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The Feeling of What Happens. Body and Emotion in the Making of Consciousness.

Harcourt Brace, New York 1999. 367 Seiten, $28,–.


Während Sie den ersten Satz dieser Rezension lesen und herauszufinden versuchen, ob Sie das Buch vielleicht selber gerne lesen würden – was genau ist jetzt der Inhalt Ihres Bewussteins? Sind es die Buchstaben und ihr weißer Hintergrund, aus denen sich Ihr visuelles Erleben aufbaut? Die Tastempfindungen, die das Papier in Ihren Händen auslöst? Die Gedanken, welche nun langsam in Ihnen aufzusteigen beginnen? Oder ist es vielmehr die subjektive Erfahrung eines Selbst im Akt des Verstehens?

Man kann wach sein, ohne ein bewusstes Selbst zu sein, zum Beispiel in den kurzen Momenten nach dem Erwachen aus einem besonders tiefen Schlaf. Es gibt bereits innere Bilder von Gegenständen oder von anderen Menschen, aber ein Wissen darüber, wer diese Bilder sieht oder was für eine Geschichte er hat, ist nicht verfügbar.

Man kann auch ein waches, zumindest teilweise bewusstes Selbst sein, ohne eine echte Innenperspektive zu besitzen. Bei einer Störung namens "akinetischer Mutismus" sind die Patienten eindeutig wach, zeigen aber so gut wie keine Körperbewegungen und sprechen auch nicht mehr. Antonio Damasio schildert den Fall seiner Patientin "L". Infolge einer Hirnblutung war unter anderem der cinguläre Cortex geschädigt worden, eine somatosensorische Struktur, die auch eine wichtige Rolle bei Aufmerksamkeit, Emotionen und der Erzeugung von Bewegungen spielt. "L" verharrte sechs Monate schweigend in einem bewegungslosen Zustand, mit vollständig leerem Blick. Nur für kurze, flüchtige Momente war es überhaupt möglich, ihre visuelle Aufmerksamkeit zu fesseln. Solche Patienten sind "da und nicht da zugleich". Es gibt Wachheit, Reflexe und ein rudimentäres Selbst, nicht aber ein Selbst "im Akt des Wissens", eine bewusst erlebte Verbindung zwischen Subjekt und Objekt. Genau diese Struktur aber lässt überhaupt erst die Erste-Person-Perspektive und Bewusstsein im eigentlichen Sinne des Wortes entstehen.

In seinem neuen Buch untersucht Antonio Damasio die repräsentationale Tiefenstruktur des Bewusstseins. Damasio, Direktor der neurologischen Abteilung am University of Iowa College of Medicine und außerplanmäßiger Professor am Salk Institute in San Diego, hat mit seinem 1994 erschienenen Buch "Descartes’ Error" (deutsch: "Descartes’ Irrtum", List-Verlag 1995; vergleiche Spektrum der Wissenschaft 5/1997, S. 123) einen großen Bekanntheitsgrad erreicht. Man kann leicht vorhersagen, dass "The Feeling of What Happens" ein vergleichbarer Erfolg beschert sein wird. Das Buch richtet sich an eine breite, nicht wissenschaftlich vorgebildete Leserschaft; eine seiner Stärken liegt in der sprachlichen Eleganz und scheinbaren Leichtigkeit, mit der es schwierige Fragestellungen Lesern mit sehr unterschiedlichen Interessen und Vorkenntnissen zugänglich macht.

In den einleitenden Abschnitten präsentiert Damasio zwei verschiedene Begriffe des Bewusstseins: Kernbewusstsein (core consciousness) und erweitertes Bewusstsein (extended consciousness). Kernbewusstsein ist das, was wir mit einigen nichtmenschlichen Tieren gemeinsam haben – eine elementare, integrierte Repräsentation eines Moments und eines Orts unabhängig von Sprache und Denken, vom konventionellen wie vom Arbeitsgedächtnis. Im Wesentlichen bleibt das Kernbewusstsein über das gesamte Leben eines Organismus stabil. Was sich im Verlauf eines Lebens über viele Stufen geistiger Inhalte entwickelt, indem es sich auf subtile Weise aus dem Hier und Jetzt heraus entfaltet, ist das bewusste Erleben des Situiertseins innerhalb einer individuellen Geschichte – das subjektive Wissen um eine bereits gelebte Vergangenheit und um Möglichkeiten in der Zukunft. Dies ist erweitertes Bewusstsein. Wir teilen es nur mit einer wesentlich geringeren Anzahl anderer Tiere.

Eng verbunden mit diesem Unterschied sind zwei verschiedene Begriffe des Selbstbewusstseins: das Kernselbst und das autobiografische Selbst. Wieder ist die reichhaltigere Version – das autobiografische Selbstbewusstsein – näher an "unserem" Selbst im umgangssprachlichen Sinn. Sein Inhalt ist eine systematische Aufzeichnung der Erinnerungen, die der Organismus an vergangene Situationen besitzt, seines Namens, seiner Neigungen und Abneigungen – kurz: der eher invarianten Eigenschaften, die dieses Lebewesen an sich selbst entdeckt hat. Er erzeugt das subjektive Erlebnis, dass ich heute derselbe bin, der ich gestern – oder vor zehn Jahren – war. Interessanterweise ist das, aus dem dieses autobiografische Selbst entsteht, wesentlich vergänglicher und ständig in rascher Veränderung begriffen: das Kernselbst, das "immer und immer wieder aufs Neue erschaffen wird, für jedes einzelne Objekt, mit dem das Gehirn interagiert".

Das ist einer der neuen Gedanken dieses aufregenden Buchs: Unser traditioneller Begriff des Selbst wird gegründet in einer wesentlich fundamentaleren und empirisch plausibleren Vorstellung eines sich kontinuierlich verändernden körperlichen Vorgangs. Das Kernselbst pulsiert unaufhörlich wie ein Herz und erzeugt auf diese Weise blitzschnell und andauernd neue Zustände. In einem solchen Zustand sind jeweils Bilder von Gegenständen und ein – immer neues, leicht verändertes – basales Selbstmodell in eine umfassende Repräsentation integriert, in eine innere Darstellung "des Selbst im Akt des Wissens".

Für Damasio gibt es im Wesentlichen zwei Ansätze, das Problem des Bewusstseins zu lösen. Der eine ist, die körperliche Grundlage des phänomenalen "Films im Gehirn" dingfest zu machen, indem man die neuronalen Korrelate der bewussten Erzeugung von mentalen Bildern immer genauer beschreibt (siehe dazu auch seinen Beitrag in dem von mir herausgegebenen Sammelband "Neural Correlates of Consciousness: Empirical and Conceptual Questions", erscheint Mitte des Jahres bei MIT Press). Der zweite ist wesentlich subtiler und in der Vergangenheit weitgehend vernachlässigt worden: Man versuche, besser zu verstehen, wie "die Erscheinung eines Besitzers und Beobachters für den Film innerhalb des Films" erzeugt werden kann. Wie kommt es, dass ich mich zugleich als Beteiligter und als auswärtiger Beobachter des Geschehens wahrnehme, das ich erlebe? Dabei ist die zweite Rolle – die "Anwesenheit des Selbst" – oft kaum merklich und eher implizit; trotzdem ist sie der entscheidende Bestandteil bei der Transformation der bloßen Wachheit in Bewusstsein.

Im zweiten Teil des Buchs untersucht Damasio ausführlich die Beziehung zwischen Emotionen und Gefühlen. Emotionen fasst er als bioregulatorische Instrumente auf. Ihr erlebnismäßiger Inhalt (Beispiel: Angst) drückt für den Organismus die Logik des Überlebens aus und ermöglicht ihm auf diese Weise, diese Logik (im Beispiel: eine Gefahr) aus der Innenperspektive heraus zu fühlen. Wie sich herausstellt, können Bewusstsein und Wachheit – ebenso wie Bewusstsein und automatische Aufmerksamkeitsprozesse – voneinander getrennt werden, nicht aber, interessanterweise, Bewusstsein und die Emotionen.

Damasio führt nun den Begriff eines unbewussten "Protoselbst" ein. Durch Veränderungen im Protoselbst, die durch die Wahrnehmung externer Bilder verursacht werden, kommt eine höherstufige Abbildung im Gehirn zustande, welche intern eine sich jetzt gerade entfaltende Beziehung zwischen dem Organismus und einem Objekt darstellt. Diese Relation ist der entscheidende Schritt ins Kernbewusstsein, das ein bewusstes Kernselbst mit einschließt.

Wer nun diese theoretischen Konstrukte durch harte empirische Fakten belegt sehen möchte, kommt im dritten Teil des Buches (insbesondere in Kapitel 8 "The Neurology of Consciousness") auf seine Kosten. Wichtigster Kandidat für die Realisierung der angesprochenen Abbildung, durch die das "Selbst im Akt des Wissens" erzeugt wird, ist der oben angesprochene cinguläre Cortex. Ein beidseitiger Schaden in den anterioren Regionen des Cingulums zerstört sowohl das Kern- als auch das erweiterte Bewusstsein, lässt dabei aber einen Zustand der Wachheit bestehen. Andererseits lösen Schädigungen derjenigen Regionen, in denen die Korrelate des unbewussten Protoselbst und des Kernselbst konzentriert sind, – bestimmte Nuklei im oberen Hirnstamm und im Hypothalamus – die profundesten und irreversiblen Verluste des phänomenalen Erlebens aus. Damasio macht eine ganze Reihe von testbaren Voraussagen, und man darf hoffen, dass sie eine Flut empirischer Forschungsprogramme erzeugen.

Als Philosoph werde ich mich zu den empirischen Details nicht weiter äußern. Besonders faszinierend erscheint mir jedoch, dass diese Forschungen eine Vorstellung unterstützen, die ich seit langem attraktiv finde: Das menschliche Selbstmodell ist nicht nur fest in sehr alten bioregulatorischen Vorgängen verankert, welche die physische Kohärenz des Organismus sicherstellen, sondern es baut auch eine Brücke von der Biologie in die Intersubjektivität. Die einfache Tatsache unserer eigenen gegenwärtigen Existenz betrifft uns affektiv. Aber auch die Vorstellungen, Zukunftspläne und die geistigen Zustände anderer Lebewesen gehen uns etwas an, weil unsere kognitiven, autobiografischen und sozialen Selbstmodelle letztlich doch immer auf der internen Dynamik der körperlichen Homöostase und den Emotionen reiten. "Bewusstsein ist deshalb wertvoll, weil es einen neuen Weg eröffnet, die Homöostase zu erreichen."

In diesem Buch zeigt sich eindrücklich, wie philosophische Theorien tatsächlich Neurowissenschaftler in ihrer Arbeit inspirieren können. Damasios Stärke ist seine Sensibilität für die Subtilität und den Nuancenreichtum des in der Realität zu beobachtenden Selbstbewusstseins. Insbesondere hat Damasio für die Neurowissenschaften das entdeckt, was die zentrale Eigenschaft der repräsentationalen Tiefenstruktur des bewussten Erlebens ist: das "phänomenale Modell der Intentionalitätsrelation".

Was heißt das? Der Inhalt des Bewusstseins ist immer eine dynamische, transiente Relation, und zwar zwischen einem wahrnehmenden Selbst und einem Gegenstand, zwischen einem Denker und einem Gedanken, oder auch zwischen einem Agenten und einem intern repräsentierten Zielzustand. Wenn das interne Bild dieser Relation eine Eigenschaft aufweist, die Philosophen "Transparenz" nennen – der Organismus kann die Tatsache, dass all dies nur ein internes Modell ist, nicht erkennen –, dann entsteht mit Notwendigkeit eine rudimentäre Erste-Person-Perspektive. Der Organismus ist plötzlich phänomenal innerhalb des Films in seinem eigenen Gehirn situiert und dabei bruchlos in eine biologisch verankerte virtuelle Realität eingebettet, während er sich gleichzeitig einer "out-of-brain experience" erfreut.

Vielleicht bin ich blind für systematische Schwächen in Damasios Ansatz, weil unsere Theorien in einer Reihe von Punkten konvergieren. Trotzdem glaube ich, dass ihm nicht nur ein schönes Buch, sondern auch ein bedeutender Fortschritt für das interdisziplinäre Projekt der Bewusstseinsforschung gelungen ist.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 2000, Seite 106
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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