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Transfer neuer Technologien am Beispiel der Klebtechnik

Als modernes konstruktives Fügeverfahren, das auch werkstofftechnische Neuerungen stimuliert, ist das Kleben in vielen Industriebereichen etabliert. Dafür, daß auch kleine und mittelständische Unternehmen die Innovationen nutzen können, bietet ein Netzwerk europäischer Technologiezentren spezielle Qualifizierungskonzepte.

Die herausragenden Vorzüge der Klebtechnik sind in Beiträgen zum Schwerpunkt-Thema dieser Ausgabe dargelegt worden. Daß Werkstoffe klebtechnisch unter Erhalt ihrer spezifischen Eigenschaften zusammengefügt und auch unterschiedliche Materialien wie Metalle, Kunststoffe und Glas verbunden werden können, ermöglicht hochinnovativen Branchen, neuartige Fertigungsverfahren und Produkte zu entwickeln.

Gleichwohl steht die adäquate Anwendung der modernen Klebtechnik noch aus. Weil sie verfahrensgerecht in die produktionstechnischen Abläufe integriert werden muß, haben sich vor allem viele kleine und mittelständische Unternehmen das Nutzungspotential bisher nicht erschließen können. Auf ihren Bedarf abgestimmte Forschung und Entwicklung vermögen sie aus eigenen Mitteln kaum zu leisten; und öffentlich geförderte Programme, deren Ergebnisse ihnen im Prinzip zugänglich sind, bieten im allgemeinen Labor-Problemlösungen, deren Umsetzung in die Praxis noch erheblichen finanziellen und personellen Aufwand erfordert. Solche Leistungen können wiederum nur Großunternehmen erbringen.

Mangel an Erfahrung

Die Hochleistungstechnologie Kleben wird in der Werbung oft als überaus simples Verfahren dargestellt, für das – außer dem Lesen der Packungsbeilage – keinerlei Vorbildung nötig sei. Mißlingt dann dem Laien ein Versuch mit einem sogenannten Alleskleber, ist er leicht geneigt, professionellen Anwendungen spezifischer Klebstoffe und Klebtechniken zu mißtrauen.

Auch für einen Handwerker, der zum Beispiel traditionell Metallteile schraubt, nietet, lötet oder schweißt, sind Klebstoffe – also künstliche chemische Produkte – ungewohnt und fremd. Sucht er damit Erfahrungen zu sammeln, kann ihn unter Umständen schon ein Fehler teuer zu stehen kommen und entmutigen. Um dem in kleinen und mittleren Betrieben zu begegnen, wird künftig auf nationaler und europäischer Ebene ein System zur sachgemäßen zertifizierten Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern eingerichtet.

Dadurch erhalten solche Unternehmen enorme Chancen, das Potential der Klebtechnik selbständig zu nutzen. Die Ergänzung herkömmlicher Verbindungsverfahren durch neue Klebtechniken erlaubt in der Regel größere Freiheit beim Produkt-Design, weil dann auch unter Umständen bislang ungeeignete Materialien verarbeitet werden können, vereinfacht Produktionsprozesse und senkt die Herstellungskosten.

Hilfe bei der Qualifikation

Unterstützung in allen Aspekten – von der Auswahl bestimmter Klebstoffe und der Vorbehandlung zu fügender Oberflächen über die Verfahrenstechnik selbst bis zum Testen der Produkte und dem Umweltschutz – bieten mittlerweile mehrere westeuropäische Technologiezentren, die sich 1990 im Rahmen des Programms SPRINT (Strategic Program for Innovation and Technology Transfer) der Kommission der Europäischen Gemeinschaften kooperativ zusammengeschlossen haben. Deutscher Repräsentant dieses Netzwerks für das Fügen mittels Klebens (Réseau Européen pour l’Assemblage par Collage, REACOL) ist das Fraunhofer-Institut für Angewandte Materialforschung (IFAM), Abteilung Klebtechnik, in Bremen.

Dort wurde für diesen Technologie-transfer vor allem in kleine und mittelständische Betriebe ein umfassendes Konzept entwickelt, das von der Identifikation weiterer Aufgaben für die Grundlagenforschung zum Verständnis klebtechnischer Prozesse bis zum Abbau längst überholter Vorbehalte bei potentiellen Anwendern reicht.

Erste Voraussetzung ist die Bereitschaft des jeweiligen Unternehmens, mit den Forschungseinrichtungen zusammenzuarbeiten. Deren Angebot umfaßt Beratungen, Schulungen sowie Forschungs- und Entwicklungsarbeiten im Labor bis hin zur spezifischen praktischen Umsetzung. Dafür sind am IFAM drei vom Bundesministerium für Forschung und Technologie geförderte Demonstrations- und Dienstleistungszentren eingerichtet worden, die zusammen für die gesamte Anwendungsbreite der Klebtechnik kompetent sind.

Für die überbetriebliche Aus- und Weiterbildung erarbeitet die Abteilung Klebtechnik am IFAM auf nationaler und europäischer Ebene Richtlinien in Abstimmung mit dem zulassungs- und zertifizierungsberechtigten Deutschen Verband für Schweißtechnik und dem europäischen Dachverband, der European Welding Federation; beteiligt sind des weiteren der Fachverband Klebstoffindustrie sowie Vertreter der industriellen Anwender.

Außer um fachliche Inhalte geht es dabei auch um Maßnahmen zum Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutz. Das Ziel der beruflichen Qualifikation sind allgemein anerkannte zertifizierte Abschlüsse auf den drei Ebenen Klebpraktiker, Klebfachkraft und Klebfachingenieur.

Zudem werden in einem regionalen Projekt, das für die Bundesrepublik Pilotfunktion hat, Berufsschullehrer für die überbetriebliche Erstausbildung im Bereich Klebtechnik qualifiziert. Für die Ingenieursausbildung an Fachhochschulen werden neue Berufsbilder entwickelt beziehungsweise Lehrinhalte der allgemeinen Verbindungstechnik um solche der Klebtechnik ergänzt. Im universitären Bereich schließlich werden Forschungsaktivitäten zu neuen Klebstoffen, Kleb- und Beschichtungssystemen und entsprechenden Verfahren angestoßen oder erweitert, um auch künftige Fortschritte zu gewährleisten.

Derzeit driften technologische Entwicklung und betriebliche Anwendung neuer Technologien – die Klebtechnik ist nur ein Beispiel – noch auseinander. Das ist ein großes, so schnell und umfassend wie möglich zu lösendes volkswirtschaftliches Problem. Durch Technologietransfer und Qualifikation aller Mitarbeiter und Arbeitsplätze können viele Unternehmen ihre ökonomische Entwicklung und damit auch die Arbeitsplätze wesentlich besser sichern.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1993, Seite 98
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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