Direkt zum Inhalt

Struktur der Nitrogenase aufgeklärt

Zu den technisch wichtigen Prozessen, welche die Natur besser beherrscht als der Mensch, gehört auch die chemische Bindung von Luftstickstoff. Vom räumlichen Aufbau des dafür zuständigen Enzyms hofft man sich nützliche Kniffe abschauen zu können.


Stickstoff in einer biochemisch verwertbaren Form ist für das Leben auf der Erde ebenso wichtig wie die Sonnenenergie. Mit einem Gehalt von 78 Volumenprozent bildet die Atmosphäre, in der das Element als reaktionsträges zweiatomiges Gas vorliegt, das größte irdische Stickstoff-Reservoir. Um es anzuzapfen, gehen Mensch und Natur unterschiedlich vor.

Die Industrie baut große Kontaktöfen, in denen nach dem Haber-BoschVerfahren bei 500 Grad Celsius und 200 Atmosphären Druck in Gegenwart eines Katalysators (Reaktionsbeschleunigers) aus Stickstoff (N2) und Wasserstoff (H2) Ammoniak (NH3) entsteht, der dann zu Düngemitteln, Salpetersäure und vielen anderen Chemikalien weiterverarbeitet werden kann. Trotz des aufwendigen Verfahrens ist die Ausbeute mit nur etwa 11 Prozent so gering, daß der nicht umgesetzte Anteil der Ausgangsstoffe von dem Produkt getrennt und in den Reaktor zurückgeführt werden muß.

Der Natur fällt die Reduktion des Stickstoffs offenbar leichter. Knöllchen und Cyanobakterien (blaugrüne Algen) benötigen dafür weder Druck noch hohe Temperaturen, allerdings erstaunlich viel Energie und ein kompliziertes Enzym: die Nitrogenase.

Quälend lange rätselte man über den räumlichen Aufbau dieses potenten Enzyms – bis heute die einzige Substanz, die mit Luft-Stickstoff bei Raumtemperatur reagiert. Jetzt endlich konnten von den beiden Proteinen, aus denen es besteht, hochaufgelöste Kristallstrukturen vorgelegt werden (M.M. Georgiadis et al., "Science", Band 257, Nummer 5077, Seiten l 653 bis 1659; Jongsun Kim und Douglas C. Rees, "Nature", Band 360, Nummer 6404, Seiten 553 bis 560). Daran knüpft sich die Hoffnung, genaueren Aufschluß über die Wirkungsweise der Nitrogenase zu erhalten – mit der Aussicht, daraus Anregungen für neue, leistungsfähigere technische Katalysatoren zu gewinnen.

Bisherige Untersuchungen zur Funktion des Enzyms haben ergeben, daß von den beiden Komponenten das Eisen-Protein – das aus zwei identischen Untereinheiten besteht, zwischen denen ein würfelförmiger Eisen-Schwefel-Komplex (Cluster) eingeschlossen ist (Bild 1) – die Elektronen liefert, die für die Reduktion des Stickstoffs in dem zweiten Teil des Nitrogenase-Komplexes, dem Molybdän-Eisen-Protein, erforderlich sind. Dabei verbraucht das Eisen-Protein pro Elektron zwei Moleküle Adenosintriphosphat (ATP); der Grund für diesen unverhältnismäßig hohen Energiebedarf ist bisher unbekannt. Die Wirkungsweise dieses Proteins als Elektronenlieferant läßt sich aber in Analogie zu dem gut erforschten Ferredoxin verstehen, das ebenfalls einen würfelförmigen Eisen-Schwefel-Komplex enthält und in der Atmungskette sowie bei der Photosynthese als Elektronenüberträger fungiert; außerdem versorgt Ferredoxin bei manchen stickstoff-fixierenden Mikroorganismen das Eisen-Protein der Nitrogenase mit Elektronen.

Schwieriger zu verstehen sind die Vorgänge in dem Molybdän-Eisen-Protein, das außer zwei Eisen-Schwefel noch zwei Molybdän-Eisen-Schwefel-Cluster enthält (Bild 2). An diesen findet, wie man weiß, die für die Bildung von Ammoniak entscheidende Übertragung von Elektronen und Wasserstoffionen auf das Stickstoffmolekül statt.

Aus der Röntgenstrukturanalyse des Molybdän-Eisen-Proteins ergibt sich nun immerhin eine Vorstellung von der Gestalt dieses Clusters und seiner Anordnung im Protein; allerdings reicht die Auflösung noch nicht, um die Metallatome zweifelsfrei bestimmten Positionen zuzuordnen (die Proteinstruktur selbst ist insofern einfacher zu ermitteln, als die Sequenz einschließlich des Verknüpfungsmusters vorgegeben ist und in die aus den Röntgenbeugungsmustern erhaltene Karte der Elektronendichte eingepaßt werden kann). Deshalb weiß man auch noch nicht, wo und in welcher Orientierung der Stickstoff gebunden wird, geschweige denn, wie die Umsetzung im einzelnen funktioniert.

Früher sprach man dem Molybdänatom die entscheidende Rolle zu – eine Vorstellung, die inzwischen bezweifelt wird. Wie sich nämlich herausgestellt hat, ist in den Nitrogenasen mancher Organismen das Molybdän durch Vanadium oder sogar durch Eisen ersetzt. In dem Modell, das die Arbeitsgruppe von Douglas C. Rees gleichzeitig mit den Proteinstrukturen vorgeschlagen hat, wird der Stickstoff denn auch nicht an das Molybdän, sondern an zwei Eisen-Atome gebunden ("Science", Band 257, Nummer 5077, Seiten 1677 bis 1681; Bild 2).

Um eine Entscheidung zwischen den widersprüchlichen theoretischen Modellen fällen zu können, müßten Chemiker die Cluster nachbauen und auf ihr Verhalten gegenüber Stickstoff testen. Der Erlanger Anorganiker und Nitrogenase-Forscher Dieter Sellmann warnt allerdings vor allzu hohen Erwartungen an solche Experimente. Nicht ohne Grund braucht der natürliche Cofaktor sozusagen die Infrastruktur eines komplizierten Proteins, um mit Stickstoff reagieren zu können. Die neuen Modellverbindungen würden deswegen als solche wohl kaum bessere Katalysatoren sein als die beim Haber-Bosch-Verfahren eingesetzten Eisenkörner; aber ein genaues Verständnis ihrer Wirkungsweise liefert möglicherweise zumindest Anregungen, wie sich die technische Katalyse der Stickstoff-Reduktion bei milderen Bedingungen und damit weniger energieaufwendig durchführen ließe.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1993, Seite 23
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.