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Vernetzte Helfer im mitdenkenden Haus

Heinzelmännchen gibt es zwar nur im Märchen, doch die elektronisch vernetzten Häuser kommen dieser Vorstellung schon recht nahe: Sie eröffnen ihren Bewohnern ungeahnten Komfort, erhöhen die Sicherheit und helfen auch noch Energiekosten sparen.


Seit ein paar Jahren werden in der Öffentlichkeit – je nach Geschmack mehr oder weniger phantastische oder abschreckende – Szenarien diskutiert, wie die Informations- und Kommunikationstechnologien schon bald Einzug in unsere Häuser halten könnten: Da schwärmt Bill Gates von seinem "Smart Home", das dank eines Minisenders, den sein Bewohner trägt, jederzeit weiß, in welchem Zimmer er sich gerade aufhält. Es kann deshalb gezielt für die gewünschte Beleuchtung sorgen, Telephone und Fernseher dementsprechend steuern und ihm, wo er sich auch befindet, stets seine Lieblingsmusik vorspielen. Oder ein Erfinder preist seinen Kühlschrank an, der dank eines speziellen Strichcodes weiß, welche Lebensmittel gerade ausgegangen sind und diese automatisch beim Händler nachbestellen könnte.

Michael Schlösser kann über diese Auswüchse von Technikbegeisterung nur lächeln. "Das sind Visionen", sagt der Siemens-Ingenieur und Spezialist für Gebäudesystemtechnik. "Für den Durchbruch zum Massenmarkt ist es viel wichtiger, ob die Gebäudeautomation dem durchschnittlichen Nutzer genügend Vorteile bietet." Bei Gewerbebauten ist die Frage längst beantwortet: Kaum ein Industriegebäude, kaum eine Bank oder ein großes Hotel kann heute noch auf Gebäudesystemtechnik verzichten. So sind beispielsweise in der Commerzbank-Zentrale in Frankfurt am Main, dem höchsten Bürogebäude Europas, 40000 verschiedene elektrische Stationen – vom Lichtsensor bis zum Heizungsventil – über sogenannte Busleitungen miteinander und mit der Gebäudeleittechnik vernetzt. "Diese intelligente Vernetzung bringt einen enormen Gewinn an Flexibilität und Energieeinsparung", erklärt Peter Muschelknautz, der technische Betriebsleiter.

So kann durch Umprogrammieren und Umstecken der Elektrik ein Vortragsraum innerhalb einer halben Stunde auf fünffache Größe gebracht werden, und auch Büros können ohne großen Aufwand nahezu beliebig verändert werden. Jedes Zimmer besitzt eine intelligente Einzelraumregelung. Über ein Bedientableau lassen sich die Geräte und Systeme – Licht, Heizung, Lüftung oder Fenstermotoren – komfortabel bedienen. Bis ins oberste Stockwerk können die Bankmitarbeiter alle Fenster öffnen, was für derartige Hochhausbauten eine völlige Neuerung darstellt. Bei starkem Wind, wenn es regnet oder zu kalt ist, schließen die Fenster automatisch. Weitere Sensoren für Helligkeit und Wärme regeln die Jalousien und das Heiz- und Kühlsystem. Bewegungsmelder überwachen die Büros: "Wer sich dort mehr als eine Stunde lang nicht bewegt, dem wird das Licht ausgeschaltet", berichtet Muschelknautz nicht ohne einen Hauch von Ironie.

Rauchmelder und Lautsprecher, Sprinklerköpfe und Lichtfühler, Zugangskontrollen und Computeranlagen – die elektrische Versorgung ist ein Schlüsselelement des Hochhauses. Ohne Strom geht fast nichts mehr. Im Extremfall finden die Spezialisten in der Schalt- und Sicherheitszentrale jedes im Wolkenkratzer eingebaute Teil in einer riesigen Datenbank. "Facility Management" nennen die Fachleute das aus der Kraftwerkstechnik stammende Buchhaltungsprinzip. Dieser intelligenten Gebäudesystemtechnik zusammen mit der wärmedämmenden Fassade ist es nach Angaben von Betriebsleiter Muschelknautz zu verdanken, daß die Energiekosten der Commerzbank-Zentrale um mehr als 30 Prozent niedriger liegen als bei konventionellen Gebäuden – einer der Gründe dafür, daß der Wolkenkratzer als "erstes ökologisches Hochhaus der Welt" bezeichnet wird.

Doch auch im Privatbereich beginnt sich die intelligente Gebäudetechnik durchzusetzen. "Dumme Häuser sterben aus", prophezeit Peter Zoche vom Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung in Karlsruhe. Die Unternehmensberatung Roland Berger sagt in einer Studie voraus, daß schon um die Jahrtausendwende 10 bis 20 Prozent der Neubauten zu den "Smart Homes" gehören werden. Zehn Jahre später soll es sogar bereits jedes zweite Eigenheim sein.


Dumme Häuser sterben aus



Warum das so ist? "Vergleichen Sie doch einmal Ihr Auto mit Ihrem Haus", fordert Heinz Lux, Experte für intelligentes Wohnen im Geschäftsgebiet Installationstechnik der Siemens AG. "Das Auto hat eine Zentralverriegelung, die automatisch alle Türen und Fenster schließt und die Alarmanlage aktiviert, wenn Sie zusperren. Wäre das nicht auch für Ihr Haus eine gute Idee? Im Auto geht das Licht an, wenn Sie die Tür öffnen. Warum tappen Sie in derselben Situation zu Hause noch im Dunkeln? Der Bordcomputer des Fahrzeugs meldet sofort, wenn ein Gerät ausgefallen ist. Außerdem minimiert ein Mikrocomputer-gesteuertes Motormanagement den Energieverbrauch. Und all das soll für das Heim, wo man mehr Zeit verbringt als im Auto, keinen Sinn machen?"

Michael Schlösser kann dies nur bestätigen. Der Diplomingenieur lebt selbst in einem intelligenten Haus. "Meine Frau und ich achten vor allem auf Komfort und Sicherheit", erläutert er. "Als besonders nützlich empfinden wir den Schalter, mit dem wir vom Schlafzimmer aus im ganzen Haus das Licht ausschalten können." Abhängig von Zeit und Dämmerung schließen sich alle Rolläden automatisch. Schlösser genießt es auch, im Wohnzimmer mit einem Tastendruck die Lichtstimmung auf "romantisch" oder "Fern-sehabend" einstellen zu können. Wenn er die Belegung eines Schalters verändern will, muß er keine Leitungen neu verlegen, sondern nur die Programmierung ändern.

"Besonders praktisch", sagt er, "ist auch die Möglichkeit der Fernsteuerung über das Telephon." Wenn Schlösser beispielsweise von einer längeren Reise zurückkehrt, kann er bereits vom Flughafen aus zu Hause anrufen und die Heizung mit einem bestimmten Code anweisen, das Heim auf angenehme Temperaturen zu bringen. Umgekehrt ruft ihn sein Haus auf seinem Handy an, wenn Bewegungsmelder oder Fensterkontakte ein unbefugtes Eindringen melden. "Dann kann ich meinen Nachbarn bitten, einen Blick auf mein Haus zu werfen oder gleich die Polizei verständigen", erklärt Schlösser.


Daten- und Stromleitung getrennt



Möglich macht dies alles das "Home Electronic System" (HES), das ohne großen Aufwand und mit nur geringen Kosten installiert werden kann. Anders als im vollelektronischen Haus von Bill Gates, das von unzähligen Computern und einer Steuerzentrale überwacht wird, setzt das HES auf dezentrale Intelligenz in den Geräten und eine Datenleitung – den sogenannten instabus EIB (European Installation Bus) –, die parallel zur Stromversorgung gelegt wird (siehe Bild links).

Bei der herkömmlichen Elektroinstallation benötigt jede Funktion eine oder mehrere eigene Leitungen, jedes Steuersystem ein separates Leitungsnetz. Die Verknüpfung solcher Einzelsysteme zu einem Gesamtsystem ist dann kaum noch durchführbar und Änderungen werden sehr aufwendig. Beim instabus EIB sind dagegen die Informations- und Energieübertragung getrennt. Auf diese Weise lassen sich alle betriebstechnischen Funktionen und Abläufe über eine einzige gemeinsame Leitung (24 Volt Gleichstrom, Datenrate 9600 Bit pro Sekunde) erfassen, schalten, steuern und überwachen, während die Energie (220 Volt) direkt zu den Endgeräten geführt wird. Dadurch werden die zahllosen Leitungen, die bei der herkömmlichen Elektroinstallation anfallen, um bis zu 60 Prozent reduziert – ein Gewinn sowohl für die Umwelt, als auch für den Elektroinstallateur, der die Verkabelung des Gebäudes schneller ausführen, problemlos erweitern und flexibel an neue Wünsche anpassen kann.


Tausende von busfähigen Geräten



Entscheidend für den Erfolg des Installationsbusses war, daß es gelang, den größten Teil der über 40000 (deutschen) Elektroinstallateure am instabus EIB auszubilden. Inzwischen geschieht dies auch in anderen Ländern, und in Deutschland ist der Installationsbus nun fester Bestandteil der Berufsausbildung für das Elektrohandwerk. Mit dem zunehmendem Vordringen der Gebäudeautomation wird sich zudem das Berufsbild der Installateure wandeln: Elektroinstallateure werden mehr und mehr zu Systemintegratoren.

In den letzten Jahren wurde der instabus EIB zum wichtigsten Standard für Zweck- und Wohnbauten. Rund 120 Firmen, die mehr als 10000 EIB-fähige Produkte anbieten, haben sich diesem europaweit gültigen Standard bereits angeschlossen. Große Bauträger wie Süba und Fertighaushersteller wie WeberHaus bauen das Home Electronic System standardmäßig in ihre Gebäude ein. In vielen Ländern der Welt entstehen Tausende von Wohn- und Zweckbauten mit instabus EIB, und das HES wurde im letzten Jahr sogar "für die Steigerung der menschlichen Lebensqualität" mit dem "Multimedia-Oscar" DigiGlobe ausgezeichnet.

Vom Lichtschalter bis zum Heizungsventil, von der Jalousie bis zum Schließzylinder, vom Elektroherd bis zum Kühlschrank und von der Waschmaschine bis zum Durchlauferhitzer reicht heute die Palette der mittels instabus EIB steuerbaren Geräte und Systeme. Die Installation von Hausgeräten ist denkbar einfach: Die Geräte werden ans Strom- und instabus-Netz angeschlossen und über eine mitgelieferte CD-ROM in Betrieb genommen, ähnlich wie man einen Drucker mit einem Computer verbindet. Bedient werden sie entweder am Gerät selbst oder über die Bedienoberfläche "Home Assistant", die beispielsweise auf einem Flachbildschirm mit Touchscreen installiert ist. In der Küche kann dies sogar so weit gehen, daß der Home Assistant dem Nutzer nicht nur Kochrezepte mitteilt, sondern auch gleich noch die Steuerung des Herdes übernehmen kann.


Vernetzung von Häusern und Stadtteilen



Der Home Assistant stellt eine für alle am instabus EIB angeschlossenen Geräte und Systeme einheitliche Bedienoberfläche dar und bildet zugleich die Verbindung zur "Medienlandschaft der Zukunft". Ganz im Sinne eines weiten Netzwerkes denkt Heinz Lux bereits an neue Einsatzmöglichkeiten: "Bislang findet die Vernetzung nur innerhalb eines Gebäudes statt, aber warum sollen nicht auch die Gebäude eines Stadtteils miteinander in Verbindung treten". Die Vorteile wären offensichtlich: "Nachbarn könnten ein Sicherheitsnetz bilden und Energieversorger könnten ein Signal senden, wenn beispielsweise der Strom billiger wird. Dann würde das Haus bedarfsgerecht entscheiden, zu diesem Zeitpunkt die Wasch- oder Geschirrspülmaschine einzuschalten".

Das intelligente Heim könnte auch ans Internet angeschlossen werden, die Wettervorhersage analysieren und danach vorausschauend Heizung, Lüftung und Klimaanlage betreiben. Auch die Fachleute der Fachhochschule Rosenheim, die zu Studienzwecken intelli-gente Häuser betreiben, denken in eine ähnlich Richtung der Energiekostenreduzierung, wenn sie empfehlen, "die Lüftung nach Bedarf" zu regulieren: "Die Hälfte der Heizenergie eines modernen Niedrigenergiehauses geht über die Lüftung verloren. Ein intelligentes Haus könnte über Sensoren die Luftqualität, den Kohlendioxidgehalt und die Luftfeuchtigkeit messen, und mit diesen Daten die Heizung und das Kippen der Fenster aufeinander abstimmen".

Außerdem bieten die modernen Kommunikationsmittel noch eine weitere Möglichkeit der Optimierung: die Ferndiagnose und -wartung. Bereits heute gibt es instabus EIB-Geräte, beispielsweise Kühlschränke, die ihre korrekte Funktionsweise selbst analysieren und – falls sie Fehler feststellen – automatisch über Telephonleitung und Modem den angeschlossenen Elektroinstallateur alarmieren können. Der wiederum kann sich, ähnlich dem Serviceingenieur eines Computernetzes, aus der Ferne in das Gerät einwählen und versuchen, den Fehler zu diagnostizieren und gegebenenfalls zu beheben. "Einer der größten Vorteile des intelligenten Wohnes sind jedoch seine Flexibilität und Erweiterungsmöglichkeiten", urteilt Heinz Lux. "Ein Kommunikationssystem wie das HES kann sich an die unterschiedlichsten Lebensumstände anpassen." Im Alter bedeutet dies eine erhebliche Steigerung der Lebensqualität. Die Aufteilung und Funktionsweise von Zimmern beziehungsweise Schaltern kann problem-los umprogrammiert werden. Mit dem Sicare-Pilot, der einer Fernsehfernbedienung ähnelt, kann das Haus über Sprachbefehle gesteuert werden, und es ist ein Leichtes, Notruffunktionen zu integrieren. Es gibt inzwischen sogar "Smart Cameras", die Situationen selbsttätig analysieren und beispielsweise feststellen können, wenn jemand eine Treppe herunterstürzt und bewegungslos liegenbleibt. Auch medizinische Geräte lassen sich mit dem HES koppeln: So können etwa Blutdruckwerte aufgezeichnet und automatisch an den Arzt übermittelt werden. "Dies alles", so Heinz Lux, "kommt dem Wunsch vieler Menschen entgegen, möglichst lange in den eigenen vier Wänden zu wohnen. Das intelligente Heim wird sicherlich auch beim barrierefreien und betreuten Wohnen eine wichtige Rolle spielen."

Literaturhinweise

BUSsysteme, EIB und Gebäudetechnik. Verlag interpublic. Regattastr. 98, 12527 Berlin.

Jahrbuch des Verbandes der Privaten Bausparkassen. 1997/98, Domus Verlag. Postfach 150137, 53040 Bonn.

produkt profile. Tips für den Elektroprofi. 4/98. Wohnen und Leben mit instabus, Siemens A&D. Postfach 3240, 91050 Erlangen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1999, Seite 87
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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