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Täuschender Bettelruf


Der Kuckuck läßt bekanntlich seinen Nachwuchs von artfremden Vögeln ausbrüten und aufziehen. Den ersten Beitrag zum erfolgreichen Betrug leistet dabei das Weibchen, indem es Eier legt, die in Größe und Färbung denen der parasitierten Art gleichen. Deshalb merken die unfreiwilligen Adoptiveltern zunächst nichts von der Täuschung.
Sobald der junge Kuckuck jedoch geschlüpft ist, zeigt er keinerlei Ähnlichkeit mit den Küken des Brutpaars mehr, die er unverzüglich aus dem Nest wirft, falls er nicht schon die Eier beseitigt hat. Er gleicht ihnen weder im Gefieder noch in der Kopf- oder Körperform – und schon gar nicht in der Rachenzeichnung, die bei vielen Vögeln ein artspezifisches Stimulans zum Füttern ist und die deshalb beispielsweise von afrikanischen Brutparasiten aus einer anderen Vogelgruppe nachgeahmt wird.
Wie aber bringt der untergeschmuggelte Fremdling im Nest die viel kleineren Zieheltern trotzdem dazu, ihn nach Kräften mit Raupen, Käfern und allerlei anderen Kerbtieren zu versorgen und soviel Futter für ihn heranzuschaffen, wie sonst vier eigene Junge vertilgen würden? Bisher sah man das Stimulans in der überragenden Größe des Nimmersatts.
Um dies zu prüfen tauschten Nicholas B. Davies, Rebecca M. Kilner und David G. Noble von der Universität Cambridge (England) junge Kuckucke in Nestern von Teichrohrsängern gegen etwa genauso große Amselküken aus. Diese vermochten das Pflegeelternpaar jedoch keineswegs zu den gleichen Höchstleistungen bei der Nahrungsbeschaffung anzuspornen.
Worin bestand also das Erfolgsgeheimnis der Kuckucksjungen? Wenn es nicht die Größe war, konnte es eigentlich nur noch das Geschrei sein. Folglich spielten die Wissenschaftler Tonbandaufnahmen vom Gezeter eines hungrigen jungen Kuckucks ab; daraufhin steigerten die Brutvögel ihre Anstrengungen zur Versorgung des Amselkükens beträchtlich ("Proceedings of the Royal Society of London", Serie B, Band 265, Seite 673, 1998).
Tatsächlich klingt dieser Bettelruf zwar überhaupt nicht wie das Gepiepse eines einzelnen jungen Teichrohrsängers, wohl aber wie das Spektakel in einem vollen Nest. Es handelt sich um ein fortgesetztes, sehr rasches, hohes Gezirpe, das sich ungefähr wie "si si si si ..." anhört. Auf sonographischen Aufzeichnungen, also in der bildlichen Umsetzung des akustischen Ablaufs, ist die Ähnlichkeit verblüffend.
Mit diesem penetranten imitierten Bettelruf vermag der Parasit offenbar erfolgreich von seinem unpassenden äußeren Erscheinungsbild abzulenken. Selbst als Davies und seine Mitarbeiter zwei Nester von Teichrohrsängern dicht nebeneinander anbrachten, wobei in einem ein Kuckuck aufwuchs, im anderen Junge der Vogeleltern, wurden beide Parteien ohne Unterschied gefüttert.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1998, Seite 20
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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