Justiz : Die Seele des Henkers
"Der EKG-Monitor ist direkt vor mir. Als ich das Mittel in die Schläuche drücke, schlägt das Herz langsamer und langsamer. Ich schaue den Linien des EKGs zu, wie sie flacher werden. Sobald ich die Injektion verabreicht habe, versiegt der Herzschlag. Es ist vorbei." Der US-amerikanische Vollzugsbeamte, der hier zitiert wird, hat soeben die Todesstrafe durch die Giftspritze vollstreckt. Er hat einen Menschen getötet. Es ist sein Job.
Viele Staaten lehnen die Todesstrafe mit Verweis auf die Menschenrechte ab. Doch bis heute wird sie weltweit laut Amnesty International noch in 58 Ländern verhängt und ausgeführt. Jedes Jahr sterben mehrere hundert Verurteilte im Namen des Gesetzes. Die Strafe wird nicht von Maschinen oder Robotern vollstreckt: Es sind Menschen, die Menschen töten. Vorsätzlich den Tod einer anderen Person herbeizuführen, nicht aus Notwehr, nicht aus Wut oder Rache, sondern weil es eine Aufgabe am Arbeitsplatz ist: Was macht das mit einem Menschen? Und wer macht einen solchen Job?
Der Psychologe Michael Osofsky war der Erste und nahezu Einzige, der sich bislang mit wissenschaftlichem Blick der Henkersseele widmete. Um die Jahrtausendwende interviewte er über Jahre hinweg Dutzende Mitarbeiter aus Justizvollzugsanstalten in den USA, die an der Vollstreckung eines Todesurteils mitwirkten. Gemeinsam mit seinem Vater, einem renommierten Psychiater, bat er 50 Mitarbeiter des Exekutionsteams des Louisiana State Penitentiary – des größten Hochsicherheitsgefängnisses der USA –, Fragebögen zu ihrer psychischen Verfassung auszufüllen. Darunter waren jene, die die Todeskandidaten mit den Gurten fixieren, die Kanülen für die Giftspritzen legen oder die schließlich die Spritze setzen und die tödliche Chemie in den Körper strömen lassen. Ihrem seelischen Wohlbefinden schien diese Arbeit nichts anzuhaben: Nur drei der befragten Beamten zeigten Symptome einer leichten bis mittelschweren Depression; nicht mehr als in der Allgemeinbevölkerung. ...
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben