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Forschung aktuell: Sternstunden der Virologie

Er kenne "bislang kein Virus, das Gutes bewirkt", bekannte der Medizinnobelpreisträger Peter Medawar in den 1960er Jahren und legte künftigen Forschergenerationen ans Herz, den Viren und dem, was sie Menschen antun, höchste Beachtung zu schenken. Die drei Wissenschaftler, an die dieses Jahr der Medizinnobelpreis geht, haben Medawars Rat befolgt und durch Beschäftigung mit den "heimlichen Herrschern" Wege aufgezeigt, zwei der derzeit schlimmsten Menschheitsgeißeln – Aids und Krebs – entgegenzutreten. Der deutsche Mediziner Harald zur Hausen wies nach, dass es Viren gibt, die Krebs erzeugen (siehe Interview).

Seine französischen Kollegen Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier entdeckten den Aids-Erreger: das Humane Immunschwächevirus (HIV). Es droht, die größte medizinische Katastrophe der Neuzeit zu verursachen, und übertrifft damit wohl noch Medawars schlimmste Befürchtungen.

Derzeit tragen rund um den Globus rund 32 Millionen Menschen das HIVirus in ihrem Körper; etwa 25 Millionen sind seit Beginn der Pandemie an Aids gestorben. Die ersten dokumentierten Fälle traten in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre etwa gleichzeitig in New York und San Francisco auf; im Lauf des Jahres 1981 zeigte sich, dass es sich um eine tödlich verlaufende Erkrankung handelte, die sich bedenklich unter zuvor gesunden homosexuellen Männern häufte. 1982 setzte sich die Erkenntnis durch, dass es die Menschheit mit einer neuen Krankheit zu tun hat, die durch ein stark geschwächtes Immunsystem und damit verbundene opportunistische Infektionen charakterisiert ist. Sie erhielt den Namen Acquired Immuno Deficiency Syndrome (Aids), auf Deutsch: erworbene Immunschwäche.

Während man in den USA 1981 ungefähr einen Erkrankungsfall pro Woche registrierte, waren es 1982 schon zehn und drei Jahre später rund 200. Die Zahl der Betroffenen schien unaufhaltsam zu wachsen: In fast allen Ländern der Welt diagnostizierten Ärzte Aids-Fälle. Außer männlichen Homosexuellen zählten auch Drogenabhängige oder die Empfänger von Bluttransfusionen zu den am stärksten gefährdeten Gruppen. All dies ließ vermuten, dass sich ein bislang unbekannter Erreger über Genitalflüssigkeiten und Blut ausbreitete. Mehrere Labors begannen daraufhin, Blutproben von Aids- Patienten zu untersuchen, um den Erreger der neuen tödlichen Krankheit zu identifizieren. Dazu zählte auch die Arbeitsgruppe des Virologen Luc Montagnier am Institut Pasteur in Paris.

Dank der kollektiven Fahndung gelang es so schnell wie selten zuvor in der Geschichte der Medizin, den gefährlichen Erreger aufzuspüren. Robert Gallo, Leiter des Tumorvirus-Labors an den National Institutes of Health in Bethesda (Maryland), vermutete zu Recht, dass es sich um ein Retrovirus handle, das sein RNA-Erbgut in der Wirtszelle in DNA umschreiben lässt. Allerdings glaubte er irrtümlich, es gehöre zur Gruppe der Humanen T-Zell-Leukämie- Viren (HTLV), und suchte deshalb in der falschen Richtung ...

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Spektrum der Wissenschaft: Herr Professor zur Hausen, wie geht es Ihnen?

Prof. Dr. Harald zur Hausen: Gut. Sehr gut. Vielleicht ein wenig müde. Spektrum: Hat sich seit vergangener Woche viel für Sie verändert? zur Hausen: Doch, einiges. In jedem Fall ist mein Zeitplan komplett durcheinandergeraten. Ich habe tagelang Interviews gegeben, Telefonate geführt, und ich bin unentwegt gefilmt und fotografiert worden. Ich wünschte mir oft, ich wäre Gerhard Schröder und könnte wie er so schön auf Kommando in die Kameras lächeln. Aber so langsam lerne ich das auch. Im Augenblick stehe ich vor der großen Schwierigkeit, die mir vorliegende Korrespondenz auch nur einigermaßen angemessen zu erledigen. Spektrum: Was hätten Sie getan, wenn der Anruf aus Stockholm nicht gekommen wäre? zur Hausen: Normal weitergearbeitet. Ich habe ja auch im Ruhestand immer noch die Möglichkeit, mich hier im Labor in der Tumorvirologie ein wenig zu betätigen. Zudem beschäftige ich mich intensiv mit dem »International Journal of Cancer«, dessen Chefredakteur ich bin. Daran habe ich auch gesessen, als ich angerufen wurde. Spektrum: Und der Anruf hat Sie überrascht? zur Hausen: Ja, er hat mich wirklich überrascht. Ich habe letztes Jahr damit gerechnet, ein bisschen zumindest, weil ich aus dem Umfeld einige Zeichen bekommen hatte. Als ich am Tag der Bekanntgabe frühmorgens in mein Büro hier im Krebsforschungszentrum fuhr und im Radio hörte, dass heute der Preisträger genannt wird, habe ich schon mit einer gewissen Spannung daran gedacht. Im Lauf des Morgens habe ich es dann jedoch wieder vergessen. Ich weiß auch nicht, irgendwie hatte ich anderes zu tun. Spektrum: Und dann klingelte das Telefon. zur Hausen: Ja, um 10.45 Uhr, als ich hier am Schreibtisch saß. Ich habe den Hörer abgenommen und hörte eine Stimme mit schwedischem Akzent. Man hat mir zum Preis gratuliert und einige Einzelheiten mitgeteilt. Spektrum: Zum Thema »Wie verhalte ich mich, wenn ich den Nobelpreis bekomme «? zur Hausen: Ja. Man bat mich beispielsweise, noch 45 Minuten Stillschweigen zu bewahren, bis die offizielle Bekanntgabe erfolgt sei. Ich muss allerdings gestehen, ich habe das nicht eingehalten und gleich meine Frau angerufen.
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