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Stärke und Cellulose für neue Anwendungen


Will man die Rohstoffbasis der Industrie durch natürliche Polymere erweitern, müssen die verfügbaren Pflanzeninhaltsstoffe zuvor isoliert und charakterisiert werden. Dies ist die Grundlage, um die Pflanzenauswahl zu optimieren, gezielt besonders geeignete Sorten zu züchten sowie ein ökonomisches Verarbeitungsverfahren und rezyklierbare Produkte zu entwickeln.

Forschung auf diesem Gebiet hat in Teltow-Seehof, im Süden Berlins, bereits Tradition und wird im heutigen Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung fortgeführt. Wir untersuchen vor allem Stärke und Cellulose mit zwei Zielen: bekannte Produkte und Verfahren zu verbessern und völlig neue Anwendungen zu entwickeln. Beide Stoffe sind Polymere der Glucose, jenes Zuckers, der bei der Photosynthese aus Kohlendioxid und Wasser entsteht und Pflanzen als Baustein für das Wachstum oder als Energielieferant dient.


Folien aus Stärke

Wann immer der pflanzliche Organismus diesen (Trauben-)Zucker nicht benötigt, speichert er ihn in Form von Stärkekörnern in Wurzeln, Knollen, Mark oder Samen. Kartoffeln enthalten 17 bis 19, die verschiedenen Getreidarten 50 bis 70 (Reis sogar bis 80) Prozent Stärke – deshalb sind sie Hauptnahrungsmittel des Menschen.

Die Lebensmittelindustrie verwendet Stärke (Bild 1) in Puddings, Soßen, Kindernährmitteln und Süßwaren; die pharmazeutische Industrie setzt sie als Füllstoff ein, und in der Textilverarbeitung basieren darauf beispielsweise Appreturen. Aus den physikalisch-chemischen Eigenschaften der natürlichen wie der modifizierten Stärke sowie ihrer Verträglichkeit mit anderen natürlichen und synthetischen Polymeren versuchen wir weitere Anwendungsmöglichkeiten abzuleiten.

Stärkekörner sind – je nach Herkunft – unterschiedlich groß und bestehen zu mehr als 97 Prozent aus den beiden Komponenten des Polysaccharids: der Amylose, einem im wesentlichen unverzweigten Polymer aus durchschnittlich 2000 bis 4000 Glucosebausteinen, und dem Amylopektin, einem verzweigten Polysaccharid aus 10000 bis eine Million solcher Zucker-Bausteine. Amylose ist die für die Anwendung als Industrierohstoff interessante strukturbildende Komponente; Amylopektin dagegen verfügt über zu kurze Außenketten und stört darum die Wechselwirkung linearer Polymere. Die Stärken verschiedener Pflanzen unterscheiden sich im Mengenverhältnis und in der Molekülgrößenverteilung der beiden Komponenten.

Der Anteil an Begleitstoffen wie Proteinen, Oligosacchariden, Hemicellulosen, Enzymen, Lipiden und Mineralstoffen ist vergleichsweise gering und hängt sowohl von der Pflanzenart als auch vom Gewinnungsverfahren ab.

Um Stärke als Rohstoff zu nutzen, muß man die Kornstruktur aufbrechen. Bei der Extrusion stärkebasierter Verpackungsfolien beispielsweise sucht man durch Hitze und Druck eine homogene Schmelze zu erzielen. Je weniger Reststrukturen des Korns erhalten bleiben, desto transparenter wird das Produkt, das beim Abkühlen erstarrt, indem die Moleküle ein Netzwerk bilden.

Ein Problem ist der niedrige Wassergehalt bei der Extrusion. Die Stärkepolysaccharide können sich so nur bedingt auf natürliche Weise verknüpfen, es wird ihnen vielmehr eine Struktur aufgezwungen. Eine Lösung ist, das Ausgangsmaterial nach den Anteilen der beiden Komponenten Amylose und Amylopektin sowie nach der Molekülgrößenverteilung zu wählen.

Vermutlich ist das Produkt wie bei synthetischen Polymeren um so besser, je geordneter sich lange Ketten bilden und untereinander verbinden. Deshalb beeinträchtigt das verzweigte Amylopektin die Qualität. Unter seinem Einfluß hängen die mechanischen Eigenschaften einer extrudierten Folie sogar weniger vom Amylosegehalt der verwendeten Stärke als von der Art und Konzentration des Weichmachers ab. Dies fanden wir auch bei Gießfilmen, hergestellt aus wäßrigen Stärkelösungen: Ein Film aus Kartoffelstärke mit 24 Prozent Amylose hatte ebenso eine Zugfestigkeit von 30 bis 40 Newton pro Quadratmillimeter wie ein anderer aus Markerbsenstärke mit 65 Prozent dieser Komponente.

Die Ursache ist, daß Amylopektin, das auch in amylose-reichen Stärken noch bis zu einem Gehalt von 20 bis 40 Prozent vorhanden ist, die übermolekulare Struktur dermaßen stört, daß Variationen in diesen Konzentrationen wirkungslos bleiben. Wir entwickeln deshalb Verfahren, Amylopektin gezielt abzubauen oder enzymatisch zu entzweigen. Im Experiment erhöhte sich die Zugfestigkeit amylopektin-armer Gießfilme auf rund das Doppelte. Wir prüfen nun, ob sich diese Ergebnisse auf andere Verfahrensprinzipien wie die Extrusion übertragen lassen.

Soll Stärke in wäßrigen Medien zum Beispiel als Viskositäts- oder Gelbildner oder als Beschichtungsmittel verwendet werden, sind die Erkenntnisse über die Beziehungen von Struktur und Eigenschaften direkt anwendbar. Außer der molekularen Zusammensetzung der Stärke wird in mehreren Forschungsvorhaben auch untersucht, wie sich durch chemische Veränderung (Derivatisierung) neue Produkte gewinnen lassen. Beispiele sind ionische Stärken für Flockungs- und Entwässerungsmittel, Polyabsorber und Klebstoffe.


Makroporen in Celluloseperlen

Von der intensiven Erforschung des zweiten Glucose-Polymers sind gleichfalls bessere herkömmliche wie auch innovative Produkte und Verfahren zu erwarten.

Cellulose ist das wichtigste Gerüstpolysaccharid der pflanzlichen Zellwand. Jährlich werden von der globalen Flora etwa 100 Milliarden bis 150 Milliarden Tonnen Cellulose erzeugt; sie ist damit die häufigste organische Substanz.

Als Rohstoff ist das Polysaccharid ein wesentlicher Bestandteil von Papier und Pappe. Die Textilindustrie nutzt es als Faserrohstoff (Baumwolle), als Viskose und Zellwolle.

Viskosefasern stellt man heute noch fast genauso her wie vor 100 Jahren, mit den gleichen umweltbelastenden Chemikalien: Zellstoff wird mit Natronlauge vorbehandelt und mit Hilfe von Schwefelkohlenstoff in Cellulose-Xanthogenat (Viskose) umgewandelt. Um aus der hochviskosen Lösung einen Faden zu gewinnen, preßt man sie durch feinste Spinndüsen in ein Fällbad aus natrium- und zinksulfathaltiger Schwefelsäure. Dabei zerfällt das Xanthogenat wieder in Cellulose und Schwefelkohlenwasserstoff; die entstandenen Fäden müssen schließlich in nachfolgenden Bädern säurefrei gewaschen werden.

Wir wollen zum einen den klassischen, als Regeneration der Cellulose bezeichneten Viskoseprozeß umweltfreundlicher machen (Bild 2) und suchen zum anderen alternative Wege zur Auflösung und Verformung der Cellulose. Dazu klären wir die Zusammenhänge zwischen der unterschiedlichen molekularen sowie übermolekularen Struktur ihrer Fasern und ihren physikalischen und textil-physikalischen Eigenschaften bei der Verformung zum Faden. Beispielsweise haben wir die Struktur von Zellstoff mit verschiedenen Methoden charakterisiert und Veränderungen bei einer nachfolgenden chemischen Umsetzung systematisch erfaßt; die physiko-chemischen Eigenschaften des jeweiligen Derivats bestimmen den Anwendungszweck – so erhält man beispielsweise Fasern, Bindemittel oder Pulver.

So ergeben kleinste Tröpfchen der technisch üblichen Viskosespinnlösungen, wenn man sie in einem inerten Medium fein verteilt hat, beim Erstarren poröse Perlen aus Cellulose, die sich mittlerweile als Wundpuder bewährt haben. Über die Zusammensetzung der Lösung läßt sich die Porengröße steuern; selbst Makroporen von 1000 Nanometern (millionstel Millimeter) Durchmesser kann man auf diese Weise erzeugen, hingegen nur 10 bis 100 Nanometer große mit üblichen Lösungen. Derartige Makroporen können selektiv Lipoproteine geringer Dichte aus Blutplasma binden; damit eröffnet sich eine einfache Möglichkeit zur Therapie schwerer Fettstoffwechselstörungen und ihrer Folgen.

Perlförmige Cellulosegele wiederum sind als vielseitig einsetzbare Trenn- und Trägermaterialien vor allem für die Biotechnologie und die Medizin von großem Interesse. Insbesondere eignen sie sich als Trägermatrizen für chromatographische Trenn- und Reinigungsmethoden. Durch Veretherung von Zellstoff gelangt man zur Carboxy-Methylcellulose, deren Anwendungsspektrum von Waschmitteln über Tabletten und Zahnpasten bis zu Batterien und Papier reicht.

An unserem Institut haben wir gezeigt, daß man Cellulosemoleküle in Lösungen gezielt verändern kann, so daß diesem natürlichen Polymer neue Eigenschaften verliehen werden. Insbesondere ist es möglich, funktionelle Gruppen in das Molekül einzubauen. In der Medizin und in der Pharmazie ist der Einsatz derart funktionsmodifizierter Cellulose von großer Bedeutung; beispielsweise vermochten wir Cellulosesulfate zu entwickeln, die ähnliche Effekte haben wie körpereigenes Heparin (das die Blutgerinnung hemmt und sowohl die Auflösung von Gerinnseln als auch die Fettklärung fördert). Sie sind zudem besser blutverträglich als andere Biomaterialien und können auch für die Herstellung perforierter Membranen zur Stofftrennung nach Partikelgrößen eingesetzt werden.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1994, Seite 107
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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