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Angermerkt!: Standards für seriöse Forschung

Die Manipulationsvorwürfe gegen Marc Hauser lassen manche an der generellen Aussagekraft kognitiver Verhaltensforschung an Tieren zweifeln - zu Unrecht! Denn der Spielraum beim Erheben und Auswerten von Daten ist gering.
Die öffentlichen Reaktionen auf den Fall Hauser schüren bei manchen Beobachtern Zweifel, ob die Erforschung kognitiver Leistungen bei Tieren oder gar die Verhaltensbiologie als solche überhaupt eine seriöse Wissenschaft ist. Kann man aus dem Tun und Lassen beispielsweise von Primaten allgemein gültige Schlüsse ziehen – oder sind Forscher, die dies versuchen, doch nur Geschichtenerzähler?

Vor diesem Hintergrund sollten wir uns vor Augen halten, dass Verhaltensbiologen durchaus eine Reihe von methodischen Standards etabliert haben, welche die unabhängige Überprüfung von Beobachtungen durch Dritte ermöglichen. Dank ihrer liegen die Resultate von Tierstudien nicht einfach im Ermessen des jeweiligen Betrachters.

Für Tierbeobachtungen erstellt man zunächst einen Katalog von Verhaltensweisen, die jeweils genau beschrieben sein müssen. So können auch andere Forscher mit denselben Kategorien und Begriffen operieren. Das Verhaltensmuster "Gehen" zum Beispiel ist dadurch gekennzeichnet, dass die Beine abwechselnd in Bewegungsrichtung voreinandergesetzt werden, wobei mindestens ein Fuß auf dem Boden sein muss (sonst handelt es sich um "Laufen").

Ich selbst unterrichte Studierende seit Jahren in speziellen Kursen darin, das Verhalten von Affen exakt zu beschreiben und zu quantifizieren. Erfahrungsgemäß beurteilen unabhängige Personen die Reaktionen der Tiere danach sehr übereinstimmend. Parallele Beobachtungen durch mehrere Auswerter und der Vergleich ihrer Ergebnisse ermöglichen es zudem, diese Übereinstimmung zu quantifizieren. Ist die Kluft zu groß, schließt man die betreffenden Kategorien aus der weiteren Analyse aus.

Bei Experimenten gelten ebenfalls klare Standards. Dazu gehört neben Kontrollbedingungen ohne diejenigen Reize, deren Wirkung beim Tier erforscht wird, vor allem eine Regel: Das Verhalten wird auf Video aufgezeichnet und anschließend "blind" kodiert – also von Auswertern, die nicht über die jeweiligen Versuchsbedingungen Bescheid wissen!

Ein Beispiel: Man spielt einem Affen in einem so genannten Playback-Experiment einen Laut vor und will wissen, wie lange das Tier als Reaktion in die Richtung des Lautsprechers schaut. Der ganze Ablauf wird mitgeschnitten und Randbedingungen wie etwa die Zahl der in der Umgebung befindlichen Artgenossen schriftlich festgehalten. Der Auswerter der Videos weiß nicht, welcher Laut während des Experiments gerade vorgespielt wurde, so dass er das Verhalten weder bewusst noch unbewusst in einer bestimmten Richtung auswählen oder bewerten kann. Nur die bildliche Wiedergabe der Tonspur zeigt an, wann ein Laut ertönte.

Auch hier wird ein zweiter Beobachter eingesetzt, der unabhängig vom ersten kodiert. In manchen Fällen kann eine spezielle Software Verhaltensmuster wie zum Beispiel Gesichtsausdrücke oder Lautäußerungen sogar halb automatisch analysieren. Dabei sind jeweils die Einstellungswerte der Programme anzugeben, damit die Ergebnisse für andere Wissenschaftler überprüfbar sind. Sobald das Material elektronisch verfügbar ist, kann es in Datenbanken abgelegt werden. Verhaltensbiologen sind ebenso wie Vertreter anderer Disziplinen gegenwärtig dabei, ihre Rohdaten allgemein zugänglich zu deponieren, um größtmögliche Transparenz zu gewährleisten.

Kurzum: Wir können die geistigen Fähigkeiten von Tieren durchaus auf objektivierbare Weise testen und die gewonnenen Erkenntnisse reproduzieren. Wenn aber jemand ein Experiment manipulieren will oder Daten erfindet, helfen natürlich auch die besten Standards nichts. Wie in jedem anderen Fach muss man dann darauf vertrauen, dass die Kontrollmechanismen der wissenschaftlichen Gemeinschaft greifen.

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