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Umweltverhalten zwischen Egoismus und Kooperation

Sozialwissenschaftlichen Untersuchungen zufolge bietet hohes Umweltbewußtsein noch lange keine Gewähr, daß der Betreffende daraus Konsequenzen für sein eigenes Verhalten zieht. Vielmehr müssen Anreize zum Schonen der Umwelt hinzukommen.


In einer Untersuchung, die Peter Preisendörfer und ich von den Instituten für Soziologie der Universität München beziehungsweise Bern geleitet haben, wurden 1365 zufällig ausgewählte Personen aus Bern und München telephonisch zu zahlreichen Aspekten des Umwelthandelns in den Bereichen Verkehr, Energiesparen, Konsumverhalten und Recycling befragt. Die Ergebnisse lassen eine sehr hohe Sensibilität gegenüber den angesprochenen Problemen erkennen. Nur eine Minderheit von rund einem Fünftel der Bevölkerung verschließt demnach die Augen vor einer krisenhaften Zuspitzung der Umweltsituation.

Etwa drei Monate nach der Bern-Münchener Umwelterhebung erhielten alle Befragten der Berner Stichprobe einen professionell aufgemachten Prospekt der (fiktiven) Drogerie "Sansal", der ihnen um bis zu 80 Prozent verbilligte Markenartikel offerierte. Zum (angeblichen) Grund hieß es: "Wegen der zu erwartenden strengeren Umweltschutzgesetzgebung müssen die Lager mit FCKW-haltigen Artikeln geräumt werden." In dem beigelegten Rückantwortschreiben mit Freikuvert konnte man als Indikator der Kaufabsicht – einen Katalog anfordern oder das Angebot zurückweisen (Bild 1).

Von den mehr als 40 Antworten bestand die Hälfte aus Katalogbestellungen. Interessant ist der Vergleich der faktischen Reaktionen mit den Antworten in den Telephon-Interviews drei Monate zuvor: Handelt es sich bei den Katalogbestellern um Personen, die dem Umweltproblem gleichgültig gegenüberstehen oder völlig uninformiert sind? Ganz und gar nicht. Die große Mehrheit der Kaufinteressierten wußte laut Befragung um die schädlichen Folgen von Fluorchlorkohlenwasserstoffen für Ozonschicht und Klima. Und rund drei Viertel hatten etwa die Aussage bejaht: "Wenn wir so weitermachen wie bisher, steuern wir auf eine Umweltkatastrophe zu!"

Zwar ist die Zustimmungsquote im Durchschnitt der Befragten und insbesondere bei den Personen, die das Katalogangebot brieflich zurückwiesen, noch höher (was für einen gewissen Einfluß des Umweltbewußtseins spricht); doch absolut gesehen demonstriert das Ergebnis unseres Experiments gravierende Unterschiede zwischen Einsicht und konkretem Handeln.

Das Umweltproblem als soziales Dilemma


Aus der Sicht der Spieltheorie wird das Mißverhältnis zwischen Sollen und Tun durchaus verständlich. Eine intakte Umwelt ist ein Kollektivgut, von dessen Konsum niemand ausgeschlossen werden kann. Mithin werden nicht-kooperative Entscheidungen belohnt, da Trittbrettfahrer auch dann in den Genuß des Kollektivguts kommen, wenn sie selbst zur Verbesserung der Umweltsituation nicht beitragen. Dieser Logik folgen Personen, Firmen und Regierungen. Der Beinahe-Bankrott des dualen Systems hat aufgedeckt, daß zahlreiche Unternehmen zwar gern den grünen Punkt auf ihre Verpackungen drucken, die Bürde der finanziellen Beiträge zur Entsorgung der gelben Säcke aber lieber ihren Konkurrenten überlassen.

Genauer gesagt entspricht die Entscheidungsstruktur bei vielen Umweltproblemen einer Verallgemeinerung des in der Spieltheorie paradigmatischen Gefangenendilemmas auf mehrere Personen (Spektrum der Wissenschaft, Mai 1994, Seite 36).

Angenommen, 40 Spieler können sich für die Alternative X oder Y entscheiden, wobei die Auszahlung für X-Wähler 2x, für Y-Wähler dagegen 3x + 3 beträgt (x bezeichnet die Anzahl der X-Wähler). In der Regel wird die Mehrheit der Teilnehmer "Y" wählen, denn offensichtlich garantiert diese Entscheidung stets höhere Auszahlungen, unabhängig von der Anzahl der X-Wähler. Spieltheoretisch gesehen ist die Wahl von Y eine dominierende Gleichgewichtsstrategie.

Letztlich ist das Ergebnis aber auch für die Y-Wähler ungünstiger, als wenn sämtliche Spieler sich auf die kooperative Alternative X geeinigt hätten. Wenn von 40 Teilnehmern l0 X und 30 Y wählen, erhalten die kooperativen X-Wähler je 20 und die Y-Wähler 33 Punkte. Hätten sich hingegen alle 40 Spieler für Kooperation entschieden, dann könnten sie sich über einen Gewinn von 80 Punkten freuen.

Kooperation auf freiwilliger Basis ist in dem Mehr-Personen-Dilemma ziemlich unwahrscheinlich. Nur wenn der Sondervorteil der nicht kooperativen Y-Wahl gering ist oder die Spieler altruistische Motive haben, stark ideologisch gebunden sind oder aus dem umweltgerechten Verhalten an sich einen moralischen Gewinn ziehen, wird in realistischen Alltagssituationen die X-Option nicht die Ausnahme bleiben. In der Regel läßt sich kooperatives Verhalten ausschließlich dann in größerem Maßstab und dauerhaft durchsetzen, wenn die Spielregeln – sprich die Anreizstrukturen – verändert werden. Beispielsweise sollten die Preise die tatsächlichen Kosten (inklusive der externen Kosten der Umweltschädigung) widerspiegeln.

Eine Möglichkeit wäre die Erhebung einer Öko-Steuer. Belastet man in unserem Experiment die Y-Wähler mit einer Abgabe von etwas mehr als x + 1 Punkten, so entfällt der Anreiz für die Y-Option; die individuell rationalen Strategien ergeben dann ein soziales Optimum, bei dem jeder einzelne Spieler im Vergleich zur Ausgangssituation besser gestellt ist. Die Kunst der Umweltpolitik besteht darin, die Anreizstrukturen derart zu verändern, daß die individuell-rationalen Strategien gleichsam automatisch und auf freiwilliger Basis in ein Kooperationsgleichgewicht münden.

Dies ist keineswegs nur graue Theorie. Beispiele für eine entsprechende Umweltpolitik sind die "Ökobonus"-Idee von Schweizer Umweltverbänden (Autofahrer mit hoher Jahreskilometerleistung zahlen an Wenig-Fahrer und Fußgänger Kompensationen, die mit geringem Verwaltungsaufwand bei der Jahressteuer verrechnet werden) sowie die "ökologische Steuerreform" des Umweltwissenschaftlers Ulrich von Weizsäcker (Spektrum der Wissenschaft, März 1993, Seite 104).

Die "Allmende-Klemme "


Daß auch bei ausgeprägtem Umweltbewußtsein falsch gesetzte Anreize die Übernutzung knapper Ressourcen oder gar ökologische Desaster verursachen, führt das sogenannte Allmende-Dilemma vor Augen. Ähnlich dem gemeinsamen Weideland in vergangenen Zeiten ist eine Allmende eine Ressource, die den Mitgliedern einer sozialen Gruppierung zur freien Verfügung steht: im globalen Rahmen etwa die Lufthülle der Erde, die Weltmeere, der tropische Regenwald; in kleinerem Maßstab der Fahrzeugpool einer Firma, ein gemeinsam genutztes Kopiergerät, der Kühlschrank einer Wohngemeinschaft oder der Wasser- und Heizungsverbrauch in einem Mietshaus mit gemeinsamer Abrechnung. In Allmende-Situationen wird typischerweise das freie Gut zum Schaden aller übernutzt.

Dieser Effekt läßt sich gut an sozialpsychologischen Allmende-Experimenten studieren ( Spektrum der Wissenschaft, Februar 1991, Seite 19). Meist wird am Computer eine Art Fischteich-Spiel mit mehreren Fangrunden simuliert. Die Spieler können in jeder Runde Fangquoten angeben, die bei optimalem Spielverlauf – das heißt mit kooperativen Strategien – in der Summe das Bestandsniveau konservieren. Statt dessen kündigt sich aber auch bei intelligenten und informierten Spielern in den meisten Fällen schon nach wenigen Runden eine ökologische Katastrophe auf dem Bildschirm an. Die Fangquoten liegen in der Regel weit über dem zur Regeneration erforderlichen Niveau.

Freilich ist die bloße Existenz einer Allmende im allgemeinen noch keine hinreichende Bedingung für ihre übermäßige Nutzung. Die Ausbeutungsdynamik setzt erst dann ein, wenn durch neue Technologien (etwa High-Tech-Fischfangflotten mit Schleppnetzen und Echolot), ungleiche Machtverhältnisse oder explodierende Nachfrage (zum Beispiel nach Elfenbein) die traditionelle Allmendenutzung gesprengt wird. Dies ist anhand zahlreicher historischer Beispiele belegbar ( Spektrum der Wissenschaft, Januar 1994, Seite 20).

Umgekehrt gibt es Beispiele, daß neue Techniken den Raubbau an der Natur stoppen helfen. Die dramatische Übernutzung des Weidelandes im Westen der Vereinigten Staaten durch Rinderherden hat in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der simplen Erfindung des Stacheldrahts ein Ende gefunden. Binnen weniger Jahre war die gesamte Prärie eingezäuntes Weideland, für dessen Nutzung die Farmer individuell bezahlen mußten.

In unserer Bern-Münchner Erhebung zum Umweltbewußtsein zielten einige Fragen auch auf das Energiesparverhalten sowie auf Art und Höhe der Heizkostenabrechnung. Beispielsweise wollten wir wissen, ob die interviewte Person die Heizung herunterdreht, wenn sie die Wohnung im Winter mehr als vier Stunden verläßt (Bild 2).

Überraschenderweise wurde diese Frage von weniger als einem Viertel der Berner, aber von mehr als zwei Dritteln der Münchner bejaht. Ein derart extremer Unterschied kann nicht zufällig sein. Wie die gleichzeitig erhobenen Daten über die Einstellung zur Umwelt ergaben, beruht er auch nicht auf Unterschieden im ökologischen Bewußtsein. Nicht aus größerer Sorge um die Natur sind die Münchner eher geneigt, Energie zu sparen, als die Eidgenossen. Das Rätsel löst sich, wenn man den Abrechnungsmodus für die Heizkosten vergleicht: In den Berner Haushalten wird überwiegend nach der Umlageregel (also gemeinsam und nachträglich aufgeschlüsselt nach der Wohnungsgröße), in München dagegen individuell nach Verbrauch abgerechnet.

Ist Umweltbewußtsein bedeutungslos?


Verändert somit nur die Ökonomie, nicht aber die Moral wirksam das Umweltverhalten? Derart zugespitzt ist die Frage sicherlich zu verneinen. Zwar sind Appelle an das Umweltbewußtsein allein in ihrer Wirksamkeit begrenzt. Hohes Umweltbewußtsein kann das Handeln aber dann positiv beeinflussen, wenn dabei relativ geringe materielle Kosten, Mühen und Unbequemlichkeiten entstehen; dies ergaben multivariate statistische Analysen der Daten aus der Bern-Münchner Umweltbefragung, bei denen soziale Faktoren wie Alter, Bildung oder Geschlecht berücksichtigt wurden. Beispiele sind das Einkaufsverhalten und die Abfallsortierung. Beim Verkehrsverhalten und Energiesparen ist dagegen für die meisten Menschen ein Verzicht wohl mit erheblichen Kosten verbunden, so daß auch die Befragten mit überdurchschnittlich hohem Umweltbewußtsein ihrer Überzeugung nicht entsprechende Taten folgen ließen.

Anreizlösungen wie eine ökologische Steuerreform müssen allerdings erst einmal politisch durchgesetzt werden. Eine Neuorientierung der Umweltpolitik wird in Demokratien deshalb erst dann eine Chance haben, wenn die Wähler nicht nur über ein hohes Umweltbewußtsein verfügen, sondern ihrer Sensibilität für Umweltfragen auch mit dem Stimmzettel Ausdruck verleihen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1994, Seite 20
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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