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Mainauer Gespräche: Umweltpolitik - eine Sache von gestern?

Dieser Frage gingen Persönlichkeiten aus Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft auf der Bodenseeinsel Mainau nach.


Was ist geschehen? Die Weltmeister im Mülltrennen, die Erfinder des Grünen Punktes, die Nation, die von der Grünen Partei mitregiert wird – ausgerechnet die Deutschen interessieren sich nicht mehr für die Umwelt. Andere Themen wie Arbeit, Frieden, Gesundheit oder auch Freizeit gehen vor. Sozialforscher registrieren ein zunehmendes Desinteresse der Bundesbürger an Umweltfragen.

Das war nicht immer so. Noch im Jahr 1989 stand die Sorge um die Umwelt auf Platz 1 der Prioritäten. Aber "heute rangiert sie irgendwo unter ferner liefen", bestätigt Peter Preisendörfer vom Institut für Soziologie der Universität Rostock den Trend.

Angesichts der drastisch veränderten Werteskala, die – spätestens seit dem 11. September 2001 – derzeit vom Thema Sicherheit angeführt wird, lud der Kreis der "Mainauer Gespräche" zur Diskussion der Frage ein: "Umweltpolitik – eine Sache von gestern?"

Gestern, das waren die mächtigen Protestbewegungen der siebziger Jahre gegen Kernkraftwerke und gegen die Startbahn West. In den achtziger Jahren machte Greenpeace mit Schlauchbooten Jagd auf Walfänger und Dünnsäureverklapper. Aus den Protestbewegungen ging die Partei der Grünen hervor. Saurer Regen und Waldsterben beherrschten die Medien – bis zur Zäsur im Frühjahr 1986: Tschernobyl. Die öffentliche Sorge um die Umwelt, besonders aber um die Sicherheit von Kernkraftwerken führte dazu, dass am 6. Juni 1986 für Umweltschutz und Reaktorsicherheit ein eigenes Ministerium eingerichtet wurde. Drei Jahre später registrierten Meinungsforscher den Höhepunkt des öffentlichen Interesses an Umweltfragen.

Von da an ging es stetig bergab. Heute, so erklärte Peter Graf Kielmannsegg, Politikwissenschaftler an der Universität Mannheim, in seiner Eröffnungsrede der "Mainauer Gespräche" auf der Blumeninsel im Bodensee, habe das Thema Umwelt im öffentlichen Interesse und auf der politischen Agenda erheblich an Bedeutung verloren. Keine Frage: Die Institutionalisierung der ökologischen Bewegung in Parteien und Ministerien hat wesentlich zur allgemeinen Beruhigung beigetragen. Zudem sind an mancherlei Orten Umweltbelastungen effektiv eingedämmt worden. Die Tage der schäumenden Flüsse sind vorbei, der Himmel über Bitterfeld und dem Ruhrgebiet ist so blau wie seit über hundert Jahren nicht mehr, die Mehrzahl der herkömmlichen offenen Müllhalden ist durch effiziente Recyclingmaßnahmen verschwunden, und das langfristige Aus für Kernkraftwerke ist beschlossen.

Die einst akuten Probleme unserer unmittelbaren Umwelt sind also weit gehend ausgeräumt. Ist das Thema Umwelt damit zu Recht "von gestern"? Vielleicht als Thema, nicht aber als Aufgabe, die es zu bewältigen gilt. Die Naturvernichtung verläuft heute meist schleichend: So werden in Deutschland täglich 130 Hektar Boden versiegelt. Hinzu kommen die gravierenden Probleme des Fernbereichs, die sich unserer unmittelbaren und raschen Einwirkungsmöglichkeit entziehen wie etwa beim Klimaschutz. Hier stoßen die Handlungsmöglichkeiten von Nationalstaaten an ihre Grenzen. Typisch ist das Beispiel der USA: Bereits in den sechziger Jahren nahm die Politik dort die Luftreinhaltung sehr ernst, doch heute unterläuft sie die internationalen Bemühungen zum Klimaschutz. National scheint hier, wie im persönlichen Mikrokosmos, die "Low-cost-Strategie" zu greifen. Schmerzgrenzen sind hier Kosten, die Regierungen von Wohlstandsdemokratien ihrer Wählerschaft nicht aufbürden wollen.

Umweltschutz ja – aber bitte ohne Aufwand

Wundert es da, dass sich die Verantwortung auf den eigenen überschaubaren Wirkungsraum beschränkt? Getreu dem Motto: Jeder kehre vor seiner eigenen Tür.

Fragt man Einstellungen ab, dann müsste uns um die Zukunft unserer Umwelt nicht bange sein. Das verbale Bekenntnis geht den Bundesbürgern sehr leicht von der Zunge, stellte Preisendörfers empirische Arbeit fest. Nun ließe sich aber grundsätzlich in Frage stellen, ob die Erhebung nach Mülltrennung und Verbrauch von Energie die entscheidenden Kernpunkte der Umweltproblematik sind. Doch valide sind die Antworten allemal, die Preisendörfer zur These zuspitzt: "Im persönlichen Umweltverhalten folgen Personen mit Umweltbewusstsein überwiegend einer Low-cost-Strategie." Ganz unakademisch: Für die Umwelt tun wir alles. Es darf freilich nichts kosten und keine Mühe bereiten!

Entscheidend ist der persönliche Aufwand. Mehr als kleine Umweltgefälligkeiten sind von real existierenden Bekenntnis-Ökologen nicht zu erwarten. Wenn der Glascontainer weiter weg ist, wandern Flaschen in den Hausmüll, und genauso geht es alten Zeitungen, wenn der Papiersammler nicht gleich unten im Hof steht. Eine "Schmerzgrenze" ist schnell erreicht, wie sich besonders anhand der Debatte um Ökosteuern auf Benzin zeigt.

Wenig erstaunlich: Zwischen Bildung und Umweltbewusstsein besteht ein enger Zusammenhang, ähnlich wie zwischen Bildung und Einkommen. Erstaunen muss aber bei dem hohen Stand an Umweltbewusstsein der Elite, dass diese ungleich mehr Ressourcen verbraucht als die weniger gebildeten Schlechterverdiener. Hier öffnet sich eine Schere: Wer mehr verdient, verbraucht mehr Rohstoffe und mehr Landschaft. Dabei hätten die führenden Köpfe in der besten aller Welten doch die Aufgabe, als Maßstab und Orientierung zu dienen. Doch als Vorbild taugen sie nicht. Weder im Mikro- noch im Makrokosmos. Der Verbrauch von Ressourcen ist offenbar eine lustbetonte Konstante, die sich nicht nach Plänen, Vorschriften, moralischer Verantwortung, sondern nach den vorhandenen Mitteln richtet.

Sind die Medien schuld? Müssten die nicht mehr Aufklärungsarbeit leisten? An dieser Stelle der Diskussion schimmern Gegensätze auf, die an die Fundi-Realo-Debatte der Grünen in den achtziger Jahren erinnert. Während Lutz Spandau, Geschäftsführer der Allianz Umweltstiftung, in den "Mainauer Gesprächen" eine Bringschuld an die Medien anmahnte sowie eine zeitgemäße Öffentlichkeitsarbeit zur Wiederbelebung des Inte-resses forderte, übte sich Preisendörfer in Medienschelte: Unvorbereitet und oberflächlich seien Journalisten, Statements würden verkürzt wiedergegeben. So sei es fraglich, ob es überhaupt Sinn mache, sich mit den Medien zu befassen.

Das ist starker Tobak angesichts einer Gesprächsrunde, deren Plädoyer für mehr Aktivität im Umweltschutz von den geladenen Pressevertretern doch schließlich zu einer Breitenwirkung multipliziert werden soll. Das fand auch Wolfgang Röhrle vom Ministerium für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg. Weil sein Ministerium auf Öffentlichkeit angewiesen ist, sponsert es eine regelmäßige Informationssendung auf dem regionalen Privat-Fernsehsender BTV, eine Art Werbung für einen schonenden Umgang mit der Umwelt.

Mit Umwelt kann man heute gar nicht mehr an die Öffentlichkeit gehen, meint hingegen Ludwig Karg, Vorstandsmitglied der B.A.U.M. AG. Sein Unternehmen vermeidet den Begriff "Umwelt" einfach und kommuniziert statt dessen Fakten. Zum Beispiel, wie der Schadstoff XY industriell und in persönlichen Konsumentscheidungen konkret reduziert werden kann.

Wenig erstaunlich plädierte Josef Bugl als Vertreter der Industrie für eine Abkehr der staatlichen Aufsicht und Verordnungsschwemme zu Gunsten einer Selbstregulierung durch die Unternehmen. Eine Auffassung, die angesichts des Wettbewerbsdrucks im Markt und immer kürzerer Zyklen des Managements allerdings illusorisch scheint. Da-rauf wies Horst Mierheim als Vertreter des Umweltbundesamtes hin. So seien Entschwefelungsanlagen an den Schloten erst eingeführt worden, als entsprechende Vorschriften bestanden.

Vielleicht war das Thema zu breit angelegt, vielleicht waren die Standpunkte zu verschieden und zu sehr bezogen auf den jeweils eigenen Lebensbereich, zog Kielmannsegg am Ende das Fazit der Debatte. Bei aller Bekenntnis der Beteiligten für eine auch künftig lebenswerte Umwelt blieb doch beim Beobachter das mulmige Gefühl zurück, dass der alte Schwung der Bewegung dahin ist. Mit Bezug auf die ganztägig vorherrschende Wetterlage auf und rings um die paradiesische Insel Mainau schloss Kielmanns-egg: "Rückblickend war es ein reiches und fruchtbares Gespräch, auch wenn sich der Nebel weder draußen noch bei der Diskussion ganz aufgelöst hat." Ja – schöner kann man es kaum sagen.


Die Entdeckung der Nachhaltigkeit


"Es lässt sich keine dauerhafte Forstwirtschaft denken und erwarten, wenn die Holzabgabe aus den Wäldern nicht auf Nachhaltigkeit berechnet ist. Jede weise Forstdirektion muss daher die Waldungen des Staates ohne Zeitverlust taxieren lassen und sie zwar so hoch als möglich, doch so zu benutzen suchen, dass die Nachkommenschaft wenigstens ebenso viel Vorteil daraus ziehen kann, als sich die jetzt lebende Generation zueignet."

Georg Ludwig Hartig


Was unterscheidet eigentlich unsere Welt von unserer Um-Welt?


Das Wort "Umwelt" ist seit 1800 im Gebrauch. Laut Herkunfts-Duden ist es ein Lehnwort aus dem Dänischen für "umgebendes Land", "umgebende Welt". In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde es als Ersatz für das bis dahin gebräuchliche französische "milieu" üblich. Zum Fachbegriff wurde es durch den estländischen Biologen Jakob von Uexküll (1864-1944). In seinem Buch "Umwelt und Innenwelt der Tiere" (1909) führte er die "Umwelt" ein, um den Wahrnehmungsinhalt eines Organismus zu beschreiben: "Jede Umwelt bildet eine in sich geschlossene Einheit, die in all ihren Teilen durch die Bedeutung für das Subjekt beherrscht wird." Definition Umwelt: "Die auf einen Organismus einwirkende, unbelebte und belebte Umgebung, auf die er sich im Rahmen seiner ererbten Eigenschaften in Bau, Funktion und Verhalten anpasst."

Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 2002, Seite 100
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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