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Sprühkompaktieren als Alternative zu Guß und Pulvermetallurgie


Vor etwa 25 Jahren kreierten Wissenschaftler der Universität Swansea in Wales das Sprühkompaktieren als ein neuartiges Verfahren zur Urformung von Stahl, das mittlerweile Hüttenwerke in den USA, Großbritannien, Schweden und Deutschland für kleine Produktionsmengen einsetzen. Es stellt eine Alternative zum Gießen der Schmelze in entsprechende Formen dar, denn es vermeidet die insbesondere bei großvolumigen Produkten gefürchtete Bildung grobkristalliner Strukturen wie auch die makroskopische Seigerung, also die Ablagerung von Verunreinigungen an den wachsenden Kristallen oder die Bildung von Gasblasen aufgrund von Entmischungen bei der Erstarrung.

Wie beim Formen aus metallischen Pulvern lassen sich andere Werkstoffe zumischen. Es entstehen Produkte in den beabsichtigten Endabmessungen; auf ein kornverfeinerndes Nachbearbeiten durch Walzen oder Schmieden sowie eine zusätzliche Wärmebehandlung kann man verzichten. Im Unterschied zur Pulvermetallurgie entfällt der hinsichtlich Energie und Planung aufwendige Sinterprozeß. Die sprühkompaktierten Produkte sind in ihrer Festigkeit, Härte und Duktilität den auf anderem Wege erzeugten ebenbürtig; mitunter erreicht man damit eine Gleichmäßigkeit der Eigenschaften des Werkstoffs, wie sie anders nicht zu erzielen wäre.


Grundprinzip

Wie bei der Metallpulver-Erzeugung fließt die Stahlschmelze aus einem höher gelegenen Schmelztiegel in einen beheizten Verteiler, von dem sie durch eine Düse als fingerdicker Strahl in die darunter befindliche Zerstäubungszone einer Gasdüse geleitet wird (Bild 1). Die hochturbulente und schnelle Gasströmung trifft auf das flüssige Metall und zerreißt den Strahl in eine enorme Zahl unterschiedlich großer Tropfen. Deren Strom wird vom Gas weiter nach unten mitgerissen und auf eine geeignete Unterlage (das Substrat) geschleudert.

Im Fluge kühlen die Metalltropfen rasch ab, ein beträchtlicher Anteil von ihnen erstarrt sogar. Das beginnt bei den kleinsten, die eine im Verhältnis zum Volumen relativ große wärmeabstrahlende Oberfläche haben; dickere hingegen erreichen das Substrat in noch flüssigem Zustand, weil sie weniger Wärme auf der kurzen Flugbahn an das kühlere Gas abgeben. All diese Tropfen und Partikel bauen beim Auftreffen einen kompakten, zunächst breiartigen Materialverbund auf, Deposit oder Vorprodukt genannt. Somit beinhaltet das Sprühkompaktieren gewissermaßen nicht nur das traditionelle Gießen, sondern auch das Schmieden, weil die teilweise erstarrten Partikel mit hoher kinetischer Energie aufschlagen und durch nachfolgende noch kompaktiert werden.

Die zerstäubten Tropfen haben etwa 50 bis 500 Mikrometer Durchmesser; von 50 bis 200 Mikrometer rangieren dabei jene, die auf dem Fluge vollständig erstarren. In ihrem winzigen Volumen können sich nur extrem kleine Kristalle ausbilden. Die Menge der noch in Gänze flüssigen Tropfen (größer als 300 Mikrometer) reicht aus, um die Lücken im Deposit auszufüllen. Auch sie erstarren schließlich zu einem sehr kleinkristallinen Gefüge, so daß Feinkörnigkeit für das gesamte Deposit charakteristisch ist.

Auf diese Weise kann man zudem Legierungen herstellen. Wie beim Sintern von Pulvern lassen sich dabei sehr unterschiedliche Metalle mischen. So würde geschmolzener Stahl auf flüssigem Blei aufschwimmen und zuerst erstarren, während beide als Pulver sowohl miteinander verbacken als auch abwechselnd versprüht zu einem homogenen Werkstoff mit neuen Eigenschaften verarbeitet werden können.

Bevor die Paste fest geworden ist, lassen sich Zusatzwerkstoffe gleichmäßig darauf verteilen. Gibt man beispielsweise schon während des Aufwachsens Metallhydride hinzu, entstehen in dem noch weichen Material Gasblasen. Das Metall erstarrt schließlich schaumartig und könnte – wenn Zahl und Größe der Gasblasen ausreichen – wie Kork auf Wasser schwimmen, hat aber nach wie vor die Festigkeit des Stahls. Diese Feinkörnigkeit und Homogenität, das Ausbleiben von Entmischungen von Legierungskomponenten und das Fehlen lokaler Aufkonzentrationen etwa von Verunreinigungen (Seigerungen) zeichnen das neu entstandene Produkt besonders aus. Zunächst schnelles Erstarren mit nachfolgend geregelter langsamer Abkühlung ergibt sehr isotropes Material (Bild 2).


Erprobte Fertigungstechniken

Seit 1986 wird das Verfahren an der Universität Bremen untersucht. Grundlegende Techniken der Zerstäubung haben wir experimentell und in numerischen Simulationen geklärt, außerdem Formen für spezielle Sprühköpfe entwickelt. Unser Interesse gilt nun der Meßtechnik – Größe und Geschwindigkeit der Sprühpartikel sollen während des Prozesses erfaßt werden, um ihn zu optimieren – sowie den Verbund- und Mehrlagenwerkstoffen.

Sowohl Stahl und seine vielseitigen Legierungen als auch Gußeisen, Kupfer, Titan- und Aluminiumwerkstoffe werden inzwischen weltweit sprühkompaktiert und dabei auf besondere Eigenschaften hin getrimmt. Je nach Substratmaterial wächst auf der Unterlage ein baumdicker, langer Bolzen oder eine breite, flache Scheibe. Rotiert man beispielsweise ein dünnwandiges Rohr um seine Achse und zieht es zugleich in Längsrichtung langsam unter dem Sprühkegel durch, wird es so lange beschichtet, bis eine dickwandige Walze oder eine Hohlwelle für den Schiffsantrieb daraus geworden ist. Substrat- und Depositwerkstoff verbinden sich dabei unlösbar miteinander, man erkennt keinen Unterschied.

Substrat und Düse lassen sich zudem relativ zueinander bewegen; man erreicht dadurch eine gleichmäßigere Verteilung auf der Unterlage. Auf diese Weise stellt man zum Beispiel breite und flache Bleche gleichbleibender Dicke mittels ebener, unter den Düsen durchlaufender Bänder her. Läßt man die noch glühenden Vorprodukte zudem eine zweite Düse passieren, die eine andersartige Schmelze versprüht, erhält man ein geschichtetes, mehrlagiges Material, dessen einzelne Komponenten – etwa Normal- und Edelstahl – fest miteinander verschweißt sind.

Es gelingen so Verbundwerkstoffe mit Kombinationen besonderer Eigenschaften, die kein einziges der daran beteiligten Materialien für sich alleine bieten kann. Deren Matrix läßt sich durch eingeblasene Partikel oder aufgesprühte Schichten weiter verändern. Aus dickwandigen, nahtlosen Rohren von mehreren Metern Länge, die man anders nicht herzustellen vermag, lassen sich auf diese Weise zum Beispiel Autoklaven fertigen (also temperatur- und druckbeständige Metallgefäße für chemische Reaktionen oder die Sterilisation etwa medizinischer Geräte): Innen können sie aus einem Katalysatormaterial bestehen, außen aus warmfestem, korrosionsbeständigem Stahl.

Indem man Zusatzwerkstoffe dem Sprühkegel getrennt zudosiert und gleichmäßig über das Vorprodukt verteilt, ergeben sich gegenüber dem klassischen Auflegieren der flüssigen Schmelze mehr Möglichkeiten, eigenschaftsverbessernde Materialien wie Aluminium oder Titannitrid zu verwenden, die auf dem flüssigen Stahl aufschwimmen würden. Gegenüber dem Sintern entsprechender Pulvermischungen hat das Sprühkompaktieren wiederum den Vorteil, daß das Zusammenpressen unter Hitze und hohem Druck, das die Bauteilgröße beschränkt, entfällt.

Das Verfahren erlaubt mannshohe Bolzen herzustellen, aber auch Substrate oder Vorprodukte hauchdünn zu beschichten. Besonders dadurch gerät es in die enge Nachbarschaft zum Flamm-, Lichtbogen- oder Plasmaspritzen, womit sich Überzüge auf dem Stahlbauteil erzielen lassen, die aus reinen Metallen, Legierungen, Hartmetallen, Oxid- oder Nichtoxidkeramiken bestehen und so vor Korrosion, Erosion, Hitzeschäden oder sonstigem Verschleiß schützen.

Schließlich kann man auch chemisch reaktive Gase in den Strom der Zerstäuberdüse einbringen, um Produkteigenschaften zu verbessern: Die Partikel haben im Sprühkegel während ihres Fluges eine insgesamt sehr große Oberfläche, die sich für jeglichen Übergang von Stoff zu Stoff anbietet.


Ergänzung für Mini-Hüttenwerke

Einerseits drängen derart variable Möglichkeiten mit Macht in die Anwendung, andererseits scheut man sich wegen der noch sehr beschränkten Produktionsleistungen von maximal etwa 2000 Jahrestonnen vor dem Aufbau entsprechender Produktionslinien. Eine Chance, sich am Markt zu bewähren, findet das Sprühkompaktieren deshalb vor allem als zusätzliches Verfahren im Umfeld anderer Formgebungs- und Herstellungstechniken.

Unter anderem wird dafür sortenreiner Stahlschrott elektrisch eingeschmolzen. Das paßt zu sogenannten Mini-Stahlwerken, deren Rohstoffbasis ebenfalls das allgemein verfügbare, reichliche Schrottaufkommen ist. Solche Anlagen, die etwa eine Million Jahrestonnen produzieren und sich auf eine schmale Produktpalette spezialisiert haben, gelten als besonders flexibel hinsichtlich veränderter Marktanforderungen. Mini-Stahlwerke arbeiten seit den achtziger Jahren wirtschaftlich; mit dem Sprühkompaktieren könnten sie ihre Produktpalette deutlich arrondieren.

Das vor zweieinhalb Jahrzehnten erdachte Verfahren wird mittlerweile in mehreren Forschungsinstituten und industriellen Entwicklungsabteilungen erprobt. Die Kupfer- und die Aluminium-Industrie setzen es bereits erfolgreich ein, Stahl als Werkstoff mit hohem Innovationspotential wird folgen.

Das Sprühkompaktieren muß nun seinen spezifischen Markt finden beziehungsweise in eingehenden Untersuchungen gegenüber anderen Methoden abgegrenzt werden. An der Universität Bremen wurde deshalb im Oktober 1994 ein Sonderforschungsbereich der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu diesem Thema eingerichtet.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1995, Seite 108
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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