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Unsere Umwelt. Einsichten in ein komplexes System

snk, Altenkessel bei Saarbrücken 1995.
352 Seiten, DM 38,-.

Der Inhalt des Buches ist weniger düster und negativ, als der Titel erwarten läßt. Das Wörtchen "um", das seinem verneinenden Klangverwandten im Titel weichen mußte, wird im Inhalt voll entfaltet. Das beschränkt sich nicht auf die mehr oder weniger grünen Wiesen. Um uns herum und damit Teil unserer Umwelt ist Nahes wie die Kleidung auf unserer Haut und Fernes wie die Traumziele einstiger Kolonialherren und moderner Touristen. Das Anliegen von Henriette Peisl ist es, aufzuzeigen, wie die scheinbar verschiedensten Vorgänge in unserer Umwelt untrennbar verzahnt sind. So scheut sie weder die Erklärung chemischer Reaktionen noch diejenige marktpolitischer Strategien.

Die Autorin hatte während langjähriger Mitarbeit in einer internationalen Wirtschaftskanzlei in den USA erste Kontakte zu Umweltschutzgruppen. In dem vorliegenden Werk will sie unter anderem den Beweis antreten, daß das für die umweltpolitische Diskussion nötige naturwissenschaftliche Fachwissen auch Laien zugänglich ist. Für den einschlägig vorgebildeten Leser ist das Buch darum nicht weniger interessant zu lesen.

Mit wenigen Ausnahmen ist der Autorin das Erläutern physikalischer und chemischer Zusammenhänge mit einfachen Worten hervorragend gelungen. Daß sie allerdings das Weltall als lebensfeindlich bezeichnet, wirkt polemisch und geozentrisch, selbst wenn es in der edlen Absicht geschieht, die Einzigartigkeit des Lebensraums Erde zu betonen.

Dagegen ist sie mit dem gut gemeinten Versuch, das Schisma zwischen Geistes- und Naturwissenschaften zu überwinden, im wesentlichen gescheitert. Obwohl die Absicht, ein Bewußtsein für einen sorgfältigen Umgang mit der Natur nicht nur vom Kopf, sondern vom ganzen Gefühlsleben her zu entwickeln, positiv zu bewerten ist, bleibt das einführende Kapitel "Ansichten, Betrachtungen und Wahrnehmungen" unbefriedigend. Allzusehr widersprechen sich die hier getroffenen Aussagen. Mal sind die Naturwissenschaftler vom Dämon des Determinismus besessen, dann wieder sind sie die willkommenen Experten, die ja schon lange wissen, daß diese Welt nicht objektivierbar ist. Nicht zu knapp wird in diesem Kapitel New-Age-Literatur zitiert – mit einem Schmunzeln läßt sich s ganz gut lesen.

Die Umweltdiskussion ist zur Zeit so heftig im Gange, daß jedes Buch auf diesem Gebiet Gefahr läuft, allzuoft Gehörtes noch einmal zu verbreiten, dem Leser wichtige Informationen vorzuenthalten oder beides auf einmal. Das sollte man dem Buch zugute halten, wenn man nicht einsieht, warum hier schon wieder von der Bedrohung des Regenwaldes und derjenigen der Meere, von Fluorchlorkohlenwasserstoffen und dem Ozonloch die Rede sein muß. Anderes, wie der Mythos von dem verpackungsfreundlichen gelben Sack mit dem grünen Punkt, wird noch nicht einmal tangiert – vielleicht weil er unter der Würde des Buches ist? Auch fehlen liebevolle Rechnungen von Fahrradfreaks, die zeigen, daß ein Mercedes viel langsamer ist als ein Fahrrad – die Arbeitszeit zum Verdienen der Kosten des jeweiligen Vehikels mit eingerechnet.

Andererseits findet sich in dem reichhaltigen Material, das die Autorin, teilweise auch aus erster Hand aufgrund von Gesprächsnotizen und Interviews, zusammengetragen hat, immer wieder Neues, gerade wenn es um die Diskussion von Alternativen zur herkömmlichen Praxis geht. Wissenswert ist zum Beispiel das Konzept des "Dept for Nature Swap"; damit ist ein Schuldenerlaß für Entwicklungsländer im Tausch gegen Naturschutz gemeint. So haben beispielsweise die Tierschutzstiftung World Wildlife Fund und die Organisation Conservation International Schuldtitel von Regierungen übernommen, die sich im Gegenzug zu Naturschutzmaßnahmen verpflichteten. Interessant ist auch das Konzept von Kurzzeit-Leihwagen in Innenstädten zur Verbesserung der lokalen Luft: Über Codekarten soll die Nutzungsberechtigung für Solar- oder Elektroautos erworben werden, die an eigens dafür eingerichteten Haltestellen zur Verfügung stehen sollen.

Die Autorin erkennt deutlich die Ambivalenz der modernen Forschung, neben den Gefahren auch den Nutzen und den Segen des Fortschritts. So ist das Buch auch nicht generell forschrittsfeindlich. Beispielsweise erwähnt sie – bei heftiger Kritik im allgemeinen – lobend Staudammprojekte, die ihren Zweck erfüllen, ohne überdimensioniert zu sein, wie im Falle von zehn kleinen Staudämmen in Mali. Ein weiteres erfreuliches Beispiel umweltverträglicher Entwicklung ist ein UNICEF-Projekt in Brasilien mit dem Ziel der Verwendung natürlicher und lokal verfügbarer Materialien bei der Ausstattung von Bussen.

Notwendige Voraussetzung für das Durchbrechen der Teufelskreise, bei denen kurzfristige materielle Interessen einem schonenden Umgang mit der Natur übergeordnet werden, ist ein Wertewandel; das ist nicht neu. Aber die Autorin macht Mut mit dem Hinweis, daß es einen solchen Wertewandel in jeder Gesellschaft stets gegeben hat. An dieser Stelle zeigt das Buch wieder seine Stärke: bei aller Kritik Alternativen nennen und Perspektiven deutlich machen zu können.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1996, Seite 128
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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