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Verschieden und doch gleich. Ein Genetiker entzieht dem Rassismus die Grundlage


In diesem interessanten und inhaltsreichen Buch behandelt der italienische, an der Universität Stanford (Kalifornien) lehrende Genetiker Luca Cavalli-Sforza, unterstützt von seinem Sohn Francesco, einem Film- und Fernsehregisseur, ein zentrales Forschungsthema der biologischen Anthropologie: Evolution der Hominiden und ihre genetische Differenzierung im Verlauf ihrer Ausbreitung über die Erde. Leitgedanke ist die These, daß die geographischen Gruppen des Menschen zwar nach ihren sichtbaren oder unsichtbaren Merkmalen verschieden sind, aber insofern gleich, als sich aus diesen Unterschieden keine Bewertungen irgendwelcher Art ableiten lassen.

Die Autoren versuchen also, dem Rassismus jeder Form argumentativ die Grundlagen zu entziehen. Wie sie an verschiedenen Beispielen aufführen, ist es völlig absurd und wissenschaftlich nicht haltbar, von biologischer Überlegenheit irgendeiner menschlichen Gruppe zu sprechen.

Vater und Sohn Cavalli-Sforza beschränken sich jedoch nicht auf die Entstehungsgeschichte der Krankheit Rassismus, sondern schlagen eine Therapie und vor allem eine Prävention durch Erziehung vor. Im Biologie- und Gesellschaftskundeunterricht aller Schulstufen, so führe ich den Gedanken fort, müßte eingehender als bisher die Frage behandelt werden, wie es im Verlauf der Ausbreitung des Menschen über die Erde zu der genetischen Differenzierung zwischen den geographischen Gruppen gekommen ist, was die erkennbaren Unterschiede in den körperlichen Merkmalen besagen und was eben nicht. Das vorliegende Buch könnte für die Gestaltung eines solchen Unterrichts sehr hilfreich sein.

In sehr verständlicher Weise beschreiben die Autoren zunächst die Evolution unserer Gattung, dazu auch die aufschlußreichen aktuellen molekularbiologischen Forschungsergebnisse. Sie unterstützen die anhand der inzwischen recht zahlreichen Fossilfunde aufgestellte These, wonach der anatomisch moderne Mensch in Afrika entstanden ist; innerhalb von "60000 oder 70000 Jahren stieß er in jeden Winkel des Planeten vor und stellte damit nicht nur seine Anpassungsfähigkeit an die verschiedensten Umgebungen, sondern auch einen erstaunlichen Abenteuergeist unter Beweis" (Seite 99).

In den zentralen Kapiteln "Warum sind wir verschieden? Die Theorie der Evolution" und "Wie sehr unterscheiden wir uns voneinander? Die genetische Geschichte der Menschheit" wird anhand zahlreicher Beispiele anschaulich dargestellt, wie durch das schwer zu entwirrende Zusammenwirken von Prozessen wie Mutation, Selektion, genetische Drift, founder effect (Gründereffekt) und Genfluß die heutige genetische Variabilität innerhalb und zwischen den verschiedenen geographischen Gruppen des Menschen zustande kam. Das gilt sowohl für sichtbare Merkmale wie die Hautfarbe als auch für unsichtbare wie die zahlreichen erblichen Charakteristika des Blutes. Ihre geographische Verteilung hängt auch mit klimatischen Faktoren und bestimmten infektiösen oder parasitären Krankheiten zusammen. Als Beispiele seien der Zusammenhang zwischen der geographischen Verteilung der dunklen Haut und der Intensität der ultravioletten Strahlung sowie zwischen dem Sichelzellhämoglobin und der Malaria tropica genannt. Allerdings hätten die Autoren diese Zusammenhänge für Laien verständlicher und auch ausführlicher erläutern sollen.

Breiten Raum nimmt das Gebiet ein, auf dem Luca Cavalli-Sforza selbst seit vielen Jahren tätig ist: der Beitrag der Genetik zur Rekonstruktion der Geschichte der Menschheit (vergleiche seinen Artikel in Spektrum der Wissenschaft, Januar 1992, Seite 90). Dabei analysierte und interpretierte er geographische beziehungsweise ethnische Variabilitäten nicht nur für einzelne genetische Marker des Blutes; mit statistischen Methoden ermittelte er vielmehr Schätzungen für genetische Abstände zwischen Populationen, die auf zahlreichen solcher Marker beruhen und deshalb wesentlich aussagefähiger sind. Dabei ergaben sich für verschiedene Populationen der einzelnen Kontinente bemerkenswerte Beziehungen zwischen den genetischen Profilen einerseits und linguistischen beziehungsweise kulturhistorischen Gegebenheiten andererseits, die allerdings nicht unumstritten sind. So läßt sich das mit Hilfe der Hauptkomponentenanalyse ermittelte genetische Profil Europas gut mit den bevölkerungshistorischen Vorgängen der letzten Jahrtausende in Verbindung bringen.

Auch der immer noch sehr kontrovers diskutierten Frage, ob es genetisch bedingte Unterschiede in der Intelligenz verschiedener ethnischer Gruppen gebe, weichen Luca und Francesco Cavalli-Sforza nicht aus. Sie setzen sich kritisch mit den dazu vorliegenden Untersuchungen auseinander und kommen zu dem Schluß, daß außer nicht zu bestreitenden, im einzelnen allerdings nicht bekannten genetischen Faktoren vor allem das gesamte soziale Entwicklungsmilieu, in dem ein Mensch aufwächst, für seine Intelligenzentwicklung eine entscheidende Rolle spiele.

Schließlich erörtern sie noch kurz "Die genetische Zukunft der Menschheit und das Studium des menschlichen Genoms" mitsamt den sich neu eröffnenden Möglichkeiten für die Medizin. Hier fehlt jedoch eine kritische Auseinandersetzung mit den sich abzeichnenden Problemen. Mit einem Satz wie "Die Vorhersage einer genetischen Erkrankung des Ungeborenen und der nachfolgende Schwangerschaftsabbruch sind keine eugenischen Maßnahmen, sondern mögliche Wege der Prophylaxe" (Seite 395) beschreiten die Autoren einen schmalen und gefährlichen Grat. Recht unkritisch und auf das Positive beschränkt handeln sie auch das Human-Genom-Projekt ab. Problematische Aspekte, wie sie sich aus Gewinnung und möglicherweise Patentierung bestimmter Gene ohne Wissen des Betroffenen ergeben können, werden nicht diskutiert. Die kritische Haltung gegenüber genetischer und populationsgenetischer Forschung, die sich erfreulicherweise sonst durchweg erkennen läßt, ist im Schlußkapitel merkwürdigerweise aufgegeben.

Dennoch handelt es sich um ein sehr lebendig geschriebenes, im wesentlichen auch gut übersetztes Buch, das – unterstützt durch zahlreiche informative Abbildungen – einen detailreichen Überblick über eines der interessantesten Gebiete der modernen Biologie gibt.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1995, Seite 132
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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