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"steine im fluß" - eine geologische Ausstellung geht neue Wege


Im Jahre 1995 erhielt eine Arbeitsgruppe im Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart den Auftrag, öffentlichkeitswirksame Projekte zu konzipieren. Dieses aus Graphikern, Pädagogen, Wissenschaftlern und Technikern zusammengesetzte Team durchforstete bei der Suche nach attraktiven Ausstellungsthemen nicht nur die Magazine des Museums; vielmehr suchte es auch nach solchen, die eigentlich für jedermann gewissermaßen auf der Hand liegen, die aber wegen ihrer scheinbaren Banalität kaum beachtet werden.

So wundert es nicht, daß der Ansatz zu dieser geologischen Ausstellung nicht von den Fachwissenschaftlern kam, sondern von einem der Graphiker, den allein Farben und Formen des natürlichen Materials inspirierten. Da offensichtlich viele Menschen von Steinen fasziniert sind und fast jeder die Situation kennt, in der man sich während eines Spaziergangs am Strand oder Flußufer nach schönen, bunten und handschmeichelnden Kieselsteinen bückt, schien das Thema ideal, um eine breite Bevölkerungsschicht anzusprechen. Steine sind nicht nur oft ästhetische Objekte, sondern auch für jedermann leicht zugänglich.

Doch ist ein solches Thema spektakulär genug für eine große Ausstellung? Ein kleiner runder Kiesel beispielsweise scheint ein banaler Gegenstand zu sein. Macht man sich jedoch bewußt, daß er das Produkt aus dem Zusammenwirken zweier globaler Kreisläufe ist, dem des Wassers und dem der Gesteine, so ergeben sich imposante Aus- und Einblicke. So erzeugen zum Beispiel die weltweit jährlich durch Flüsse und Bäche abfließenden Wassermassen von 37000 Kubikkilometern eine Leistung von 10 Milliarden Kilowatt und spülen 54 Milliarden Tonnen Gesteinsschutt und Erde fort. Andererseits werden jährlich insgesamt 44 Milliarden Tonnen neu entstandenes Gestein durch erdinnere Kräfte emporgedrückt. Dies sind gewaltige Zahlen, die uns die Veränderlichkeit der Oberfläche unseres Planeten vor Augen führen. Woher kommen die verschiedenen Steine, wie sind sie entstanden, warum sehen sie so aus?

Seit dem 5. Juni weisen nun vor dem Eingang des Museums am Löwentor in Stuttgart große Felsblöcke auf die Ausstellung hin, in der Steine auf ungefähr 800 Quadratmetern Fläche nicht nur von der geologischen Geschichte Südwestdeutschlands künden, sondern auch vom Lebensraum Stein sowie seiner kulturhistorischen Bedeutung (Bild 1). Eine Flußlandschaft lädt ein zu einer Erlebnisreise über hölzerne Brücken, vorbei an sprechenden Steinen in ein immer enger werdendes Tal, an dessen Ende man eine rauschende Alpenklamm betritt (Bild 2). Überall werden die Besucher ermutigt, selbst Hand anzulegen und den Stein mit allen Sinnen zu begreifen – denn Anfassen ist ausdrücklich erlaubt.

An Landschaftskulissen mit eingebauten Originalgesteinen kann der Besucher Gerölle der Argen, der Wutach und des Neckars aus Wasserwannen herausnehmen und erforschen. Er kann selbst gleichsam Herr des Flusses spielen und in einer großen Trommel kantige Steine zu runden Geröllen schleifen. Ein Computer zählt exakt die Umdrehungen, rechnet diese in Flußkilometer um und führt dem Besucher so vor Augen, wie weit ein Geröll transportiert werden muß, bis es schön rundgeschliffen ist; außerdem gibt er die jeweilige Tagesleistung der Besucher an, und er hat auch die vom Vortag gespeichert. Zwischen Geröllen einer Kiesbank verbreiten Goldflitter ihren Glanz im Verborgenen, und in einer Vitrine berichten Münzen aus Rheingold sowie Goldwäscher-Utensilien von einer alten, heute mancherorts gelegentlich wiederbelebten Tradition. In einer black box können die unterschiedlichen Oberflächen von Steinen ertastet werden, und auf einem Felsen im Fluß enthält ein Expeditionskoffer einige der Tiere, die Steine im Wasser besiedeln. Ein großes Aquarium zeigt den Lebensraum Flußbett, und in einem 50fach vergrößerten Kieslückensystem lernt man dessen Bewohner kennen, indem man Puzzleteile in die entsprechenden Lücken einpaßt.

Nicht nur im Fluß sind Steine in Bewegung, sondern auch in Steinbrüchen und Kiesgruben. Hier kann sich der Besucher per Knopfdruck in einem über acht Meter hohen Flußsediment-Profil gewissermaßen hinuntergraben bis zur Fundstelle des 250000 Jahre alten Steinheimer Urmenschenschädels. Hinter einer Steinbruchwand entpuppt sich eine vermeintliche Höhle bald als Einblick in eine jungsteinzeitliche Feuerstein-Abbaustätte, wo vor Tausenden von Jahren Menschen nach dem damals hochwertigen Rohstoff gegraben haben. Gleich daneben ist zu sehen, wie der Mensch heute den Rohstoff Stein gewinnt; in einem drehbaren Steinbruchmodell können die Besucher selbst diese Abbaustätte verändern, können sie renaturieren oder auch rekultivieren.

Man staunt nicht schlecht, was so alles aus den Tiefen südwestdeutscher Kiesgruben ans Tageslicht kommt: imponierende Knochen und Geweihe von urzeitlichen Tieren, 3000 Jahre alte Waffen, aber auch simple Haushaltsgegenstände aus römischer Zeit. Diese Funde aus der Urzeit und längst vergangenen Menschheitstagen sind in einer acht Meter langen Kiesgrubenwand ausgestellt, und beim eifrigen Durchsieben von Kies findet so mancher Besucher seinen persönlichen Schatz.

Die Ausstellung wendet sich nicht nur an den interessierten erwachsenen Laien, sondern besonders auch an Jugendliche und Kinder, die über das "Begreifen" an naturwissenschaftliche Details herangeführt werden sollen. Auch legt sie Wert darauf, das Thema Stein in seinem geologischen, biologischen und kulturhistorischen Zusammenhang zu würdigen. Dieses Anliegen teilt auch der Industrieverband Steine und Erden Baden-Württemberg, mit dem zusammen die "steine im fluß" realisiert wurden.

Zu sehen ist die Ausstellung noch bis zum 29. März 1998 im Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart, Museum am Löwentor. Geöffnet ist sie dienstags bis freitags von 9 bis 17 Uhr, samstags sowie sonn- und feiertags von 10 bis 18 Uhr; montags geschlossen. Jeden Sonntag um 15 Uhr sowie nach Vereinbarung finden Führungen statt. Informationen über Begleitveranstaltungen wie Vorträge von Vertretern des Naturschutzes und der Industrie über spezielle Themen sowie zum Kinderprogramm sind unter der Telephonnummer 0711/8926270 erhältlich. Der Katalog zur Ausstellung umfaßt 150 Seiten; ebenfalls erschienen sind ein Kinderkatalog und eine Hörspielkassette.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1997, Seite 112
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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