Bildpunkte in aufeinander folgenden Videobildern identifiziert und ihren Abstand über kontinuierliche Triangulationsverfahren extrem schnell ermittelt. Nähert sich ein Fahrzeug von hinten oder von der Seite, berechnet dieses System die Zeit bis zum Aufprall in Echtzeit, denn die gesamte Menge an Bilddaten wird auf nur 400 bis 500 Punkte reduziert.
Darüber hinaus können Kameras auch vor einem unbeabsichtigten Spurwechsel oder dem Abkommen von der Straße warnen, beispielsweise wenn der Fahrer übermüdet ist – Situationen, die etwa 38 Prozent der schweren Unfälle ausmachen. Verschiedene Firmen sind hier tätig. Ihre Algorithmen identifizieren Straßenbegrenzungen im Videobild. DaimlerChrysler hat bereits 600 seiner Lkw mit diesem "Lane Departure Warner" ausgestattet (siehe Bild unten links). Weicht das Fahrzeug zu weit nach links oder rechts von der Fahrbahn ab, ohne dass der Blinker gesetzt ist, ertönt das jedem Fahrer von Autobahnbaustellen bekannte Nagelbandrattern aus einem Lautsprecher.
Offenes System Auto
Derartige Videosysteme können zudem die Verkehrssicherheit in Städten verbessern. DaimlerChryslers "Innenstadtassistent" beispielsweise hilft, den Sicherheitsabstand zum Vordermann einzuhalten und identifiziert darüber hinaus Verkehrszeichen, Ampeln und Fußgänger mit Hilfe verschiedener, parallel arbeitender und lernfähiger Bilderkennungsverfahren. Viele Unfälle, so die Daimler-Forscher, könnten vermieden werden, wenn der Fahrer nur ein Fünftel einer Sekunde früher reagiert hätte. Das aber schaffen nur elektronische Systeme.
Auch in den USA entstehen kamera-basierte Systeme, ebenso in Japan. Dort wird eine Markteinführung noch vor 2010 erwartet, Zuverlässigkeit und Akzeptanz bei den Kunden vorausgesetzt.
Zusätzlich zu Kameras werden die Autos von morgen auch Radareinrichtungen besitzen, die etwa im Stoßfänger montiert sind. Die Ingenieure konzentrieren sich vor allem auf die Frequenz von 24 Gigahertz. "Sie ist ideal für die Messung von Objekten in einer Entfernung von drei bis zwanzig Metern", erklärt Reiner Dörfler, Radarexperte bei Siemens VDO. Solche Sensoren eignen sich für die verschiedensten Anwendungen: für die Regelung des Tempomaten bei Stop-and-go-Verkehr, die Pre-Crash-Sensorik, für die Detektion von Fahrzeugen im toten Winkel des Rückspiegels sowie in Kombination mit Kameras auch für Fußgängererkennung und automatisches Einparken. "Die neuesten Systeme sind so klein, dass sie sogar ins Gehäuse der Außenspiegel passen – was ein geradezu idealer Ort für sie ist", sagt Dörfler.
Sein Entwicklungsteam versucht gerade, die Flut von Daten der verschiedenen Sensoren zu einem optimalen Informationsmix zu verbinden. "Kameras", erläutert er, "können Details exzellent unterscheiden, Radar ist da eher schwach. Doch auf der anderen Seite kann man mit Radar Entfernungen und Differenzgeschwindigkeiten sehr gut messen, und die Geräte arbeiten zudem zuverlässig bei jedem Wetter, trotz Schmutz und wechselnden Lichtbedingungen. Unser Ziel ist eine kostengünstige, hochauflösende 360-Grad-Messung rund ums Auto."
Um die Effizienz beider Systeme zu erhöhen, müssen sie in eine gemeinsame Plattform eingebunden werden, die eine wechselseitige Kommunikation erlaubt und zudem auch leicht aufrüstbar ist. Sie muss außerdem sicherstellen, dass ein neues Gerät mit Hilfe von simplem "Plug and play" ins Gesamtsystem integriert und Software jederzeit aktualisiert werden kann. Beispielsweise würde ein Update der Kamerasteuerung "per Handy vom Server des Herstellers heruntergeladen", sagt Hongjun Pu, Projektmanager des Invent-Verkehrsmanagement-Programms bei Siemens VDO. "Autos der Zukunft müssen offene Systeme sein, denn die größte Herausforderung für uns besteht darin, mit der Innovationsgeschwindigkeit der Telekommunikations- und Computerbranche Schritt zu halten", bestätigt Burkhard Göschel, Vorstand für Entwicklung und Einkauf bei BMW.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 2002, Seite 87
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