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Strings, Membranen und Dualitäten

Um einen der mathematisch anspruchsvollsten Zweige der theoretischen Physik ging es kürzlich bei der internationalen Tagung „Strings ’99“ in Potsdam. Im Mittelpunkt standen jüngste Fortschritte bei der Suche nach einer vereinheitlichten Theorie der vier Grundkräfte der Natur.


Wie man die einander wesensfremden Theorien der Gravitation – von Albert Einstein in die heute noch gültige Form der allgemeinen Relativitätstheorie gegossen – und der Quantenmechanik unter einen Hut bringt, beschäftigt theoretische Physiker auf der ganzen Welt. Derzeit können sich die Teilchenphysiker zwar bei ihren Beschleuniger-Experimenten noch auf ihr Standardmodell beschränken, das nur die starke, schwache und elektromagnetische Wechselwirkung berücksichtigt, und die minimale Gravitation zwischen ihren Versuchsobjekten außer acht lassen: Würden sich beispielsweise zwei Neutronen allein unter dem Einfluß ihrer eigenen Schwerkraft umeinander bewegen, wäre der Bahnradius hundertmal so groß wie der Durchmesser der Milchstraße.

Doch bei sehr hohen Teilchenenergien weit jenseits der heute in Beschleunigern erreichbaren Werte von einigen 100 Milliarden Elektronenvolt wird – als Folge der durch die spezielle Relativitätstheorie beschriebenen relativistischen Massenzunahme – auch im Bereich der Elementarteilchen die Gravitationskraft wichtig. Desgleichen sollten detaillierte Modelle des Urknalls oder von Schwarzen Löchern nicht allein auf der allgemeinen Relativitätstheorie beruhen, sondern auch die Quanteneffekte berücksichtigen, die bei diesen Phänomenen eine Rolle spielen.

Die Vereinheitlichung von Quantenfeld- und Gravitationstheorie ist das Ziel der sogenannten Stringtheorie, der im Juli dieses Jahres in Potsdam eine große internationale Konferenz mit 380 Teilnehmern gewidmet war. Die bekannten punktförmigen Elementarteilchen (Leptonen und Quarks) ersetzt man darin durch ein eindimensionales Objekt: einen String. Er kann offen (wie ein Faden) oder geschlossen (wie eine Schlaufe) sein und unterschiedliche Werte für den Spin (Eigendrehimpuls) annehmen. Außerdem hat er (wie eine angeregte Violin-Saite) Eigenschwingungen, die man – im Sinne der aus der Quantenmechanik bekannten Welle-Teilchen-Dualität – als Teilchen interpretiert.

Es gibt dabei endlich viele masselose Anregungen, die für kleine Spins dem typischen Teilchenspektrum einer Quantenfeldtheorie entsprechen: den Fermionenfamilien (mit halbzahligem Spin wie beim Neutrino) und den Bosonen (mit ganzzahligem Spin wie beim Photon). Außerdem existieren unendlich viele Anregungen mit sehr großer Masse, die sich jedoch auch in den leistungsfähigsten derzeit existierenden Teilchenbeschleunigern nicht erzeugen lassen.

Bei den masselosen String-Anregungen ist stets auch eine mit dem Spin 2 im Spektrum enthalten, die man mit dem Graviton – dem Austauschteilchen der Gravitation – identifiziert. Auf diese Weise wird die Schwerkraft, die im Standardmodell der Teilchenphysik als einzige der vier fundamentalen Wechselwirkungen ausgeklammert ist, zu einem Bestandteil der Stringtheorie. Da ein String nicht punktförmig ist, sondern eine endliche Ausdehnung von etwa 10-35 Metern – 1020-mal weniger als der Durchmesser eines Protons – hat, entfällt das Problem einer unendlichen Gravitationskraft bei verschwindendem Abstand, das sonst die Formulierung von Quantengravitationstheorien erschwert.

Die Stringtheorie war in ihrer ursprünglichen Form, die sich auf ein Modell des italienischen Physikers Gabriele Veneziano aus den späten sechziger Jahren stützte, zunächst auf Bosonen beschränkt. Aber schon 1971 formulierten John H. Schwarz vom California Institute of Technology in Pasadena und André Neveu von der Universität Montpellier eine "Spinning string"-Variante auch für Fermionen. Sie wurde zum Vorläufer der heutigen supersymmetrischen Versionen, die man auch als Superstring-Theorien bezeichnet.


Supersymmetrie


Die Supersymmetrie ist ein in vielen Zweigen der theoretischen Physik nützliches Konzept. Von Physikern in Rußland, Europa und den USA unabhängig eingeführt, erweitert sie die Raum-Zeit-Symmetrie und setzt dadurch Bosonen und Fermionen miteinander in Beziehung. Im Jahre 1974 beschrieben Julius Wess vom Max-Planck-Institut für Physik in München (damals an der Universität Karlsruhe) und Bruno Zumino von der Universität von Kalifornien in Berkeley (damals am CERN) ein Verfahren, mit dem sich in systematischer Weise globale Supersymmetrie-Theorien aufstellen lassen. In der Teilchenphysik resultiert daraus im wesentlichen eine Verdopplung der Anzahl der aus dem Standardmodell bekannten Teilchen: Zu jedem fundamentalen Fermion (Lepton, Quark) gibt es einen noch zu entdeckenden Spin-0-Partner, und zu jedem bekannten Boson (Photon, Gluon, W-, Z-, Higgs-Boson) einen bisher unbekannten Spin-1/2-Partner.

Wäre die Supersymmetrie exakt erfüllt, müßten die Teilchen und ihre "Super"-Partner die gleiche Masse haben. Das ist offensichtlich nicht der Fall, da man letztere dann längst entdeckt hätte. Demnach muß die Supersymmetrie gebrochen sein. Ob und, wenn ja, bei welchen Energien man supersymmetrische Teilchen findet, ist eine heiß diskutierte Frage. Antworten erhofft man sich von Experimenten am Large Hadron Collider (LHC) am CERN, der 2005 seinen Betrieb aufnehmen und Kollisionen von Protonen mit Energien von 7 Billionen Elektronenvolt ermöglichen wird.

Wegen der Brechung der Supersymmetrie erscheint in der Superstring-Theorie ein Analogon zu einer kosmologischen Konstanten, die als eine Art Anti-Gravitation aufgefaßt werden kann. Albert Einstein hatte sie zunächst eingeführt und dann als "Eselei" wieder verworfen. Seit 1998 gibt es – unter anderem durch Helligkeitsmessungen von Typ-Ia-Supernovae mit dem Hubble-Weltraumteleskop – jedoch deutliche Hinweise darauf, daß diese Konstante einen von Null verschiedenen Wert hat (siehe Spektrum der Wissenschaft, März 1999, S. 40).

Am einfachsten lassen sich konsistente Stringtheorien in zehn Raum-Zeit-Dimensionen formulieren. Von den fünf möglichen Varianten enthält eine neben geschlossenen auch offene Strings. Als weiteres Modell, das allerdings nicht von Strings ausgeht, kommt die sogenannte Supergravitationstheorie hinzu: eine supersymmetrische Quantengravitationstheorie in elf Dimensionen.

Zehndimensionale Raum-Zeit und Dualität



Natürlich hat die uns umgebende Raum-Zeit keine zehn oder elf, sondern nur vier Dimensionen, so daß die zur konsistenten Formulierung der Theorien notwendigen "überzähligen" Dimensionen "aufgerollt" werden müssen – ähnlich, wie man beispielsweise eine zweidimensionale Fläche durch Einrollen und Schrumpfen zu einer eindimensionalen Linie reduzieren kann.

Jede Theorie hat jeweils eine eigene "Kopplungskonstante", die die Wechselwirkung zwischen den Strings bestimmt. Quantenkorrekturen zu Einsteins Gravitationstheorie macht man im Rahmen einer sogenannten Störungsentwicklung in dieser Kopplungskonstanten.

Bei sehr starker Kopplung versagen jedoch solche Störungsrechnungen. Wie die Stringtheoretiker erkannt haben, hilft hier das Prinzip der Dualität weiter: Eine Theorie mit starker Kopplung, die keine Störungsentwicklung erlaubt, ist oft äquivalent zu einer dualen Theorie mit der inversen (und dementsprechend kleinen) Kopplungkonstanten, die sich störungstheoretisch lösen läßt. Im Rahmen der Stringtheorien haben Anfang der neunziger Jahre Dieter Lüst (damals CERN, jetzt an der Humboldt-Universität Berlin) und seine Kollegen dieses Prinzip erstmals eingesetzt. Über duale Beschreibungen ließen sich anschließend in mehreren Fällen auch Stringtheorien mit starker Kopplung quantitativ behandeln.

Außerdem konnte mit Hilfe von Dualitäten zwischen den im Standardmodell eingeführten Quantenfeldtheorien und den Stringtheorien gezeigt werden, daß manche feldtheoretischen Resultate sich im Rahmen von Stringtheorien erklären lassen. Dies war eine der fruchtbarsten Entdeckungen der jüngsten Zeit.

Die gängige Feldtheorie der starken Wechselwirkung ist die Quantenchromodynamik; darin können die Quarks N = 3 unterschiedliche "Farben" haben. Für die Quantenchromodynamik selbst besteht keine Korrespondenz zur Stringtheorie. Aber läßt man den Wert von N gegen unendlich gehen, ergibt sich eine Quantenfeldtheorie, die dual zur Stringtheorie ist.

Eine besondere Rolle spielt dabei der Anti-de-Sitter-Raum, der einer Lösung der Einsteinschen Feldgleichungen mit negativer kosmologischer Konstanten und maximal möglicher Symmetrie entspricht. Der Krümmungsradius dieses Raumes hängt von N ab: großes N entspricht einem großen Radius und damit kleiner Krümmung; geht N gegen unendlich, wird der Raum flach. Da jede Stringtheorie die Gravitation enthält, gilt dies auch für die Theorie im Anti-de-Sitter-Raum. Letztlich ergibt sich eine Äquivalenz zwischen Quantengravitations- und Feldtheorie, die jedoch wegen der niedrigeren Dimension der letzteren äußerst schwierig zu formulieren ist.

Obwohl zwischen den verschiedenen Stringmodellen, deren höhere Dimensionen sich auf jeweils viele unterschiedliche Arten einrollen lassen, mathematisch streng formulierte Äquivalenzen bestehen, ist es unbefriedigend, derart viele Kandidaten für eine Vereinheitlichung der Grundkräfte zu haben. Deshalb wird mittlerweile nach einer fundamentaleren sogenannten "M-Theorie" gesucht, die die bisher bekannten Theorien in verschiedenen Regionen ihres Parameterraumes enthält. Dies ist derzeit eine der Hauptforschungsrichtungen.

In einer solchen Theorie können die elementaren Anregungen allerdings keine Strings sein; man vermutet, daß höherdimensionale Objekte wie Membranen – allgemein spricht man von "Branes" – deren Rolle übernehmen. Nicht zufällig waren denn auch "Branes", die Joseph Polchinski von der Universität von Kalifornien in Santa Barbara 1995 einführte, ein Schlüsselbegriff auf der Potsdamer String-Konferenz, die vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Golm veranstaltet wurde. Stephen Hawking schlug sogar vor, die nächste dieser Tagungen als "Branes 2000" anzukündigen.

Noch konnte keine M-Theorie formuliert werden. Und so weiß auch niemand, ob sie, wie erhofft, eindeutig ist. Wenn dies aber der Fall wäre, dürfte auch das erlahmte Interesse der Teilchenphysiker an den Stringmodellen wieder aufleben. Bisher sind die Arbeiten der Stringtheoretiker eher der Mathematik zugute gekommen, wo sie in verschiedenen Zweigen spektakuläre Entwicklungen auslösten; neuerdings ist etwa der Zusammenhang zwischen Stringtheorien und nichtkommutativer Geometrie von besonderem Interesse.

Weitere Informationen im Internet unter www.aei-potsdam.mpg.de und strings99.aeipotsdam.mpg.de


Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1999, Seite 14
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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