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Perspektiven: UMTS++

In den Forschungslabors reifen bereits Verfahren für kommende Mobilfunkstandards.


Sprungbrett in die Multimedia-Welt oder Fehlstart? Das neue Mobilfunksystem UMTS wird heiß diskutiert: Es sei mit viel zu hohen Lizenzgebühren belastet, sagen die Kritiker, und könne in vielen Fällen nicht mehr als doppelte ISDN-Geschwindigkeit erreichen (128 Kilobit pro Sekunde, kbps). Das wäre zwar zehnmal mehr als heutige GSM-Handys leisten, aber weit weniger als für eine Videokonferenz oder das mobile Büro notwendig wäre.

Kaum beachtet von den Medien arbeiten jedoch Wissenschaftler und Techniker daran, diese Schwächen von UMTS zu beheben und zugleich den Standard der vierten Mobilfunkgeneration vorzubereiten. Bis zu 54 Megabit pro Sekunde (Mbps) sollen dann in Funknetzen reisen, das wäre eine 500- bis 1000-mal höhere Datenrate als mit ISDN. Die Übertragung einer fünf Megabyte großen Powerpoint-Präsentation von der Firma aufs Notebook beim Kunden wäre damit in weniger als einer Sekunde erledigt.

Das verfügbare Frequenzspektrum ist die wertvollste und knappste Ressource der Telekommunikationsfirmen. Schließlich haben sie allein in Deutschland fast 100 Milliarden Mark für 150 Megahertz (MHz) bezahlt. Die Frequenzen besser zu nutzen ist also bares Geld wert. So braucht das heutige GSM-Netz noch drei bis fünf Hertz an Bandbreite (Differenz zwischen der höchsten und niedrigsten übertragenen Frequenz), um ein Bit pro Sekunde zu übermitteln (0,2 –0,3 bps/Hz). UMTS soll dies bereits mit einem Hertz erreichen (1 bps/Hz) und die effizientesten Verfahren in den Forschungslabors schaffen sogar schon 30 bps/Hz.

"Der Trick dabei ist, mehr von der Energie zu empfangen, die ein Sender abstrahlt. Dadurch verbessert sich das Verhältnis von Signal und Hintergrundrauschen und damit wiederum wächst die erreichbare Datenrate", erklärt Werner Wiesbeck, Leiter des Instituts für Höchstfrequenztechnik und Elektronik der Universität Karlsruhe und Koordinator von "HyEff", einem von mehreren nationalen wie auch europäischen Forschungsprojekten mit einem gemeinsamen Ziel: die Mobilkommunikation leistungsfähiger zu machen.

Dazu müssen die Wissenschaftler lernen, das Problem der Mehrwegeausbreitung besser zu beherrschen. "In dicht bebauten Gebieten wird ein Signal immer wieder reflektiert, gebeugt und gebrochen, bevor es den Empfänger erreicht", erklärt Wiesbeck. "Dieselbe Information kommt also auf einigen hundert Wegen beim Empfänger an. Bisher wird einfach eine dieser Funkwellen herausgefiltert und verstärkt. Das muss aber nicht die optimale sein."

Dem lässt sich in einem Fahrzeug besonders leicht abhelfen: Man baut einige räumlich getrennte Empfangsantennen ein, schaltet sehr schnell zwischen ihnen hin und her und verwendet dann das stärkste der empfangenen Signale. Doch auch mit einem normalen Handy lässt sich so etwas realisieren, wobei hier aber Antennen gewählt werden, die die einlaufenden Signale nicht nach Laufzeiten, sondern nach ihren Polarisationen separieren – also nach den Schwingungsrichtungen der elektromagnetischen Wellen.

Das SDMA-Verfahren (Space Division Multiple Access) wählt einen anderen Trick. Hier werden im Sender mehrere Antennenelemente in ihrer Phase und Amplitude so angesteuert, dass bei der Überlagerung der abgestrahlten Signale die Energie in Richtung Empfänger gebündelt wird; man spricht auch von "Intelligenten Antennen" (Spektrum der Wissenschaft 9/2000, S. 87). Damit kann dieselbe Frequenz in einer Funkzelle mehrfach genutzt werden – nur eben in unterschiedlichen Richtungen. Bis zu 5 bps/Hz sind so zu erreichen. Noch effizienter sind MIMO-Systeme (Multiple Input Multiple Output), die sowohl auf Sender- wie auf Empfängerseite mehrere Antennen nutzen. Bei je vier erreicht ein solches System Verbesserungen um den Faktor 16: "Hier werden im Moment Werte zwischen 8 und 30 bps/Hz gehandelt", versichert Wiesbeck. Alle diese Verfahren ließen sich auch schon in GSM integrieren.

Ein weiteres Problem der UMTS-Mobilfunk-Welt ist, dass die Bewegung von Funkzelle zu Funkzelle den Datendurchsatz reduziert, denn die Signale müssen ständig weitergereicht werden, und das ist aufwändig und kostet Zeit. Hinzu kommt schlichte Physik in Gestalt des Dopplereffekts: Bewegen sich Sender und Handy relativ zueinander, verschieben sich die Frequenzen in den übertragenen Wellenpaketen, und zwar unter Umständen so stark, dass die Informationen nicht mehr korrekt interpretiert werden können. Darum kann die UMTS-Maximalrate von zwei Megabit pro Sekunde nur genießen, wer stationär statt mobil neben einem Sender steht und zudem als Einziger die Funkzelle nutzt. Im Stadtverkehr reduzieren sich die erreichbaren Raten auf 384 kbps oder weniger, und auf der Autobahn kann ein UMTS-Kunde froh sein, wenn er noch ISDN-Geschwindigkeit erhält.

Doch auch hier ist Rettung in Sicht, zumindest für die vierte Generation des Mobilfunks: das ursprünglich für den Digitalen Rundfunk und das Digitalfernsehen entwickelte OFDM-Verfahren (Orthogonal Frequency Division Multiplexing), auch Multi-Carrier-CDMA genannt. Dort werden die Informationen nicht nur auf einem Kanal übertragen, sondern auf viele – beispielsweise 512 – nebeneinander liegende Trägerfrequenzen verteilt und parallel verschickt. Die Frequenzen und die Verschachtelung der Informationen werden so gewählt, dass Echos und Überlagerungen nur minimale Auswirkungen haben. Besonders störanfällige Frequenzen lassen sich ganz ausblenden. Auch der Dopplereffekt spielt kaum eine Rolle, da nur schmale Frequenzbänder übermittelt werden. Die Dopplerverschiebung an den Enden dieser Frequenzbänder ist wesentlich geringer, als wenn ein einziges breites Band übertragen wird. "10 Mbps und mehr ins fahrende Auto zu übertragen ist damit kein Problem", sagt Werner Wiesbeck.

Zweifler mögen nur einen Blick auf das Digitalfernsehen werfen: Da funktioniert die Live-Videoübertragung auch noch im ICE und sogar bei 400 Kilometer pro Stunde. "Diese OFDM-Lösung lässt sich zusätzlich mit den Intelligenten Antennen kombinieren, und man hätte sie auch schon in den UMTS-Standard integrieren können." Allerdings, so schränkt der Fachmann ein, müssen mehrere hundert Frequenzkanäle gleichzeitig verarbeitet werden, und das kann erst die nächste Generation von Mikrochips bewältigen.

Ein fast ketzerisches Konzept verfolgt Professor Bernhard Walke, Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationsnetze an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen und Leiter eines der größten Forschungsteams für Multimedia-Mobilkommunikation in Deutschland: "Wenn Sie am Kiosk Spektrum der Wissenschaft kaufen, klauben Sie nicht Buchstabe für Buchstabe zusammen, sondern kaufen das Magazin am Stück und gehen weiter." Auch beim Mobilfunk brauche der Nutzer nur in sehr wenigen Fällen wie beim Telefonieren Kommunikation in Echtzeit. Das Versenden von E-Mail oder das Herunterladen großer Dateien könne also auch verzögert erfolgen. Und das geht nach Ansicht Walkes mit anderen Verfahren besser als mit UMTS. Er möchte in Städten Sender eines drahtlosen lokalen Funknetzes (Wireless Local Area Network, W-LAN) verteilen, die über Glasfaserleitungen mit einem Festnetz verbunden sind. Selbst an den Pfosten von Verkehrszeichen ließen sie sich unterbringen. "Immer wenn Sie an einer Ampel stehen bleiben, erhält Ihr Handy oder Notebook oder was auch immer Sie benutzen in Sekundenbruchteilen die zuvor angeforderten Daten. Nur die Echtzeit-Kommunikation läuft dann noch über UMTS oder GSM."

Die ersten W-LAN-Netze gibt es bereits: So wurde von dem schweizerischen Start-up-Unternehmen Monzoon Networks gerade ein 11-Mbps-Funknetz entlang des Zürich-Sees in Betrieb genommen, das demnächst auch an Flughäfen in ganz Europa installiert werden soll. In manchen Hotels und Universitäten stehen derartige Netze ebenfalls zur Verfügung, und das EU-Projekt MIND untersucht solche Systeme für den drahtlosen breitbandigen Internet-Zugang. Technisch stehen dahinter bereits definierte Standards wie IEEE 802.11 und HIPERLAN/2 (High Performance Radio LAN). "Insbesondere HIPERLAN/2 ist sehr vielversprechend", sagt Walke. "Man hat eine garantierte Dienstgüte, also festgelegte Parameter wie Durchsatz, Verzögerung oder Verfügbarkeit, und außerdem erreicht dieses Verfahren Datenraten bis 54 Mbps."

Der Empfänger benötigt nur eine entsprechende Steckkarte, und auch auf Senderseite passt die HIPERLAN/2-Basisstation in ein Kästchen der Größe einer halben Zigarrenschachtel – die Sendeleistung ist nur ein Bruchteil der von heutigen Mobilfunksendern. HIPERLAN/2 und IEEE 802.11 senden im Spektrum zwischen fünf und sechs Gigahertz, ein Bereich, der überall auf der Welt lizenzfrei ist. Der einzige Nachteil dieser W-LAN ist zugleich ein Vorteil: Die Ausbreitung der Signale erfolgt "quasi-optisch", das heißt, sie wird durch Mauern oder Büsche stark behindert: In Städten liegt daher die Reichweite unter 30 Metern (bei 54 Mbps). "Das bedeutet aber auch, dass es nicht viele Nutzer pro Zelle geben wird, sodass jeder Einzelne eine sehr hohe Datenrate für sich beanspruchen kann."

Für die Signalweiterleitung von Zelle zu Zelle möchte der Netzwerkspezialist auf ein "Multi-Hop"-Verfahren zurückgreifen: Die einzelnen Stationen geben die Signale so lange weiter, bis sie an einer Basisstation mit Glasfaseranschluss angelangt sind. Auf diese Weise brauchen nur wenige W-LAN-Basisstationen den teuren Glasfaseranschluss, den anderen reicht ein Stromkabel.

Derartige selbst organisierte Verfahren werden unter dem Stichwort "Ad-hoc-Netze" auch für andere künftige Mobilfunksysteme diskutiert. So könnte beispielsweise auch jedes Mobiltelefon als Quasi-Basisstation dienen und die Signale anderer Handys weiterleiten. Doch wie sich ein solches Ad-hoc-Netz selbst organisiert, die Vergütung für die Weiterleitung funktioniert, die Sicherheit am besten gewährleistet und Elektrosmog vermieden wird, sind derzeit heiße Forschungsthemen.

Literaturhinweise


Mobilfunknetze und ihre Protokolle. Von Bernhard Walke. B.G. Teubner Verlag, Stuttgart, 3. Auflage 2001.

UMTS – Ein Kurs. Von Bernhard Walke, Marc Althoff und Peter Seidenberg. Schlembach Verlag, Weil der Stadt, 2001.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2001, Seite 87
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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