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Urease - nur eine weitere Enzymstruktur?

Die Zahl der aufgeklärten Enzymstrukturen mit guter bis sehr guter Auflösung geht inzwischen in die Hunderte bis Tausende. Wenn eine Publikation auf diesem Gebiet also noch Aufsehen erregt, dann zeigt das die Bedeutung des untersuchten Biokatalysators - in diesem Falle sowohl für die Wissenschaftsgeschichte als auch für die Pharmazie und Agrarbiologie.

Die Idee, Enzyme könnten Proteine und noch dazu kristallisierbar sein, so beschied man James Batcheller Sumner (1887 bis 1955) im Jahre 1921, sei einfach absurd. Mit dieser Begründung wurde der Antrag des Wissenschaftlers von der Cornell-Universität in Ithaca (US-Bundesstaat New York) auf ein Auslandsstipendium in Brüssel abgelehnt. Damals galten Enzyme als kleine Moleküle mit katalytischen Fähigkeiten, die nur zum Schutz oder zur Stabilisierung in einen Kolloidträger eingebettet seien. Gewicht verlieh dieser Auffassung vor allem die Autorität Richard Willstätters (1872 bis 1942), der 1915 für seine Arbeiten über Pflanzenpigmente wie das Chlorophyll den Nobelpreis für Chemie erhalten hatte.

Sumner ließ sich jedoch nicht beirren und berichtete 1926 in einem kaum beachteten Artikel über die Kristallisation – und damit Reinigung – der Urease aus der Schwert- oder Jackbohne (Canavalia ensiformis). Dieses Enzym spaltet Harnstoff in Ammoniak und Kohlendioxid – eine Abbaureaktion, die es den Pflan-zen ermöglicht, Stickstoff aus tierischen Ausscheidungen aufzuschließen und in ihren eigenen Stoffwechsel einzuschleusen. Mit der erfolgreichen Reinigung glaubte Sumner demonstriert zu haben, daß es sich bei dem Enzym tatsächlich um ein Protein handle, das keine anderen katalytisch wirksamen Gruppen enthält.

Damit hatte er, wie man heute weiß, allerdings nur fast recht; die Urease enthält nämlich zwei Atome Nickel im aktiven Zentrum, die mit den damaligen Analysenmethoden freilich nicht nachweisbar waren.

Sumner wirkte außerdem an der Isolierung der Lektine Concanavalin A und B sowie der Katalase und einiger ande-rer wichtiger Enzyme mit. Anerkennung fand er jedoch erst, als John Howard Northrop (1891 bis 1987) ab 1930 – zum Teil in Zusammenarbeit mit Moses Kunitz (1887 bis 1978) – durch die Kristallisation der Verdauungsenzyme Trypsin, Pepsin und Chymotrypsin die Auffassungen des Außenseiters bestätigte. Sumner und Northrop erhielten für ihre Untersuchungen 1946 zusammen mit dem Virologen Wendell M. Stanley (1904 bis 1971) den Nobelpreis für Chemie.

Fast 70 Jahre nach Sumners bahnbrechender Veröffentlichung haben nun die Arbeitsgruppen von Robert P. Hausinger an der Cornell-Universität und von P. Andrew Karplus an der Staatsuniversität von Michigan in East Lansing die Struktur der Urease des Bakteriums Klebsiella aerogenes bis auf zwei Ångström genau bestimmt ("Science", Band 268, Seite 998, 19. Mai 1995). (Die Auflösung von Kristallstrukturen wird aus Praktikabilitätsgründen nach wie vor in dieser Einheit statt in Nanometern angegeben.) Damit ermöglichten sie neue Einblicke in die Wirkungsweise des aktiven Zentrums, in dem die katalysierte chemische Reaktion stattfindet.

Demnach nutzt die Urease eine ähnliche Konstruktion wie die Ribulose-1,5-bisphosphat-carboxylase/Oxygenase (Rubisco), die bei der pflanzlichen Photosynthese Kohlendioxid (CO2) bindet und damit fast die gesamte biologische Materie auf unserem Planeten aufbauen hilft. Hier wie dort spielt als Bindungspartner für die beiden Metallatome (Nickel bei der Urease, Kupfer bei Rubisco) ein Lysin-Rest eine große Rolle, an den sich ein Molekül CO2 gebunden hat.

Bei der Urease überbrückt er die beiden Nickelatome und bringt sie dadurch dicht zusammen. An eines von ihnen lagert sich der Harnstoff an, während das andere ein Wassermolekül trägt. Dieses kann leicht ein Proton abgeben, und das zurückbleibende Hydroxyl-Ion greift dann den Harnstoff an – ein scheinbar umständlicher Mechanismus, durch den sich die Reaktion aber um den Faktor 10 E14 (100 Billionen) beschleunigt.

Die Kenntnis des aktiven Zentrums und des chemischen Reaktionsmechanismus ist von großer Bedeutung für die Entwicklung von Hemmstoffen für dieses Enzym. Außer Klebsiella aerogenes verfügen nämlich auch viele andere Bakterien über eine Urease. Sofern sie im Erdboden leben, zersetzen sie damit den ausgebrachten Dünger und entlassen den wertvollen Stickstoff in flüchtiger Form in die Atmosphäre.

Im menschlichen Körper dagegen sind solche Bakterien für die Bildung von Harnsteinen sowie für etliche Entzündungskrankheiten und Darmgeschwüre (vielleicht sogar für Magenkrebs) verantwortlich. In den Vereinigten Staaten wird häufig der Urease-Inhibitor Acetohydroxamsäure verschrieben, der jedoch beträchtliche Nebenwirkungen hat. Die Kenntnis der Enzymstruktur sollte den Weg zu unschädlicheren Hemmstoffen weisen, die vielleicht auch in der Landwirtschaft eingesetzt werden können.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1995, Seite 39
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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