Direkt zum Inhalt

'Sunhopper' - ein Elektrofahrzeug in Leichtbauweise für den Nahbereich

Der Prototyp eines dreirädrigen Zweisitzers mit einer Reichweite bis zu 120 Kilometer ist auf die Nutzung regenerativer Energie zugeschnitten. Aber nicht nur für den Gebrauch, sondern auch für die Herstellung und das Recycling ist er ressourcensparend konzipiert.


Die schädlichen Auswirkungen des Individualverkehrs auf die Umwelt sind allgemein bekannt. Zur Abhilfe bedarf es eines neuen Verkehrskonzepts, bei dem für die jeweils erforderliche Mobilität dasjenige Beförderungsmittel eingesetzt wird, das am wenigsten Energie verbraucht und die Umwelt maximal schont (Spektrum der Wissenschaft, April 1993, Seite 92). Im Umland der Städte und auf dem Land werden bis zur nächsten Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz aber auch nach einer radikalen Umstellung individuelle Automobile gebraucht; diese sollten jedoch so beschaffen sein, daß sie ausschließlich mit regenerativer Energie fahren können.

Ein "Leichtbau-Nahbereichsfahrzeug für regenerative Energie" war denn auch das Ziel eines interdisziplinären Projekts, das die Zentrale Forschungsförderung der Universität Gesamthochschule Kassel initiiert und die Hessische Landesregierung gefördert hat. Dabei galt es, geringes Gewicht, hohe Kollisionssicherheit und lange Nutzungsdauer von tragender Struktur und Fahrwerk bei ausreichender Fahrleistung zu gewährleisten. Zugleich sollten der Verbrauch von Energie und anderen Ressourcen sowie die Umweltbelastung bei der Herstellung, beim Gebrauch und schließlich beim Entsorgen minimiert werden.

Aus diesen Ansprüchen leiteten meine Mitarbeiter und ich im Fachbereich Maschinenbau folgende Anforderungen ab:

– Auslegung auf die durchschnittliche Fahrzeugnutzung durch ein bis zwei Personen,

– Anpassung der Reichweite auf den für Nahverkehr sinnvollen Wert von rund 100 Kilometern,

– geringer Rollwiderstand von Radführung und Bereifung,

– Konstruktion aus wiederverwertbarem Leichtbauwerkstoff mit hoher Energieaufnahme bei Unfällen,

– ausreichende Knautschzone trotz kleiner Fahrzeugabmessungen,

– Kompatibilität zu anderen Fahrzeugen sowie Einhaltung aller gesetzlichen Richtlinien.

Um all dem gerecht zu werden, mußten wir wesentliche Komponenten des Fahrzeugs wie Chassis, Fahrwerk und Sitze sowie die Lenk- und Pedalerieeinheit neu entwickeln. Dabei entschieden wir uns für nur drei Räder, da ein viertes Rad samt Aufhängung und Differential-Getriebe etwa 30 Kilogramm mehr Gewicht bedeutet hätte. Unsere Entwicklungs- und Konstruktionsarbeiten sind inzwischen bis zu einem Prototyp gediehen, dem wir den beziehungsreichen Namen "Sunhopper" gegeben haben.

Die Chassiskonstruktion


Auf der Suche nach einem geeigneten Material für die tragende Struktur testeten wir die typischen Leichtbauwerkstoffe auf Höhe und Gleichförmigkeit der Energieaufnahme im Fall von Zusammenstößen. Die günstigsten Werte ergab die Sandwich-Bauweise aus hexagonalen Aluminium-Waben und Aluminium-Deckschichten. Das daraus gefertigte Chassis wiegt zusammen mit der Dachstruktur aus Aluminium-Rechteckrohren nur 35 Kilogramm.

Umfangreichen Tests zufolge ist das Chassis samt Inserts (den Krafteinleitungsstellen) sehr dauerhaft. Die experimentell ermittelte Festigkeit wurde durch Rechnungen mit der Finite-Elemente-Methode bestätigt; sie ergaben insbesondere, daß das Gehäuse auch bei einem Überschlag nicht zusammengedrückt wird.

Grundsätzlich ist jedes Leichtbaufahrzeug aus physikalischen Gründen gegenüber herkömmlichen Autos beim Unfallschutz benachteiligt. Dies wird beim "Sunhopper" jedoch durch die Energieabsorptionsfähigkeit des Aluminium-Sandwichs und durch spezielle Crash-Absorber im Frontbereich ausgeglichen. Die Kopfbeschleunigung von 20 g (1 g = 9,81 Meter pro Sekunde zum Quadrat ist die Beschleunigung eines frei fallenden Körpers durch die Erdanziehung) bei einem Frontalaufprall mit 35 Kilometern pro Stunde liegt in der gleichen Größenordnung wie bei Mittelklassewagen. Auch Airbag und Gurtstrammer sind vorgesehen.

Die Lenkung erfolgt über die Vorderräder, und das angetriebene Hinterrad wird von einer Schwinge geführt. Um den Rollwiderstand zu verringern, wurde die Doppelquerlenker-Vorderradachse so ausgelegt, daß die Vorderräder beim Einfedern und Lenken in einem möglichst weiten Winkelbereich senkrecht zur Fahrbahn stehen. Dem gleichen Zweck dienen rollwiderstandsoptimierte Reifen. Da die Batterie mit ihrem hohen Gewicht über der Vorderradachse plaziert ist, besteht auch in schnell gefahrenen Kurven keine Kippgefahr.

Um die schweren Strukturen herkömmlicher Autositze einzusparen, integrierten wir den Sitzunterbau und die Rückenlehne fest im Fahrzeug; sie sind so Bestandteile des Chassis und tragen zu dessen Strukturfestigkeit bei. Da sich das Sitzunterteil zwar in der Höhe anpassen, aber nicht verschieben läßt, sind die Lenk- und Pedalerie-Einheiten getrennt verstellbar. Die leichten Sitzschalen sind körpergerecht geformt, und bei der Verbindung zwischen Rückenlehne und Sitzfläche wurde der Drehpunkt so gewählt, daß sich die der Wirbelsäule angepaßte Krümmung der Lehne beim Steilerstellen nach unten bewegt.

Bei der Beleuchtung wurden Energiezufuhr und Ansteuerung getrennt. Während ein zentrales Kupferkabel den Strom liefert, erfolgt die Ansteuerung über ein Lichtwellenleitersystem, bei dem eine Zentraleinheit Impulse an fünf Module sendet, welche die zugehörigen Lampen ein- und ausschalten. Dadurch spart man 42 Meter Kupferkabel, was das Fahrzeug nicht nur leichter macht, sondern auch einen wertvollen Rohstoff schonen hilft. Da dieses System in zwei Richtungen arbeitet, kann es außerdem den Ausfall einer Lampe im Cockpit anzeigen.

Das Antriebskonzept


Die Fahrbatterie aus Nickel-Cadmium-Zellen speichert 6 Kilowattstunden Strom und liefert eine Spannung von 120 Volt. Sie ist wartungsfrei und gasdicht, und der Hersteller garantiert die Rücknahme und ein vollständiges Recycling erschöpfter Batterien. Der auf den ersten Blick horrend erscheinende Anschaffungspreis von etwa 32|||000 Mark wird dadurch relativiert, daß die Batterie für 300|||000 bis 400|||000 Kilometer Fahrleistung tauglich ist, also auch in mehreren Fahrzeuggenerationen eingesetzt werden kann (obwohl der "Sunhopper" insgesamt ebenso lange durchhalten sollte). Daraus ergeben sich Batterieerneuerungskosten von 8 bis 11 Pfennig je Kilometer – gegenüber 10 bis 14 Pfennigen bei Bleibatterien. Batterie-Leasing könnte die finanzielle Belastung in erträglichen Grenzen halten.

Über ein wartungsfreies, nicht schaltbares Zahnriemengetriebe mit nur einer Übersetzungsstufe treibt ein Drehstrom-Asynchronmotor das Hinterrad an. Beim Gefällefahren und Bremsen wird die Bremsenergie in die Batterie zurückgespeist.

Seine Energie bezieht der "Sunhopper" beispielsweise aus Solarzellen, die auf dem Haus- oder Garagendach installiert sind. Fehlt eine geeignete Fläche, können auch Anteilsscheine von Wind- oder Wasserkraftanlagen erworben werden, deren Strom ins öffentliche Netz gespeist wird und an jeder Steckdose entnommen werden kann. Die benötigte Solarfläche von vier Quadratmetern mitzuführen wäre nicht sinnvoll, da sie eine zusätzliche Unfallgefahr bergen würde und bei teilweiser Abschattung beschädigt werden könnte. Wohl aber sind Solarzellen mit einer Gesamtfläche von etwa einem halben Quadratmeter auf dem "Sunhopper" selbst angebracht, die bei einer Leistung von 50 Watt die separate Bordbatterie speisen; diese versorgt die Beleuchtungseinrichtungen und die Fahrzeugelektrik mit Strom.

Der Prototyp


Der "Sunhopper" wiegt 400 Kilogramm (davon sind allein 150 Kilogramm Batteriegewicht), fahrt maximal 80 Kilometer pro Stunde und verbraucht bei Stadtfahrten im Mittel 50 Wattstunden pro Kilometer – ein Sechstel des Wertes eines Mittelklassewagens. Rechnet man die Energie für die elektrische Heizung hinzu, müssen 75 Wattstunden pro Kilometer eingespeist werden. Mit einer Batterieladung fährt das Auto bei einer gleichbleibenden Geschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde 120, bei Maximalgeschwindigkeit 50 Kilomete,r weit. Die Fahrbatterie läßt sich mit dem Bordladegerät in drei Stunden und mit einer Schnelladeeinrichtung in einer Stunde wieder aufladen.

Für die Herstellung eines solchen Zweisitzers werden trotz des hohen Anteils von Aluminium, dessen Verhüttung sehr energieaufwendig ist, nur 10 Gigajoule Energie benötigt gegenüber 23 Gigajoule bei einem Mittelklassewagen. Eine Vollkostenkalkulation ergibt bei einer fünfjährigen Nutzungsdauer und ei

ner angenommenen jährlichen Fahrleistung von 15 000 Kilometern Gesamtkosten von 60,7 Pfennig je Kilometer, wobei als Kaufpreis 50000 Mark und für die Energie aus erneuerbaren Quellen ein Preis von einer Mark pro Kilowattstunde oder 7,5 Pfennig je Kilometer angesetzt wurde. Dies liegt unter den entsprechenden Kosten von 61,7 Pfennig für einen Mittelklassewagen. Dabei kann der "Sunhopper" etwa 80 Prozent der Mobilitätsbedürfnisse erfüllen, die heute mit einem herkömmlichen Auto befriedigt werden.

Der Prototyp hat im September letzten Jahres erfolgreich an dem Solar-Cup Kassel–Berlin teilgenommen und wurde im Dezember von der Stiftung zur Förderung der Innovation in Wissenschaft und Forschung in Düsseldorf mit einem Preis ausgezeichnet. Für die Weiterführung des Projektes suchen wir nun Sponsoren.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1993, Seite 22
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Kennen Sie schon …

Spektrum Kompakt – Kunststoffe - Vielseitig verwendbar, vielfach gefährlich

So groß der Nutzen auch ist, wiegt er bei Kunststoffen die Kosten nicht auf: Plastikmüll belastet sowohl die Natur als auch den Menschen. Lösungen zur Reduktion der Verschmutzung sind gefragt. Während an Enzymen zum Abbau von Kunststoffen geforscht wird, trägt ein Wurm sie scheinbar bereits im Darm.

Spektrum - Die Woche – Strom speichern mit Eisen, Natrium und Schwerkraft

Diesmal werfen wir einen Blick in die Zukunft: auf die Speicherung von Strom. Welche Technik kommt als Lösung für dieses Schlüsselproblem der Energiewende in Frage? Und wir werfen einen Blick zurückWas haben wir gelernt aus gut zwei Jahren Pandemie? Wir haben sechs Fachleute um Einschätzung gebeten.

Spektrum - Die Woche – Im Jahr der Jahrhundertdürre

Mächtige Flüsse werden zu Rinnsalen, allerorts verdorrt das Grün: In Mitteleuropa gab es dieses Jahr erneut zu viel Sonne und viel zu wenig Regen. Kein Wunder also, dass die Zahl der Klimageräte in Privathaushalten steigt. Doch das droht den Klimawandel weiter anzuheizen.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.