Direkt zum Inhalt
Login erforderlich
Dieser Artikel ist Abonnenten mit Zugriffsrechten für diese Ausgabe frei zugänglich.

Editorial: Chomsky-Dämmerung

Er hätte auch die SAP-Arena gefüllt. Im vergangenen Jahr hielt Noam Chomsky einen Vortrag in Heidelberg. Das Deutsch-Amerikanische Institut hatte für den berühmten Linguisten den größten Saal vor Ort, die Stadthalle, gebucht. Doch auch deren mehr als 1000 Sitzplätze waren in Rekordschnelle vergriffen; viele Interessenten kamen nicht mehr zum Zug. Die bessere Option, so der Veranstalter, wäre wohl die riesige Mehrzweckhalle im benachbarten Mannheim gewesen, wo sonst Bundesliga-Eishockey gespielt wird und internationale Rockstars gastieren.

Chomsky, der engagierte Sprachforscher vom Massachusetts Institute of Technology, ist fraglos einer der bekanntesten lebenden Wissenschaftler. Seine nimmermüde Kritik an der amerikanischen Politik und der Globalisierung macht ihn zu einem Publikumsmagneten, aber auch als Wissenschaftler ist er eine Instanz. Als ich Anfang der 1990er Jahre an der RWTH Aachen die Einführungsvorlesung in Linguistik hörte, war sein Modell einer Universalgrammatik deren Gral – und ihr Schöpfer laut dem Arts and Humanities Citation Index der am meisten zitierte Forscher der Gegenwart. Im Kern besagt seine Theorie, dass jeder Mensch schon mit der Fähigkeit geboren wird, unendlich viele grammatisch korrekte Sätze zu bilden, obwohl er selbst nur endlich viele solcher Sätze vernimmt. Ohne diese angeborene Universalgrammatik seien Kleinkinder unfähig, ihre Muttersprache zu erlernen. Und noch steiler formuliert: Die universale Grammatik bildet das biologische Fundament aller Sprachen, die je gesprochen wurden oder jemals gesprochen werden.

Über die Jahrzehnte wurde diese Theorie sowohl weiterentwickelt als auch von verschiedenen Seiten kritisiert. Jetzt aber droht ihr der Garaus durch ein neues, empirisch besser belegtes Modell, die "gebrauchs­basierte Linguistik". In unserer Titelgeschichte ab S. 12 legen der Sprachwissenschaftler Paul Ibbotson von der Open University im englischen Milton Keynes und der Verhaltensforscher Michael Tomasello vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig die Gründe vor für den sich abzeichnenden Paradigmenwechsel bei der Frage, wie Sprache entsteht.

Freuen Sie sich auf einen regelrechten Schlagabtausch mit den Argumenten Chomskys!

Herzlich, Ihr

Carsten Könneker

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.