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Serie: Die Botschaft des Genoms (Teil VII): Trypsin

Schere im Darm


Schneidwerkzeuge wie Messer und Scheren sind im Alltag unerlässlich. Auch unser Körper kommt nicht ohne sie aus. Als so genannte Proteasen dienen sie beispielsweise im Zell-Inneren dazu, ausgemusterte Proteine zu zerkleinern und sie so für die Wiederverwertung aufzubereiten. Im Magen-Darm-Trakt zerlegen Proteasen die Eiweißstoffe der Nahrung fein säuberlich in Bruchstücke, die dann vom Darm aufgenommen werden können. Der bestuntersuchte Vertreter solcher Verdauungsenzyme ist das Trypsin.

Schneidwerkzeuge sind aber auch gefährlich. Der Mensch verwahrt sie deshalb an einem sicheren Ort. Ebenso sorgt der Körper dafür, dass seine molekularen Scheren nicht versehentlich Schaden anrichten können. So ist die "Klinge" von zellulären Proteasen in einer Fassstruktur untergebracht, zu deren Innerem nur Proteine mit Ausmusterungs-Stempel Zutritt erhalten. Proteasen, die außerhalb der Zelle wirken, tragen dagegen einen kurzen Abschnitt als Sicherung; sie werden erst scharf, wenn eine andere Protease diesen Abschnitt entfernt.

Das gilt auch für Trypsin. Im zugehörigen Gen ist nur ein inaktiver Vorläufer verschlüsselt: das Trypsinogen. Es wird in der Bauchspeicheldrüse hergestellt und gelangt mit den anderen Verdauungssekreten in den Dünndarm. Dort trennt die so genannte Enteropeptidase acht Aminosäuren von dem Molekül ab und wandelt es dadurch in aktives Trypsin um.

Dieses gehört ebenso wie das nahe verwandte Verdauungsenzym Chymotrypsin und das Blutgerinnungsprotein Thrombin zur Familie der Serinproteasen: Als Klinge, mit der das Enzym zum chemischen Schnitt ansetzt, fungiert die Seitenkette der Aminosäure Serin – an sich ein recht harmloser Molekülteil, der gewöhnlichem Alkohol ähnelt. Zum Skalpell machen ihn zwei weitere, genauestens positionierte Aminosäuren. Die eine ist ein Histidin, das kurzfristig das Wasserstoff-Ion des Alkohols übernehmen kann. Bei der anderen handelt es sich um eine Asparaginsäure, die dafür sorgt, dass das Histidin in der für die Übernahme des Wasserstoff-Ions benötigten chemischen Form und Orientierung vorliegt. Gemeinsam werden diese drei Aminosäuren als die "katalytische Triade" bezeichnet.

Eine der Triade benachbarte Bindungstasche greift sich die Stelle, an der das "Opfer" des Verdauungsenzyms aufgespalten werden soll; beim Trypsin ist das eine Lysin- oder Arginin-Gruppe. Das scharf gemachte Serin attackiert dann die so genannte Peptidbindung, welche die beiden zu trennenden Proteinteile an dieser Stelle zusammenhält.

Dazu bietet es sich zunächst dem einen Teil als Bindungspartner an und spaltet dabei den Rest des Proteins ab — auf dessen Stickstoff-Ende überträgt es via Histidin seinen Alkohol-Wasserstoff. Anschließend löst es sich wieder von der zunächst gepackten Hälfte. Dabei überlässt es dieser die Hydroxid-Gruppe eines aktivierten Wassermoleküls, während es selbst das verbleibende Wasserstoff-Ion übernimmt.

Das Zerschneiden klappt jedoch nicht immer. Viele Proteine sowohl aus tierischen Organen als auch aus Pflanzen (besonders aus Hülsenfrüchten) verstehen sich auf den Trick, die Messerklinge stumpf zu machen, indem sie sich als Scheide darüber stülpen. Die Pflanzen verhindern so, dass das Trypsin die Samen verdaut. Diese können nach der Passage des Magen-Darm-Traktes daher immer noch keimen. Das Tier, das sie gefressen hat, wird dadurch praktisch als Vehikel missbraucht, das zur Verbreitung der Samen beiträgt.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2001, Seite 16
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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