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Transplantation von Organen aus Schweinen - Gefahren durch endogene Retroviren

Neueste Untersuchungen haben gezeigt, daß Schweine in ihrer Erbsubstanz gleichsam als blinde Passagiere bestimmte Viren tragen, die sich auch in menschlichen Zellen vermehren können. Während diese porcinen endogenen Retroviren (|PERVs|) für das Tier wahrscheinlich unschädlich sind, besteht die Gefahr, daß sie in der menschlichen Bevölkerung eine Epidemie auslösen.

Transplantationen von Organen und Geweben können Leben retten oder die Lebensqualität der Betroffenen entscheidend verbessern. Ironischerweise haben die Fortschritte in der Transplantationsmedizin jedoch eine bedenklich steigende Knappheit an geeigneten humanen Spenderorganen hervorgerufen. So warten in Großbritannien mehr als 6000 und in den USA über 30000 Menschen auf ein Transplantat; in Deutschland benötigten Ende 1995 gut 10000 Patienten ein Ersatzorgan – bei sinkender Zahl von Spendewilligen.

Dies und die klinischen Erfolge der Allotransplantationen (nach griechisch allos, anders), also der Organverpflanzung von Mensch zu Mensch, waren Anlaß für intensive Bemühungen in den letzten Jahren, auch die Xenotransplantation (nach griechisch xenos, fremd) von Organen nicht humaner Primaten (etwa von Pavianen) und von Schweinen auf den Menschen zu ermöglichen. Aus praktischen, ethischen und finanziellen Erwägungen sowie aus Gründen der Sicherheit werden Schweine als Spender favorisiert. Obwohl die Paarhufer durch 90 Millionen Jahre Entwicklungsgeschichte vom Menschen getrennt sind, gelten sie bezüglich Organgröße, Anatomie, Physiologie und Gewicht als unserer Art sehr ähnlich. Insbesondere die in den letzten 20 Jahren gezüchteten Miniatur-Schweine erreichen nur eine Masse von 100 bis 150 Kilogramm gegenüber bis zu einer halben Tonne beim normalen Hausschwein.


Immunologische Hürden

Die Isolierung von Insulin aus Bauchspeicheldrüsen von Schweinen zur Behandlung von Diabetes mellitus (der Zuckerkrankheit) oder auch die Transplantation porciner Herzklappen ist seit vielen Jahren Routine. Die Verpflanzung von kompletten Organen wirft jedoch immunologische Probleme auf, die vor allem daher rühren, daß die Zellen von Schweinen auf der Oberfläche bestimmte Zuckerketten tragen, die beim Menschen und bei den Altweltaffen fehlen. Diese Galaktosyl-alpha-1-3-Galaktosyl-Reste rufen beim Empfänger eine sogenannte hyperakute Abstoßungsreaktion (hyperacute rejection, HAR) hervor, die sehr schnell und heftig abläuft. Innerhalb weniger Minuten bis Stunden werden die Gefäße des transplantierten Organs zerstört, so daß starke Blutungen, Thrombosen (Gerinnsel) und Ödeme (Wasseransammlungen) auftreten.

Die HAR beruht auf der Aktivierung einer ersten immunologischen Verteidigungslinie, dem Komplementsystem; es umfaßt ein Sortiment von Proteinen, die körperfremde Zellen abtöten, indem sie sich zum Beispiel an deren Membran anheften und sie unter Mitwirkung von Phagocyten (Freßzellen) durchlöchern. Das Signal dazu geben bestimmte Antikörper, die sich an die Galaktosyl-alpha-1-3-Galaktosyl-Zuckerreste auf den Zellen des Endothels (der Gefäßinnenwand) des Spenderorgans binden.

Es gibt verschiedene Ansätze, die HAR zu begrenzen oder zu kontrollieren. Zum einen kann die Menge an Antikörpern gegen alpha-1-3-Galaktose im Blut des Empfängers verringert werden, zum Beispiel durch Plasmaphorese. In Reagenzglasversuchen ist es andererseits auch gelungen, die alpha-1-3-Galaktose-Reste im Fremdorgan abzuwandeln oder ihre Zahl zu reduzieren.

Das Hauptaugenmerk richtet sich momentan jedoch auf die Herstellung von transgenen Schweinen, die auch für andere Anwendungen als lebende Wirkstoff-Fabriken – etwa für die Herstellung menschlicher Blutgerinnungsfaktoren – genutzt werden sollen (Spektrum der Wissenschaft, März 1997, Seite 70). Im Prinzip könnte man das Gen für das Enzym alpha-1-3-Galaktosyltransferase ausschalten, das beim Schwein für die Anheftung der Zuckerreste verantwortlich ist. Ein solcher gezielter Knock-out von Genen ist bisher allerdings nur bei Mäusen gelungen (Spektrum der Wissenschaft, Mai 1994, Seite 44).

Aus diesem Grunde hat man statt dessen genetisch modifizierte Tiere produziert, die auf der Oberfläche ihrer Endothelzellen humane Regulatoren der Komplementaktivierung (regulators of complement activation, RCAs) tragen – artspezifische Eiweißstoffe, welche als molekulare Tarnkappen die Aktivierung des menschlichen Komplementsystems unterdrücken. Dabei handelt es sich um den decay accelerating factor (DAF, CD55), das membrane cofactor protein (MCP, CD46) und Protectin (CD59). Schweine-Organe (vor allem Herzen), deren Endothelzellen damit bestückt waren, blieben nach der Übertragung auf Affen bis zu einige Wochen lang funktionsfähig.

Biotechnik-Firmen wie Nextran in den USA und Imutran in England (die mittlerweile zum Schweizer Pharmakonzern Sandoz gehört) haben sich auf den kommerziellen Einsatz solcher genetisch umprogrammierten Xenotransplantate beim Menschen eingestellt. Sie halten schon komplette Herden transgener Schweine unter keimfreien Bedingungen in Bereitschaft.

Der Optimismus unter Transplantationsmedizinern ist dagegen noch gedämpft. Auch wenn die HAR beherrscht wird, bleibt das Problem anderer, später einsetzender Abstoßungsreaktionen, die insbesondere durch T-Lymphocyten vermittelt werden und über die man im Zusammenhang mit Xenotransplantationen bisher wenig weiß. In jedem Falle müssen lebenslang immunsupprimierende Arzneimittel wie Cyclosporin verabreicht werden. Auf ein weiteres mögliches Problem wies Robin Holliday von der Abteilung für Biomolecular Engineering der australischen Forschungsorganisation CSIRO (Commonwealth Scientific and Industrial Research Organization) hin: Das Xenotransplantat könnte wegen der kürzeren Lebensdauer des Spendertiers – domestizierte Schweine leben höchstens 20 Jahre – auch im neuen Wirt schneller altern.


Tückische blinde Passagiere

Ging es zunächst nur um die Frage nach der Funktionsfähigkeit des verpflanzten Organs, so sind in jüngster Zeit zusätzliche Bedenken aufgetaucht, wonach vom Transplantat vielleicht sogar Gefahren für den Empfänger ausgehen. So warnten vor einem Jahr die Virologen John Coffin von der Tufts-Universität in Boston (Massachusetts), Jonathan Stoye vom britischen Nationalinstitut für medizinische Forschung (London) und Jonathan Allan von der Southwest Foundation for Biomedical Research in San Antonio (Texas) davor, daß mit dem artfremden Organ auch unbekannte oder latente Krankheitserreger, die in ihrem natürlichen Wirt keine Symptome hervorrufen und deshalb unerkannt bleiben, auf den Menschen übertragen werden könnten.

Das beträfe vor allem Retroviren, die eine Vielzahl von Wirbeltierarten befallen und zu denen auch das als AIDS-Erreger berüchtigte Humane Immunschwächevirus (HIV) gehört. Ihr Genom besteht aus einer einzelsträngigen Ribonucleinsäure (RNA), die von dem viruseigenen Enzym Reverse Transkriptase in doppelsträngige Desoxyribonucleinsäure (DNA) umgeschrieben wird. Das Transkript integriert sich in die chromosomale DNA des Wirts und liegt dort als sogenanntes Provirus vor. Von diesem wiederum werden die retroviralen Gene abgelesen und in Proteine übersetzt, die zur Herstellung neuer Viruspartikel dienen (Bild 1).

In der Erbsubstanz vieler Tierarten hat man zudem endogene Retroviren (ERV) entdeckt, die bei der normalen Fortpflanzung auf die Nachkommen übergehen. Während der Evolution ist es diesen Erregern offenbar gelungen, die Keimbahn und dort die teilungsfähigen Stammzellen von Oozyten beziehungsweise Spermien zu infizieren und sich dauerhaft darin einzunisten. Auch das menschliche Erbgut beherbergt eine große Zahl solcher blinden Passagiere, die vor 30 bis 40 Millionen Jahren in den Stammbaum unserer Art gelangt sind. Ob sie Krankheiten verursachen können ist noch nicht bekannt (Spektrum der Wissenschaft, September 1993, Seite 15).


Beunruhigende Befunde

Daß die Übertragung endogener Retroviren vom Tier auf den Menschen tatsächlich eine ernstzunehmende Gefahr bei Xenotransplantationen ist, hat nun ein Forscherteam um Robin Weiss vom Institut für Krebsforschung in London gezeigt. Ihm ist es erstmals gelungen, ein Porcines Endogenes Retrovirus (PERV) in menschlichen Nierenzellen zu vermehren ("Nature Medicine", Band 3, Seite 282, März 1997). Die Erreger-DNA findet sich in 30- bis 50facher Ausfertigung in der Erbsubstanz diverser Organe des Schweins und wird in Herz-, Nieren- und Milzgewebe auch abgelesen.

In ihren bisherigen Experimenten wiesen die Wissenschaftler nach, daß zwei verschiedene Nierenzell-Linien des Schweins – als PK-15 und MPK bezeichnet – infektiöse Viruspartikel (Virionen) produzieren. Mit Gewebekulturüberständen von PK-15 (Bild 2) ließen sich nicht nur Hodenzellen des Schweins infizieren, die selbst keine Virionen herstellen, sondern eben auch menschliche Nierenzellen. Viren aus MPK vermochten dagegen nur porcine Zellen zu befallen.

Die Sequenzanalyse eines Stücks Erbsubstanz aus dem Bereich der Protease- und Polymerase-Gene (Bild 1) zeigte eine 95prozentige Verwandtschaft zwischen den Viren aus den beiden Zell-Linien. Bis das gesamte Genom analysiert ist, bleibt unklar, worauf die Unterschiede im Infektionsverhalten beruhen. Entscheidend dafür dürften die durch das env-Gen codierten Hüllproteine sowie die retroviralen Steuersequenzen sein, die sich innerhalb der langen endständigen Sequenzwiederholungen (LTRs, nach englisch long terminal repeats) befinden.

Ferner ist noch zu klären, wieviele intakte PERV-Kopien (Proviren) im Genom des Schweins existieren. Von anderen Spezies weiß man nämlich, daß die meisten endogenen Retroviren durch Mutationen so verändert sind, daß sie die Fähigkeit zur Herstellung infektiöser viraler Partikel eingebüßt haben. Weiterhin ist unklar, ob auch in porcinen Organen selbst PERV-Partikel gebildet werden und nicht nur in den Zell-Linien.

Interessant ist zudem ein weiterer Befund der britischen Forscher. Als sie Virionen der PK-15-Linie mit menschlichem Serum zusammenbrachten, wurden die Erreger durch Komplementfaktoren angegriffen und zerstört. Hinge-gen waren Virionen, die aus infizierten menschlichen Zellen stammten, so gut wie unempfindlich gegen Auflösung durch Komplementproteine (übrigens sind auch HI-Viren derart resistent).

Bedenklich an diesem Befund ist, daß in Transplantaten transgener Schweine durch die erwähnten molekularen Tarnkappen die Aktivierung des Komplementsystems gerade unterdrückt wird. Die Übertragung käme somit einer direkten Injektion von Viren gleich, die sich ungehemmt vermehren und dann auch andere Menschen infizieren könnten.

Eine britische Expertenkommission unter Vorsitz von Ian Kennedy, Professor für Medizinrecht und Ethik am King's College in London, nahm in einem Bericht an den Gesundheitsminister im Januar dieses Jahres zur Problematik von Xenotransplantationen Stellung. Zwar betonte das Gremium die Notwendigkeit des Einsatzes tierischer Transplantate angesichts des Mangels an menschlichen Spenderorganen und erklärte ihn auch für ethisch akzeptabel. Zugleich aber zeigte es sich beunruhigt über die mögliche Übertragung unbekannter Viren. Die Kommission forderte deshalb, genauer zu erforschen, welche neuartigen Krankheiten beim Menschen durch pathogene Keime des Schweins hervorgerufen werden könnten. Auch sollten Primaten, die ebenfalls artspezifische endogene Retroviren tragen, für Xenotransplantationen nur zu Forschungszwecken eingesetzt werden. Als Reaktion auf den Bericht sprach die britische Regierung ein vorläufiges Verbot für Organtransplantationen vom Schwein auf den Menschen aus.

Falls sich herausstellen sollte, daß PERV-artige Erreger tatsächlich nach Xenotransplantationen infektiös sind, bliebe immer noch die Möglichkeit, Schweine ohne solche Proviren zu schaffen. Dies könnte über klassische Zuchtverfahren geschehen oder durch gezielten Gen-Knock-out, der bei Schweinen aber bisher nicht gelungen ist. In beiden Fällen würde sich der praktische Einsatz von Xenotransplantaten jedoch um Jahre verzögern.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1997, Seite 15
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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