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Tiefsee-Roboter


Als in den sechziger Jahren Industrieroboter bis dahin manuell durchgeführte Produktionsabläufe übernahmen, war der Einsatz solcher automatischen Handhabungssysteme unter Wasser oder auch in einem radioaktiven Umfeld noch Vision. Damals begann man gerade, Öl- und Gaslager unter dem Meeresboden zu erschließen, hatte sich aber auf Wassertiefen von 50 bis 80 Metern zu beschränken. Doch schon 1962 erreichte erstmals ein Mensch – der Schweizer Hannes Keller – mit der Sättigungstauchtechnik 305 Meter Tiefe; rund 10 Prozent des Meeresbodens waren nun zugänglich. (Beim Sättigungstauchen ersetzt man den Stickstoffanteil der Luft durch das Edelgas Helium, um den lebensbedrohlichen Tiefenrausch – eine Art Stickstoffnarkose – bei Tauchgängen tiefer als 70 Meter zu vermeiden.)

Weitere Forschungen zur Tauchtechnik gipfelten in Experimenten des Duke University Medical Center in Durham (North Carolina), die 1981 und 1982 einen eintägigen Tauchgang auf 686 Meter und einen zweiwöchigen auf 600 Meter Tiefe ermöglichten. So wurden zwar rund 20 Prozent des Meeresbodens für den Menschen erreichbar, doch damit sind wegen extremer physischer und psychischer Belastungen wohl die Grenzen der gesundheitlich verantwortbaren Tauchtechnik erreicht.

Inzwischen erschließt man aber Öl- und Gasvorkommen in weit tieferen Gewässern, beispielsweise im Mittelmeer bei Montanazo (bis 760 Meter) und im Campos-Becken an der Ostküste Brasiliens (derzeit 1000, geplant bis 2000 Meter). Meist wird off-shore, von schwimmenden oder im Meeresboden verankerten Plattformen aus gebohrt. In diesen Tiefen können nur noch Maschinen arbeiten; doch gibt es zur Zeit lediglich einfache, sehr spezialisierte, ortsfeste oder an Kabeln geführte Systeme etwa zur Verbindung von Rohrleitungen oder bewegliche und flexibel arbeitende Manipulatoren, die an Unterwasserfahrzeugen angebracht sind.

Unterwasser-Handhabungssysteme

Mitte der achtziger Jahre begann darum die Entwicklung von Konzepten für unbemannte Unterwasser-Handhabungssysteme, die zunächst einfache Inspektions- und Wartungsarbeiten an stählernen Strukturen in Wassertiefen bis 800 Meter durchzuführen hätten. So soll mariner Bewuchs an tragenden Schweißnähten mit rotierenden Bürsten oder einem Hochdruckwasserstrahl abgetragen werden, damit man anschließend das Material über Miniaturvideokameras auf mögliche Schäden wie Lochfraß, Risse oder Kratzspuren überprüfen und notfalls Schadstellen durch Ultraschall- oder Wirbelstromverfahren genauer untersuchen kann.

Zentrale Komponente solcher Systeme (Bild 1) ist das Trägerfahrzeug mit vier bis acht Propellerantrieben und verschiedenen Navigationssystemen wie Sonar, Tiefenmesser und Kreiselkompaß zur genauen Ansteuerung der Zielposition. Im Inneren sind Antriebs- und Regelorgane seewassergeschützt und druckfest eingekapselt. Andocken kann das Fahrzeug entweder mit einer Ansaugvorrichtung, die am Korpus selbst angebracht ist, oder mit Saugnäpfen an beinartigen Bewegungsorganen.

Alle bislang konzipierten Systeme brauchen noch ein Verbindungskabel für die Energieversorgung und den Informationsaustausch mit dem Bediener in der Operationsbasis über Wasser. Angekoppelt an das Fahrzeug sind ein bis drei mechanische Arm-Hand-Konstruktionen (Manipulatoren) mit Zwei-Finger-Greifern, um Werk- und Prüfzeug aus mitgeführten Magazinen zu entnehmen. Sie werden vom Bediener per Joystick und Monitor gesteuert. Solche Teleoperationen erfordern Geschicklichkeit und Übung; insbesondere bei Präzisionsaufgaben können Müdigkeit und Konzentrationsschwäche auftreten.


Qualifikation und Erprobung eines Unterwasser-Roboters

Bislang wurden lediglich einzelne Komponenten, Module oder Baugruppen derartiger Konfigurationen realisiert und im Labor getestet. Doch der Bedarf an maritimer Spitzentechnik wächst. Allein für die Nordsee umfaßte dieses Marktsegment bereits Mitte der achtziger Jahre ein Finanzvolumen von zwei bis drei Milliarden Mark. Darum arbeitete das GKSS-Forschungszentrum gemeinsam mit verschiedenen Unternehmen und gefördert vom damaligen Bundesministerium für Forschung und Technologie auf diesem Gebiet ab 1986 bis Ende letzten Jahres.

Ein Programmschwerpunkt war ein rechnergestütztes und sensorgeführtes Handhabungssystem für den Einsatz bis zu einer Seewassertiefe von 1100 Metern, genannt OSIRIS (Off-Shore Integrated Robotic Inspection System; Bild 2). Die Hauptkomponenten sind das Unterwasserfahrzeug mit einer Greifklaue zum Andocken sowie ein dreh- und verfahrbar an einem Ausleger angebrachtes Handhabungsgerät. Dessen Konzeption folgte den Kriterien für einen Industrieroboter:

- Die Beweglichkeit sollte durch mindestens sechs Freiheitsgrade der des menschlichen Arms vergleichbar sein;

- hinsichtlich der Abstands-, Geschwindigkeits- und Orientierungstreue des Roboters sollte die Führung eines Werk- und Prüfzeugs entlang einer Werkstückkontur sehr präzise sein ;

- der Endeffektor sollte alle auftretenden Belastungen beim Einsatz von Werk- und Prüfzeugen sowie Reaktionskräfte aus Prozessen wie dem Hochdruckwasserstrahlen (etwa 200 Newton) aufnehmen können;

- erforderlich war eine seewassergeeignete geschlossene und kompakte Bauweise, bei der alle robotereigenen Komponenten in druckfesten Gehäusen untergebracht sind, und

- eine moderne Steuerung mit Schnittstellen zur Übernahme und Verarbeitung von Sensorsignalen, Basisinformationen aus der Off-line-Programmierung und CAD-Daten der unter Wasser installierten Produktions- und Fördereinrichtungen.

Unter den 1986 marktgängigen Systemen fiel die Wahl auf den Siemens-Universalroboter Manutec r15. Daran wurden Grundlagen erarbeitet sowie Funktionalität und Operabilität in nasser Umgebung geprüft.

In der ersten Phase wurde der Roboter-Unterarm mit einem geeigneten Fluid gefüllt und mit einer Membran versehen, so daß sich an den drei Drehgelenken kein Differenzdruck gegenüber dem Seewasser in 1100 Metern Tiefe (110 bar) aufbauen kann. Bestimmte hydraulische und synthetische Öle erfüllen weitgehend die Anforderungen, die wegen der Vielfalt von Werkstoffen, Werkstoffpaarungen sowie mechanischen, elektrischen und elektronischen Komponenten gestellt werden. Sie müssen unter anderem hohe Transparenz haben, um optische Sensoren für die Weg-, Geschwindigkeits- und Beschleunigungsmessung an den Roboterachsen nicht zu beeinträchtigen. Die Viskosität muß die Schmierung von Lagern und Getrieben gewährleisten. Das Öl darf Dichtungsmaterialien und Isolationswerkstoffe nicht erweichen oder verhärten; seine elektrische Durchschlagfestigkeit muß ausreichen, und es soll allenfalls in geringem Maße Wasser und Gase lösen.

Systematisch wurde jedes Bauteil überprüft und an die extremen Umgebungsbedingungen angepaßt. Die Erprobung in einem Unterwassersimulator (Bild 3) zeigte, wo dann noch konstruktive Verbesserungen erforderlich waren: im Dichtungskonzept und beim Korrosionsschutz der Außenstrukturen, bei den Roboterbremsen, die in Flüssigkeit schlechter wirkten, sowie im Druckausgleichssystem.

Es folgten die Komplettierung des sechsachsigen Gesamtsystems zu einem funktionsfähigen Unterwasser-Roboter und erste orientierende Experimente im Flachwasserbecken bei zwei Metern Tiefe. Nach 314 Stunden erfolgreichen Betriebs begannen die eigentlichen Qualifikationstests in trockener und nasser Umgebung unter Drücken bis 110 bar. Das Programm dafür hatten Siemens und als Gutachter der Germanische Lloyd ausgearbeitetet.

So interessierte das Verhalten unter Auftrieb und Strömung, insbesondere der Einfluß des umgebenden Wassers auf die Wiederholgenauigkeiten von Position, Orientierung und Bahn des Endeffektors. Beispielsweise wich die RoboterHand am vertikal gestellten Arm bei frontaler Anströmung um 0,5 Millimeter von der Position in ruhigem Wasser ab; selbst eine solch geringe Abweichung muß aber bei Präzisionsaufgaben wie der Ultraschallprüfung, dem Hochdruckwasserstrahl-Schneiden oder dem Schweißen unter Wasser (Bild 4) mittels Sensoren korrigiert werden. Ein praxisnahes Experiment war, Steckverbindungen an der Teilnachbildung einer Struktur zu öffnen und zu schließen (Bild 5), die bei der brasilianischen Bohr- und Förderplattform Octos 1000 verwendet wird.

Manutec r15 UW (UW steht für unterwassertauglich) genügte allen Anforderungen und erhielt vom Germanischen Lloyd die Prüfbescheinigung. Nach rund fünf Jahren Entwicklungszeit steht somit der Prototyp eines Tiefsee-Roboters zur Verfügung, der auch bei hohen Drücken in trockener Umgebung eingesetzt werden könnte. Solche Systeme ließen sich mithin außer in der Meerestechnik in Kernkraftanlagen zur Inspektion, Reparatur, Demontage und Entsorgung verwenden, in der Umweltsanierung (etwa zur Handhabung von Giftgas- und Sprengmunition aus dem Zweiten Weltkrieg in der Ostsee oder von radioaktiven Komponenten, die sowjetische Institutionen im Nordmeer versenkt haben), in der Forschung (zum Beispiel zur Entnahme und Analyse von Wasserproben aus tiefen Binnenseen oder arktischen beziehungsweise antarktischen Gewässern) sowie zur Inspektion und Wartung von Pipelines.

Parallel dazu lief die Arbeit an peripheren Geräten und Komponenten. So wäre das Unterwasserfahrzeug DAVID (Diver-Assistance Vehicle for Inspection Duties) der Firma Herion Systemtechnik ein möglicher Träger (Bild 6). Zu einer gekapselten Roboter-Steuerung, die von der Operationsbasis aus fernbedient würde, trug das Institut für Fertigungstechnik und Spanende Werkzeugmaschinen der Universität Hannover bei. Außerdem paßte die Gruppe der GKSS marktgängige Werk- und Prüfzeuge zur Automatisierung vorgesehener Arbeiten in der Tiefsee an und entwickelte sie gegebenenfalls weiter, beispielsweise CCD-Kameras, Ultraschallprüfköpfe, Schweißnahtverfolgungs- und Werkzeugwechselsysteme sowie Magaziniereinrichtungen. Schließlich entstand ein Programmier- und Simulationssystem als Planungsinstrument, dessen Algorithmen die Geometrie des Handhabungssystems, des Werk- und Prüfzeuges sowie der umgebenden Strukturen auf dem Bildschirm einer Workstation darstellen, die Kinematik des Handhabungssystems erfassen und die Bewegungen des Roboters und seines Trägersystems dementsprechend nachbilden.

Für das Gesamtsystem OSIRIS ermittelte Siemens einen Preis von rund 20 Millionen Mark. Dennoch wäre der Betrieb sehr wirtschaftlich: Beim Einsatz von Tauchern kostet die Inspektion einer Schweißnaht in 100 Metern Wassertiefe 7000 bis 10000 Mark pro Meter und wird mit zunehmender Tiefe exponentiell teurer, beim Einsatz von OSIRIS hingegen sollten die Kosten nur 800 bis 1000 Mark betragen, und zwar nahezu tiefenunabhängig.

Die deutsche meerestechnische Industrie hat sich allerdings auf dem internationalen Markt der Unterwassertechnik nicht wie Ende der siebziger Jahre vorhergesagt engagiert. Deswegen stellte das Bonner Forschungsministerium die öffentliche Förderung ein; die entsprechenden Arbeiten der GKSS wurden 1994 beendet. Die bis dahin geschaffenen Ressourcen an technischem Spezialwissen bleiben künftig für Anwendung und Vermarktung ungenutzt.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1995, Seite 107
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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