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Winters' Nachschlag: Vanille-willenlos

Die geheimnisvolle Macht der Gerüche ist dafür verantwortlich, dass ich heute weder in Teeläden noch in indische Supermärkte einen Fuß setze - und nie mehr während der Zistrosenblüte in Portugal Urlaub machen werde.
Falls ich eines Tages von feindlichen Spionen entführt werden sollte, die mich zum Ausplaudern streng geheimer Informationen bewegen wollen, habe ich für sie einen brandheißen Tipp: Man zünde ein Büschel portugiesischer Zistrosen an, lösche sie mit Vanilletee ab und träufele dann ein wenig Patschuliöl in die Glut – und schon gerät Agent Null-Null-Winters in einen Zustand hilfloser Verzückung, in dem er sich glückselig lächelnd um Kopf und Kragen redet.

Wie ich zu dieser olfaktorischen Achillesferse kam, erklärt sich ganz einfach, wenn man meine emotionale Prägungsphase im Licht des Artikels "Immer der Nase nach" ab S. 12 betrachtet. Die Autorin berichtet darin unter anderem von einem Experiment, in dem Probanden mittels Verknüpfen von Gerüchen und Ereignissen darauf trainiert wurden, einen Duft abstoßend oder anziehend zu finden.

Von einer solchen Geruchsgefühlskoppelung kann ich nicht nur ein Lied, sondern eine ganze Oper singen: Bei meinem ersten elternfreien Portugalurlaub entbrannte ich in unstillbarer Liebe zu meiner Mitschülerin Karin Kurzboski – und zwar bei einer Wanderung durch ein unendliches Feld der erwähnten Zistrosen. Deren intensiver Geruch und meine flammende Leidenschaft für Karin rasselten in meinem Hippocampus und meiner Amygdala dermaßen heftig ineinander, dass mich auch heute noch ein Gefühl schmerzlich unerfüllter Sehnsucht durchströmt, wenn ich diesen Duft wahrnehme.

Statt Karins Herz eroberte ich damals nämlich leider nur ihr Halstuch, dessen übernatürlich-magischer Geruch mir fast die Sinne raubte. Erst Jahre später, nachdem ich einer wildfremden Verkäuferin eines India-Shops ohne ersichtlichen Grund unsittliche Anträge unterbreitet hatte, wurde mir klar, dass dieser Duft nichts mit Karin zu tun hatte und es sich vielmehr um simples Patschuliöl handelte, welches sich damals als eine Art Chanel No. 5 für Linksalternative größter Beliebtheit erfreute.

Dass spätere Ereignisse die erste emotionale Verknüpfung mit einem Geruch nicht mehr löschen können, wie die Autorin des Artikels postuliert, kann ich bestätigen: Die schallende Ohrfeige der Verkäuferin verringerte die aphrodisierende Wirkung des Patschulidufts auf mich nicht im Geringsten.

Völlig abwegig ist jedoch die Behauptung, vertrauter Duft senke den Stresslevel! Ein kurzes Schnuppern an Karins Halstuch genügte, um meinen Puls auf das Zehnfache zu erhöhen und mir kalten Schweiß auf die Stirn zu treiben – dies zeigte ein Selbstversuch, den ich in den Wochen nach dem Urlaub etwa 120-mal am Tag durchführte. Nur, um reproduzierbare Ergebnisse zu bekommen, versteht sich.

Erst als der Geruch nach etwa zwei Monaten kaum noch wahrnehmbar war, fasste ich mir ein Herz und rief Karin an. Ich hätte soeben ein Halstuch in meinem Gepäck entdeckt, das eventuell ihr gehöre, und ich könne es ihr gern vorbeibringen. Kurz darauf saß ich in ihrem Zimmer; es roch nach Patschuli sowie nach Vanilletee, von dem ich aus Verlegenheit mehrere Kannen in mich hineingoss, bis ich am ganzen Leib zitterte. Weder die akute Teinvergiftung noch die Erkenntnis, dass Karin Kurzboski drei Tage zuvor Georg Sackmann aus der Parallelklasse ewige Treue geschworen hatte, konnten verhindern, dass der Duft nach Vanilletee die Dreifaltigkeit meines siebten Geruchshimmels vervollständigte.

Zum Schluss noch eine Warnung an die anfangs erwähnten feindlichen Spione: Ich trage stets einen speziell präparierten Ring am Finger, der mich augenblicklich in höchste Aggressivität und wutschnaubende Kampfstimmung versetzen kann. Wie das funktioniert? Ganz einfach: Aus einer kleinen Düse versprüht das Hightech-Schmuckstück auf Knopfdruck genau jenes Aftershave, das Georg Sackmann auf dem Abschlussball umwehte, als er den ganzen Abend lang ohne Unterbrechung mit Karin Kurzboski tanzte.

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