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Verknotete Würfel

Kann man mit Knoten lückenlos den Raum füllen?
Ja, vorausgesetzt, sie dürfen einige - henkellose - Auswüchse haben.
Dann ist es im Prinzip nicht schwerer, als Getränkekisten zu stapeln.

Pflasterungen der Ebene sind immer wieder ein beliebtes Thema der Unterhaltungsmathematik. Unter einem Pflasterstein (tile) versteht man eine Figur, von der sich beliebig viele Exemplare lückenlos und überlappungsfrei aneinanderlegen lassen. Das einfachste Beispiel sind quadratische Wandkacheln.

Auch dreidimensionale Pflastersteine, also Klötze, die richtig gestapelt lückenlos den Raum füllen, sind intensiv untersucht worden (vergleiche Spektrum der Wissenschaft, Juni 1994, Seite 12) – so intensiv, daß man auf diesem Gebiet kaum mehr Interessantes erwartet hätte. Überraschenderweise hat nun der Mathematiker Colin C. Adams vom Williams College in Williamstown (Massachusetts) neue Konstruktionsverfahren für derartige Formen gefunden. Nennen wir sie Urklötze (prototiles) – auch wenn die von Adams gefundenen Gebilde nicht besonders klotzig aussehen.

Die einfachste Raumfüllung ist die durch Fläche an Fläche gepackte Würfel. Getränkekisten im Supermarkt und Container auf einem Schiff können nach diesem Muster gestapelt werden. Daß sie nicht würfel-, sondern quaderförmig sind, braucht uns nicht zu kümmern; eine für das Prinzip belanglose Änderung der Maßstäbe in zweien der drei Raumrichtungen staucht sie geeignet zusammen.

Adams arbeitet jedoch mit viel eingreifenderen Verformungen, denn er nimmt den Standpunkt der Topologie ein, die oft scherzhaft "Gummituch-Geometrie" genannt wird; für dreidimensionale Gebilde wäre "Plastilin-Geometrie" die treffendere Bezeichnung. Von diesem Standpunkt aus bleibt ein Gebilde im wesentlichen dasselbe, wenn es verzerrt, verbogen, zusammengedrückt, gedehnt, verwunden oder sonstwie stetig deformiert wird; es zu durchstechen, zu zerschneiden oder mit sich selbst oder anderen Gebilden zusammenzufügen ist allerdings verboten. Beispielsweise ist ein Würfel einer Kugel topologisch äquivalent, denn man kann ihn – wenn er aus Knete besteht – stetig zu einer solchen zurechtdrücken.

Eine Lieblingsform der Topologen ist der Torus, den man sich etwa als Autoschlauch vorstellen kann. Im folgenden geht es um einen Torus mitsamt dem Inneren, entsprechend einem Vollgummiring. Gibt es einen Urklotz, der dazu topologisch äquivalent ist? Aus einem massiven Würfel wäre er nicht ohne weiteres zurechtzukneten; denn für das Loch in der Mitte muß man das Material in unstetiger Weise auseinanderreißen. Hingegen ist beispielsweise ein Würfel aus Holz, aus dessen Mitte man mit der Laubsäge einen Stab mit quadratischem Querschnitt herausgesägt hat, zu einem (Voll-)Torus äquivalent, aber man kann mit solchen Körpern den Raum nicht lückenlos füllen.

Anders ist es, wenn man den herausgesägten Stab quer durchsägt und die entstehenden Klötzchen auf die Mitte zweier undurchbohrter gegenüberliegender Seitenflächen des Würfels leimt (Bild 1 links). Dieses Gebilde ist immer noch zu einem Torus äquivalent, denn wenn es aus Knete wäre, könnte man die beiden Zapfen plattdrücken und die Kanten runden, so daß ein gewöhnlicher Ring entstünde; andererseits lassen sich mehrere solcher Urklötze zusammenstecken, jeweils mit dem Zapfen des eines in ein Loch eines anderen, so daß eine ebene Schicht von der Dicke eines Würfels entsteht. Beliebig viele Schichten sind nun raumfüllend stapelbar.


Neue Raumfüllungen aus alten

Dieses Verfahren ist ein Beispiel für ein allgemeines Umgruppierungsprinzip, das am einfachsten in zwei Dimensionen zu erläutern ist (Bild 1 rechts): Bei irgendeiner Parkettierung, etwa einem einfachen Quadratmuster, zerlege man jede Kachel auf gleiche Weise in mehrere Teile. Dann kann man eine neue Urkachel aus je einem Teil jeder Sorte zusammensetzen; interessant wird es, wenn nicht alle Teile aus ein und demselben Quadrat stammen. Das Ergebnis parkettiert dann wieder automatisch die Ebene. Bei unserem dreidimensionalen Beispiel haben wir einen Würfel in drei Teile zerlegt – einen gelochten Kubus und zwei halbe Bohrkerne – und diese anders wieder zusammengesetzt.

Dasselbe Prinzip funktioniert offensichtlich auch mit mehreren parallelen Löchern, die von einer Seitenfläche zur gegenüberliegenden reichen. Die sich ergebenden Urklötze sehen an zwei gegenüberliegenden Seiten aus wie mehrpolige Stecker, an zwei weiteren wie die zugehörigen Steckdosen, während das dritte Seitenpaar glatt ist. Topologisch äquivalent sind diese Klötze Kugeln mit mehreren Henkeln.

Die Löcher dürfen sogar krumm sein und sich wild um sich selbst und umeinander winden, sofern sie an einer Seitenfläche beginnen, an der gegenüberliegenden enden und keinen Kontakt miteinander haben. Man schneide einfach die Bohrkerne – die man sich jetzt als dicke, verschlungene Würste vorstellen kann – entzwei und klebe abermals jede Hälfte außen auf die richtige Seitenfläche. Der so entstandene Urklotz ist topologisch äquivalent dem ursprünglichen Würfel mit Löchern; denn man kann sich vorstellen, daß die Halbwürste, statt aufgeklebt zu werden, in einer stetigen Verformung aus ihrer jeweiligen Seitenfläche heraussprießen. Solange ein solcher Auswuchs nicht selber Löcher bildet oder mit seiner Basis (oder auch einem anderen Auswuchs) verwächst, ändert sich die Topologie nicht.

Allerdings lassen sich Klötze dieser Art nicht mehr zusammenstecken, wenn sie aus Holz sind. Die Auswüchse müßten schon aus sehr biegsamem, schlüpfrigem Material sein, damit sie – allen Windungen getreulich folgend – in die Löcher des Nachbarwürfels eindringen, bis sie an ihre Gegenstücke von der anderen Seite stoßen.


Knoten stapeln

Adams hat viele andere interessante Formen mit Hilfe einer raffinierten Technik untersucht. Ich werde sie am Beispiel eines Volltorus darstellen, der zu einer Kleeblattschlinge verknotet ist; aber sie läßt sich auf beliebige Knoten verallgemeinern. Die Grundidee ist, daß man sich überlegt, wie man einen solchen Kleeblatt-Knoten in Bronze gießen könnte. Dabei soll die (mehrteilige) Gußform die äußere Form eines Würfels haben. Dann wendet man das Umgruppierungsprinzip an. Damit die Topologie des Knotens erhalten bleibt, muß jeder Teil der Gußform topologisch äquivalent einem Würfel sein, darf also keine wie immer geformten Henkel haben.

Zwei Teile dieser Gußform sind Halbwürfel mit geeigneten Aussparungen. Sie lassen zwischen sich das Volumen des Kleeblattknotens frei – und noch ein bißchen mehr. Denn da, wo – von oben gesehen – die Schlingen des Knotens übereinanderliegen, kann keine der Gußformhälften Material haben, sonst hätte sie dort einen Henkel. Also müssen kleine Stücke eingefügt werden, die das Material des Knotens beim Gießen daran hindern, zu einem mehrhenkeligen Torus zusammenzufließen. Diese drei Stücke, durch dünne Stege verbunden, bilden den dritten Teil der Gußform. Ein weiterer Steg verbindet ihn mit einer Seitenfläche des Würfels. Auch der Kleeblattknoten selbst hat solche Stege, die an seiner Topologie nichts ändern; bei einer echten Gießform wären das die Guß- und Luftauslaßkanäle. Entsprechende Rinnen sind in den Gußformhälften ebenfalls auszusparen (Bild 2).

Auf den derart in vier Teile (obere und untere Gußform, den Baum mit den Abstandshaltern und den Kleeblattknoten selbst) zerlegten Würfel kann man nun wieder das Umgruppierungsprinzip anwenden. Stellen Sie sich solche Würfel raumfüllend in einem kubischen Gitter gestapelt vor. Wählen Sie dann ein Exemplar von jedem Teil: vielleicht den Knoten des einen Würfels, die obere Hälfte der Gußform des dahinterliegenden, die untere Gußformhälfte des davor gelegenen und die Baumstruktur des rechten Nachbarwürfels. Trotz seiner bizarren Gestalt ist dieser Urklotz der ursprünglichen Kleeblattschlinge topologisch äquivalent; denn die drei anderen Teile kann man, da henkellos, als – ziemlich unförmige – Auswüchse auffassen. Wieder füllen viele Exemplare des Urklotzes den Raum, auch wenn sie zu stapeln eine verzwickte Bastelei wäre.

Vielleicht wollen Sie lieber Formen, die einem dicken Knoten ähnlicher sehen und sich gleichwohl raumfüllend stapeln lassen? Adams hat auch das zu bieten: eine Zerlegung eines Würfels in vier kongruente Kleeblattknoten (Bild 3). Wenn man die ganze Anordnung um 90 Grad um die Achse dreht, die durch die Mittelpunkte von Boden- und Deckfläche verläuft, gehen die Teilstücke ineinander über. Wenn Sie nun jeden Würfel aus einem kubischen Gitter so zerlegen, haben Sie eine Pflasterung des Raumes durch Knoten.

Michael Harman, ein Patentanwalt aus Camberley (England), weiß über weitere Verfahren zur Herstellung knotenförmiger Klötze zu berichten. Besonders interessant ist dieses: Man winde ein Band um einen Torus und verbinde Anfang und Ende. Wenn man es richtig macht, pflastern mehrere solcher Bänder die Oberfläche des Torus; diese Zerlegung ist ins Innere fortsetzbar, wobei die Teile kongruent bleiben.

Literaturhinweise

- Tilings of Space by Knotted Tiles. Von Colin C. Adams in: The Mathematical Intelligencer, Band 17, Heft 2, Seiten 41 bis 51, 1995.

– The Knot Book. Von Colin C. Adams. Freeman, New York 1994.

– Knotted Lattice-like Space Fillers. Von W. Kuperberg in: Discrete and Computational Geometry, Band 13, Seiten 561 bis 567 (1995).


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1996, Seite 11
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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