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Unsichere Zukunft des höheren Schweizer Bildungswesens

Zwar steht ihr Lehrkörper vor einer Erneuerung, aber auch die zehn Hochschulen der Eidgenossenschaft haben mit Modernisierungs-, Struktur- und Budgetproblemen zu kämpfen.

Rund 40 Prozent aller Lehrstühle an Schweizer Hochschulen werden bis zum Jahre 2000 ihre Inhaber wechseln, denn bis dahin kommen ungefähr 1000 Professoren ins Pensionsalter – bei 6,3 Millionen Einwohnern eine erhebliche Zahl. Wie ist es um die Nachfolge bestellt in einem Land, wo die Chancen einer Hochschulkarriere als unsicher eingestuft werden und eine außeruniversitäre Beschäftigung mit größerer Attraktivität lockt?

Überalterung des Lehrkörpers

Wie die Hochschulpersonalstatistik des Bundesamtes für Statistik in Bern zeigt, hat der Anteil an älteren Professoren im Laufe der achtziger Jahre deutlich zugenommen. Waren 1981 erst 55 Prozent über 50 Jahre alt, erhöhte sich dieser Anteil 1990 auf 63 Prozent. Diese ungünstige Altersstruktur ist Folge des in den Jahren 1960 bis 1973 betriebenen kräftigen Stellenausbaus.

Prozentual am meisten Rücktritte verzeichnet der Fachbereich Medizin; fast die Hälfte der Lehrkräfte ist zu ersetzen. In den Naturwissenschaften und der Mathematik warten 90 Lehrstühle auf Nachwuchs, und schon bis 1995 müssen die beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen (ETH) in Lausanne und Zürich 45 ingenieurwissenschaftliche Professuren neu besetzen. An der Hochschule St. Gallen (HSG) für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften tritt knapp ein Viertel der Dozenten in den Ruhestand.

Die Ausbildung von qualifiziertem akademischem Nachwuchs ist in der Schweiz eines der vordringendsten Probleme der neunziger Jahre. Angesichts der leeren Kassen von Bund und Kantonen sowie der steigenden Ausgaben der Hochschulen für Lehre und Forschung stellt sich die Frage, welcher minimale Personalbestand nötig ist, um die studentische Betreuung überhaupt noch sicherzustellen.

Hochschulgröße und Personalbestand

Nicht die Zahl der Studierenden ist ausschlaggebend für den Personalbestand einer Hochschule, sondern der angebotene Katalog von Studienfächern. So beschäftigte beispielsweise die ETH Zürich 1990 mit mehr als 4200 Vollzeitstellen am meisten Personal unter den Schweizer Hochschulen. Grund dafür ist, daß die Natur- und Ingenieurwissenschaften wesentlich personalintensiver sind als die Geistes- und Sozialwissenschaften. Dies untermauern auch die Zahlen der ETH Lausanne: Gemessen an der Anzahl der Studierenden gehört sie zu den kleineren Hochschulen, wie etwa die Hochschule St. Gallen, beschäftigt aber dreimal so viel Personal wie jene.

Recht unterschiedlich ist es um die Betreuungssituation bestellt. Nehmen wir als Indikator die Anzahl Studierender pro Vertreter des Lehrkörpers (Professoren und Dozenten zusammengezählt), liegt der gesamtschweizerische Durchschnitt bei 40. Die komfortabelste Situation weist die Universität Neuenburg auf: Rund 26 Studierende kamen hier 1990 auf einen Lehrenden. Mehr als doppelt so viele waren es an der HSG und der Universität Zürich. Dabei schwankt das Verhältnis je nach Unterrichtsfach – in den Wirtschafts- und Rechtswissenschaften hat ein Professor oft mehr als 70 Studierende zu betreuen, in naturwissenschaftlichen Disziplinen, aber auch in der Theologie um die 20.

Unterrepräsentanz der Frauen

Während weibliches Personal im administrativen Bereich in der Überzahl ist, sind Frauen um so geringer vertreten, je höher es die Sprossen der universitären Karriereleiter hoch geht: Sie erwerben immerhin ein Drittel der Lizentiate (also der ersten akademischen Grade), aber nur 22 Prozent promovieren, und lediglich 7 Prozent habilitieren sich; ihr Anteil an den Professorenstellen beträgt – obschon Frauen im vergangenen Jahrzehnt aktiver in akademischen Funktionen mitzuwirken begannen – nicht einmal 4 Prozent.

Im Schweizer Hochschulbild schneidet die Universität Genf mit einem Frauenanteil von 27 Prozent unter den Lehrenden noch am besten ab. Während akademische Stellen an den Universitäten Lausanne und Zürich zu einem Viertel mit Frauen besetzt sind, sind es an den beiden ETH und der HSG bloße 10 Prozent. Den größten Zustrom weiblicher Lehrkräfte verzeichnen jene Fachbereiche, in denen auch die Studentinnen die Mehrheit stellen. Dies betrifft vor allem die Geistes- und Sozialwissenschaften. Dagegen ist weibliches akademisches Personal in den Ingenieurwissenschaften – in der Gunst der Studentinnen auf unterster Stufe – sowie in den exakten Wissenschaften außerordentlich spärlich vertreten. Lehrstühle sind an der Universität Genf lediglich zu 5 Prozent mit Frauen besetzt, an den Universitäten Bern, Neuenburg und Zürich etwa zu 3,5 Prozent, was dem gesamtschweizerischen Durchschnitt entspricht. An der ETH Lausanne war 1990 nur ein einziger Lehrstuhl in weiblichen Händen, an der HSG bekleidete keine einzige Frau dieses Amt.

Verstärkt hat sich in den letzten zehn Jahren die Zunahme an ausländischen Lehrkräften. Sie stellen heute bereits ein Viertel des akademischen Personals in der Schweiz und hatten 1990 fast ein Drittel der Lehrstühle inne.

Reduziertes Förderprogramm

Wie gedenkt der Staat in dieser Situation dem drohenden Rekrutierungsproblem zu begegnen? Im Rahmen seiner Sondermaßnahmen zur akademischen Nachwuchsförderung beschloß der Bund Anfang des vergangenen Jahres, im Zeitraum 1992 bis 1995 mit einer Finanzspritze von 106 Millionen Franken an die acht kantonalen Hochschulen und 24 Millionen Franken an die beiden ETH gezielt in den prekären Bereichen Verbesserungen zu ermöglichen. Das besondere Augenmerk gilt dabei der Erhöhung des Frauenanteils, attraktiveren Konditionen für vielversprechende Hochschulabsolventen, die sonst in die Privatwirtschaft oder in das Ausland gingen, Auffangstellen für aus dem Ausland zurückkehrende hochqualifizierte Schweizer Forscher und Maßnahmen für günstigere Betreuungsverhältnisse.

Aktiv kümmert sich der Schweizerische Nationalfonds (SNF) um den wissenschaftlichen Nachwuchs. Mit seinen Stipendienprogrammen unterstützt er junge Forscher, die sich nach ihrem Studiumabschluß weiterbilden möchten. Dafür investierte der SNF seit 1988 durchschnittlich 19,5 Millionen Franken pro Jahr.

Inzwischen sind jedoch die Schweizer Universitäten erheblich von Budgetkürzungen betroffen. Ab 1. Oktober 1992 stehen den kantonalen Hochschulen statt der bewilligten sechs lediglich drei Millionen Franken jährlich für Nachwuchsförderung zur Verfügung, und die beiden ETHs haben sich mit knapp einer Million Franken zu begnügen. Wie mit solch kurzsichtigen Rotstiftstrichen in lebenswichtigen Bereichen wie Bildung und Forschung die anstehenden Probleme zu lösen sind, dürfte nun eine Denksportaufgabe für die Schweizer Parlamentarier sein.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1993, Seite 121
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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