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What Scientists Learned in the Twentieth Century: The Age of Science

Basic Books, New York 2001. 460 Seiten, $ 40,–


Mehr als jedes andere war das jüngst vergangene 20. Jahrhundert von naturwissenschaftlichen Umbrüchen geprägt; und der US-Amerikaner Gerard Piel ist besonders berufen, da­von zu erzählen. Sein Bildungsweg begann mit einem Geschichtsstudium in Harvard, für Mathematik und Naturwissenschaften hatte er anfangs ziemlich wenig Interesse. Das änderte sich aber, als er im Zweiten Weltkrieg Wissenschaftsredakteur der Illustrierten »Life« wurde. Auf einmal erkannte er, dass ein Magazin fehlte, das Wissenschaftler sachkundig über Nachbargebiete informierte und der breiten Öffentlichkeit einen Gesamteindruck von wissenschaftlicher Arbeit vermittelte.

Darum gründete Gerard Piel 1948 die Zeitschrift »Scientific American«, indem er einen über hundert Jahre alten Titel kaufte und mit neuen Inhalten wiederbelebte. Bis dahin hatte der alte »Scientific American« handfest und optimistisch über technische Apparate und Erfindungen berichtet, die versprachen, den Menschen das Leben zu erleichtern. Die neue Zeitschrift prägte Piel als Chefredakteur bis 1986; das Renommee der Zeitschrift, ihre internationale Verbreitung – seit 1978 gibt es die deutschsprachige Ausgabe unter dem Titel »Spektrum der Wissenschaft« – und ihre Grundhaltung sind Piels Verdienst. Seine im besten Sinne amerikanische Grundhaltung ist aufklärerisch und demokratisch. Wissen wird nicht – wie im alten Europa nur zu oft – als exklusiver Besitz behandelt, als »Wissensschatz«, der den Inhaber auszeichnet und über die ignoranten Laien erhebt. Vielmehr gilt: Wer etwas weiß, muss es mitteilen können, sonst ist es nichts wert; was nicht zu verstehen ist, ist auch nicht zu gebrauchen.

Darum war es für Piels »Wissenschaftlichen Amerikaner« nie eine Frage, ob Wissenschaftler die Pflicht hätten, sich der Öffentlichkeit mitzuteilen, oder ob sie eine Verantwortung für die gesellschaftlichen Folgen ihres Tuns trügen. Praktisch jeder Artikel im »Scientific American« bejaht diese Fragen von selbst.

In seiner Rückschau auf das 20. Jahrhundert als »Age of Science« zieht Piel nun zwischen zwei Buchdeckeln die Bilanz all dessen, was er in seinem Leben als Wissenschaftsredakteur gelernt hat. Sein Überblick ist konkurrenzlos, seine Darstellungsweise historisch-erzählend oder, da die beschriebene Zeit nicht allzu fern liegt, im besten Sinne journalistisch. Piels Bericht schildert detailbesessen und souverän, wie Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie, Plancks Quan­tenphysik, Mendels Vererbungsgesetze und Darwins Evolutionstheorie entstanden und was wir seither über das Universum und uns selbst gelernt haben. Eine bessere Darstellungsweise für interdisziplinär interessierte Fachleute und wissbegierige Laien ist kaum vorstellbar: Mit Piel erleben wir moderne Wissenschaft erneut als menschliche Arbeit.

Allerdings ist die Darstellung nicht immer makellos, denn Piel hat eine eher unglückliche Liebe zu Zahlenbeispielen. Erstens überschätzt er deren Nutzen zur Veranschaulichung mikro- oder makro­skopischer Zusammenhänge, und zweitens verrechnet er sich gelegentlich. So übersetzt er die Vernichtungsenergie der ersten Atombomben irrtümlich in die Beschleunigung des Fünffachen der gesamten US-Bevölkerung auf 10 Kilometer pro Sekunde. Auch bei seiner Darstellung des Planck’schen Wirkungsquantums bringt er Wirkung und Energie durcheinander.

Das Buch ist mit kolorierten Federzeichnungen reich illustriert. Sie geben dem auch sonst schön gestalteten Buch einen bibliophilen Touch, freilich um den Preis, dass manche Illustrationen mit ihren handgeschriebenen Beschriftungen unübersichtlich werden.

Alles in allem trotz kleiner Mängel ein absolut vorbildliches Werk in seinem Vermittlungsstil, zugleich Denkmal eines großen Journalisten und Vermittlers.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 2003, Seite 103
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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