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Strahltriebwerke


Seit Jahrzehnten träumen Ingenieure von der Entwicklung eines Hyperschallflugzeugs, das mit Hilfe eines speziellen Düsenantriebs mehr als Mach 5 (fünffache Schallgeschwindigkeit) erreicht und in eine Erdumlaufbahn zu fliegen vermag. Angesichts fortgeschrittener Technik und steigender Nachfrage nach effizienteren Raumfähren ziehen die Wissenschaftler solche Systeme nun ernsthaft in Betracht.

Strahltriebwerke bieten gegenüber Raketen mehrere Vorteile. Da sie den Luftsauerstoff nutzen, muß der Flugkörper keinen Oxidator mitführen und wird dadurch leichter, kleiner und billiger. Für dieselbe Schubkraft verbraucht ein Strahltriebwerk nur ein Siebtel des für Raketen nötigen Treibstoffs. Zudem lassen Düsenflugzeuge sich leichter manövrieren, weil die Steuerung auf aerodynamischen Kräften beruht statt auf Raketenschub. Das macht sie sicherer: Wenn ein Start abgebrochen werden muß, gleitet das Flugzeug wieder zur Erde zurück.

Allerdings sind Strahltriebwerke für Raumfahrtzwecke weniger ausgereift als Raketen. Während letztere in den vergangenen 40 Jahren kontinuierlich verbessert wurden, steckt der Hyperschallantrieb noch in den Kinderschuhen.

An sich sind Strahltriebwerke nichts Neues: Einem Treibstoff wird komprimierte Luft zugemischt; das Gemisch verbrennt, expandiert und erzeugt Schub. Doch kommerzielle und militärische Turbojets erreichen höchstens Mach 3 bis 4. Bei höheren Geschwindigkeiten werden Turbine und die Schaufeln, die die Luft komprimieren, durch Überhitzung beschädigt.

Glücklicherweise ist im Hyperschallbereich keine Turbine mehr nötig, und Staustrahlrohre kommen ins Spiel. Solche Ramjets haben einen speziell geformten Lufteintritt, der den Luftstrom verlangsamt und komprimiert. Da sie nur bei hoher Fluggeschwindigkeit funktionieren, werden sie zum Beispiel mit Turbojets kombiniert – so etwa beim französischen Versuchsflugzeug Griffon II, das 1959 mit 1640 Kilometern pro Stunde einen Rekord aufstellte – oder mit Raketentriebwerken für militärische Boden-Luft- und Luft-Boden-Geschosse. Doch Ramjets erreichen höchstens Mach 6: Die Brennkammer wird dann so heiß, daß die Verbrennungsprodukte – hauptsächlich Wasser – sich zersetzen und der Schub nachläßt.

Für noch höhere Geschwindigkeiten kommen sogenannte Scramjets (supersonic-combustion ramjets, Überschallverbrennungsstaustrahltriebwerke) in Frage: Der Luftstrom wird beim Eintritt in die Düse weniger stark komprimiert und bleibt im Überschallbereich. Dadurch steigt seine Temperatur nicht so extrem wie in Ramjets. Nun wird der Treibstoff eingespritzt, und das überschallschnell durch die Düse jagende Gemisch muß innerhalb einer Tausendstelsekunde verbrennen. Theoretisch könnte ein Scramjet bis zu Mach 25 erreichen – mehr als für Erreichen einer Umlaufbahn erforderlich. Doch bei diesen extremen Geschwindigkeiten müssen so starke strukturelle Belastungen einkalkuliert werden, daß die Vorteile von Scramjets gegenüber Raketen kaum noch ins Gewicht fallen.

Als Treibstoff für Hyperschall-Flugzeuge kommen im Prinzip Wasserstoff und Kohlenwasserstoffe in Frage. Flüssiger Wasserstoff – er treibt die US-Raumfähren an – hat den Vorteil, daß er vor der Verbrennung zur Kühlung von Triebwerk und Flugkörper dienen kann. Kohlenwasserstoffe haben geringere Wirkungsgrade und ermöglichen höchstens Mach 8.

Weil Scramjets große Luftmengen auffangen müssen, verschwimmt der Unterschied zwischen Flugkörper und Triebwerk. Der Luftstrom wird vor allem an der Unterseite des Flugkörpers abgelenkt, wodurch sich der Druck erhöht – und zwar so plötzlich, daß eine Stoßwelle entsteht, die sich von der Spitze des Flugkörpers aus fortpflanzt. Die komprimierte Luft zwischen der Unterseite des Flugzeugs und der Stoßwelle wird größtenteils in das Triebwerk gepreßt. Sie erwärmt sich durch Verlangsamung und beim Verbrennen des Treibstoffs. Die Abgase expandieren durch eine innere und eine äußere Düse und liefern Schub. Außerdem erzeugt der hohe Druck unter dem Rumpf Auftrieb.

Um die Reichweite zu vergrößern, haben die Ingenieure Hybridflugzeuge entwickelt, die wahlweise als Ram- oder Scramjets operieren können. Das wird entweder durch eine verstellbare Brennkammer erreicht oder durch zwei unterschiedlich plazierte Gruppen von Einspritzdüsen.

Da weder Ram- noch Scramjets unterhalb von Mach 2 bis 3 richtig funktionieren, wird für den Start ein weiterer Antrieb benötigt, beispielsweise ein Turbojet oder eine Rakete. Sogenannte raketengestützte Kombi-Triebwerke arbeiten mit einer Rakete, die in der Scramjet-Brennkammer angebracht ist; sie liefert Schub für den Start und für den Flug

bis zu Ramjet-Geschwindigkeiten. Auf den Ramjet-Betrieb folgt eine Scramjet-Phase bis zu Mach 10 oder 12, und danach wird zur Schubverstärkung nochmals die Rakete eingesetzt. Oberhalb von Mach 18 arbeitet nur die Rakete, um das Raumfahrzeug in die Umlaufbahn zu bringen und im Weltraum zu steuern. Die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA testet derzeit mehrere Varianten eines solchen Systems.

Doch erst einmal müssen die Scramjets zur Produktionsreife entwickelt werden. Nur mit Supercomputern lassen sich die aerodynamischen und konstruktionstechnischen Probleme einer Startstufe mit eingebautem Scramjet lösen. Außerdem gilt es, besonders leichte und hitzebeständige Werkstoffe zu entwickeln, schnelles und wirksames Mischen und Verbrennen des Treibstoffs zu garantieren sowie Überhitzung zu vermeiden.

In den siebziger Jahren hat die NASA in ihrem Langley-Forschungszentrum das Prinzip der Scramjet-Technik im Windkanal realisiert. In vielen Ländern wurden Bodentests mit Prototypen bei simulierten Geschwindigkeiten bis zu Mach 15 durchgeführt. Bei Flugtests

in Rußland erreichte ein Hybrid-Scramjet im Ramjetbetrieb Mach 6,4.

Zwar ist bis heute noch kein Flugzeug mit Scramjet-Antrieb geflogen, doch dieser Test steht nun kurz bevor. Die NASA baut im Rahmen ihres Hyper-X-Programms am Langley- und am Dryden-Forschungszentrum derzeit den 3,6 Meter langen Prototyp X-43A, der in den nächsten drei Jahren mit Scramjet-Antrieb Mach 7 bis 10 erreichen soll. Wenn alles gutgeht, werden diese Tests den Weg für künftige Scramjets ebnen – und vielleicht auch für ein Hyperschall-Raumflugzeug.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1999, Seite 82
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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