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Unter dem gelben Wagen


Die Deutsche Post erprobt derzeit in mehr als 60 Elektrofahrzeugen Zink-Luft-Batterien. Bei dem zweijährigen Flächentest unter Alltagsbedingungen soll deren Gebrauchstüchtigkeit und Wirtschaftlichkeit nachgewiesen werden, nachdem Hochschulinstitute und der TÜV Bayern die prinzipielle Einsatztauglichkeit bereits 1993 bestätigt hatten. Damals ergaben Versuche auf dem Prüfstand und bei Freifahrten – mit einem posttypischen Transportfahrzeug – bei voller Ladung der Batterie eine Reichweite von mehr als 300 Kilometern, eine maximale Geschwindigkeit von 120 Kilometern pro Stunde und eine Beschleunigung von 0 auf 80 Kilometer pro Stunde in zwölf Sekunden. Als Energieinhalt der Batterie wurden etwa 200 Wattstunden pro Kilogramm ermittelt. Auch nach einem Wochenende in der Kältekammer bei minus 20 Grad Celsius war die Funktion nicht beeinträchtigt. Motiviert wurde die Post zu diesem Test, weil sie beabsichtigt, einen größeren Teil ihrer Fahrzeugflotte auf elektrischen Antrieb umzurüsten und so Emissionen von Schadstoffen zu verringern. Die Entscheidung für die ungewöhnliche, von der israelischen Firma Electric Fuel (EFL) entwickelte Batterie begründete die Post 1993 mit Nachteilen anderer Systeme – zu hoher Preis, mangelnde Leistungsfähigkeit, lange Ladezeiten, potentielle Gefahren bei einem Unfall oder giftige Inhaltsstoffe. Bereits dem amerikanischen Erfinder Thomas Alva Edison (1847 bis 1931) war bekannt, daß sich aus Zink und Luftsauerstoff Strom erzeugen läßt. Bei einer solchen Batterie gibt das Zink am Minuspol (der Anode) Elektronen ab und wandelt sich dabei in das zweifach positiv geladene Zink-Ion um. Die Elektronen reduzieren am Pluspol (der Kathode) Sauerstoff zu O2--Ionen, die mit Wasser zu Hydroxid-Ionen (OH-) reagieren. Diese wandern durch die Membran, die Anoden- und Kathodenraum trennt, und verbinden sich mit den Zink-Ionen zu Zinkoxid und Wasser. Die Realisierung einer leistungsfähigen Batterie scheiterte bislang aber daran, daß nur eine schwammartige Zink-Elektrode die für die Reaktion nötige große Oberfläche bietet, zu deren Herstellung erforderliches Zinkpulver aber an der Luft explosionsartig verbrennt. Die EFL-Mitarbeiterin und Physikerin Ina Gatkin löste das Problem durch eine passivierende Oxid-Schutzschicht um jedes Pulverkörnchen, so daß sich das Material gefahrlos handhaben läßt. Der Elektrolyt Kalilauge löst die Schicht wieder ab, wobei Kaliumzinkat entsteht. Dank der hohen Porosität ist auch das Gewicht der Zink-Elektrode gering. Gleiches gilt für die Luftelektrode, die aus Teflon und Kohlenstoff besteht. Zur Versorgung dient ein Gebläse; schaltet man es ab, bricht die Reaktion zusammen. Batterie- und Automobilhersteller kritisieren, daß man diese Art von Batterie nicht per Steckdose nachladen kann (es entstünden mit jedem Zyklus Zinkablagerungen, die über kurz oder lang einen Kurzschluß zur Folge hätten). Das Konzept von Electric Fuel sieht deshalb einen Austausch der verbrauchten Elektrode und ihre chemische Regeneration in einer geeigneten Anlage vor. Damit erfordert dieses System eine eigene Infrastruktur. Für einen Flottenbetreiber mit zentralen Standorten ist das aber kein sonderlicher Nachteil, zumal das Wechseln wesentlich schneller erledigt sein soll als das Nachladen bei gängigen Batterietypen. Im Flächentest kooperiert die Post mit den Stadtwerken Bremen, wo eine Regenerationsanlage eingerichtet wurde. Insgesamt 64 Elektrofahrzeuge von Opel und Mercedes-Benz sollen dort in den nächsten zwei Jahren weitgehend automatisch mit neuen Elektroden versorgt werden. Die Wagen werden dazu in einer speziellen Auffahreinrichtung positioniert und angehoben, denn die Batterie ist nur von der Wagenunterseite her zugänglich. Innerhalb von fünf Minuten soll sie ausgewechselt sein. In der Regenerationsanlage wird das Zinkoxid in Zinkat umgesetzt und dann elektrolytisch wieder in das Metall überführt. Materialverluste sollen dabei nicht auftreten; der Kreislauf ist demnach völlig geschlossen. Nach etwa einem Jahr hofft man aus den beim Probebetrieb ermittelten Daten Haltbarkeit, Leistungsvermögen und Wirtschaftlichkeit des Systems abschätzen zu können. Dann sollte auch deutlich werden, ob der zweite Vorwurf gegen die Zink-Luft-Batterie berechtigt ist: Da man sie nicht einfach laden kann, ginge der beim Austausch der Elektroden noch vorhandene Energieinhalt verloren. Der Ausgang dieses Tests dürfte mit darüber entscheiden, ob es dennoch günstig ist, Nutzfahrzeugflotten von Diesel- auf Elektroantrieb umzustellen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1996, Seite 100
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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