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Verschrottung nuklearer Sprengköpfe

Mehr als 50.000 obsolet gewordene Kernsprengkörper lagern in den Arsenalen der Weltmächte. Wie kann man diese gefährlichste Altlast des kalten Krieges auf technisch und politisch sichere Weise beseitigen?

Die Vereinigten Staaten und die Länder der ehemaligen Sowjetunion rüsten ihre Waffenbestände aus der Zeit des kalten Krieges in großem Umfang ab. Langfristig wird die Vernichtung von mehreren zehntausend Kernwaffen das Risiko eines Atomkrieges beträchtlich verringern. Kurzfristig besteht jedoch wegen der chaotischen Verhältnisse in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion die Gefahr, daß Kernsprengkörper oder aus ihnen entnommene Materialien in Drittstaaten gelangen oder in die Hände von Terroristen fallen.

Die rund 35000 nuklearen Sprengköpfe der früheren sowjetischen Streitkräfte verteilen sich auf vier der insgesamt 15 Nationen, die aus dem Zerfall der Sowjetunion hervorgegangen sind (Bild 2): Rußland, die Ukraine, Kasachstan und Weißrußland (Belarus). Der größte Anteil entfällt auf Rußland, der zweitgrößte auf die Ukraine (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1992, Seite 24). Trotz einiger Verhandlungserfolge gibt es zwischen beiden Staaten erhebliche Spannungen, und in Rußland halten die politischen Wirren nach wie vor an.

Einige Sicherungsmaßnahmen konnten indes getroffen werden. So sind dem Vernehmen nach sämtliche in den 14 nichtrussischen Republiken der ehemaligen UdSSR sowie die meisten der in Rußland stationierten taktischen Kernsprengkörper in Depots innerhalb Rußlands verbracht worden, was unbefugten Zugriff und Diebstahl erheblich erschwert (Bild 1).

Des weiteren verpflichten die im Juli 1991 und im Januar 1993 unterzeichneten Abrüstungsverträge START I und START II die ehemalige Sowjetunion und die USA, ihre strategischen Arsenale bis zum Jahre 2003 von derzeit jeweils etwa 10000 Sprengköpfen auf weniger als 3500 pro Land zu reduzieren. Die Ukraine, Kasachstan und Weißrußland haben im Rahmen von START I zugestimmt, die annähernd 3000 auf ihren Territorien verbliebenen strategischen Gefechtsköpfe zur Demontage nach Rußland zu bringen und dem Vertrag zur Nichtverbreitung von Kernwaffen (Non-Proliferation Treaty, NPT) als Nicht-Kernwaffenstaaten beizutreten. Weißrußland hat beide Verträge ratifiziert, Kasachstan bisher jedoch nur START I und die Ukraine keinen von beiden. Auch in Rußland könnten Befürworter einer harten Linie gegen eine Ratifizierung von START II Front machen, denn dieses Abkommen verlangt die Verschrottung von Mehrfachgefechtsköpfen auf landgestützten Raketen, also das Zerschlagen des mächtigsten Instruments im russischen strategischen Arsenal, wohingegen die Vernichtungspotentiale der U-Boot- und Bomberflotten der USA im wesentlichen unangetastet bleiben.

Doch selbst wenn beide START-Verträge ratifiziert würden, bliebe noch das Problem ihrer Umsetzung in die Praxis. Die instabile politische Lage in Rußland hat die dortige militärische Nuklearindustrie in arge Bedrängnis gebracht. Im Dezember 1992 beklagte sich der Chef der russischen Wiederaufbereitungsanlage für nukleare Brennstoffe in der Nähe von Tscheljabinsk, in der mehr als 25 Tonnen abgetrenntes Plutonium lagern, daß seine Arbeiter und Angestellten schon seit mehr als zwei Monaten kein Gehalt bekommen hätten. Bereits einige Monate zuvor hatte man den Wissenschaftlern in Rußlands Kernwaffen-Entwicklungslabors mitgeteilt, sie sollten Kartoffeln anpflanzen, wenn sie sichergehen wollten, daß ihre Familien etwas zu essen bekämen.

Es ist – zumal unter den gegenwärtigen Umständen – eine enorme Aufgabe, Zehntausende ausgemusterter Kernwaffen in Depots zu transportieren, sie auseinanderzunehmen und das in ihnen enthaltene Uran und Plutonium auf sicherem Wege zu beseitigen. Auch wenn es bisher keine Bestätigung dafür gibt, daß sowjetische Sprengköpfe oder Spaltmaterialien abhanden gekommen wären – es müssen dringend Maßnahmen vereinbart werden, die westlichen Ländern Unterstützungs- und Überwachungsmöglichkeiten einräumen.

Vergleichbare Sicherheitsbedenken bei der Beseitigung amerikanischer Sprengköpfe gibt es derzeit nicht. Dennoch müßte aus politischen Erwägungen heraus eine Überwachung auf Gegenseitigkeit beruhen. Der US-Senat berücksichtigte dies bei der Ratifizierung des START-I-Vertrages im Oktober 1992 und beauftragte den Präsidenten, gegenseitige Inspektionen und andere Verfahren zur Überwachung der Kernwaffen-Stückzahlen in den Vorratssilos der USA und der ehemaligen Sowjetunion zu vereinbaren. Die russische Regierung hat erkennen lassen, daß sie zur gegenseitigen Überwachung bereit wäre; aber bisher haben die USA lediglich unilaterale Maßnahmen auszuhandeln versucht – nämlich daß Amerikaner die Zerstörung von russischen Sprengköpfen überwachen dürfen.

Diese Politik sollte neu überdacht werden. Wenn es bisher Fortschritte gegeben hat, dann nur weil die Vereinigten Staaten zu gegenseitigen Zugeständnissen bereit waren. Dazu gehören beispielsweise die aufeinander abgestimmten, wenngleich als einseitig deklarierten Initiativen zum Abbau eines Großteils der sowjetischen und amerikanischen taktischen Gefechtsköpfe, die 1991 von den damaligen Präsidenten George Bush und Michail S. Gorbatschow angekündigt worden waren (Bild 5).

Demontage von Sprengköpfen

Rußland und die Vereinigten Staaten haben bereits Erfahrung mit der Verschrottung nuklearer Gefechtsköpfe – beide Länder demontieren jeweils zwischen 1000 und 2000 Stück pro Jahr. Das Problem ist also nicht neu, wenngleich die Stückzahlen nach Umsetzung der START-I- und START-II-Verträge erheblich größer sein werden.

Um einen thermonuklearen Sprengkopf gefahrlos auseinanderzunehmen, bedarf es besonderer Vorkehrungen. Die meisten modernen strategischen Gefechtsköpfe bestehen aus zwei Komponenten: einer Spaltbombe als Trigger (primary) und einer Fusions- oder thermonuklearen Bombe als Sekundärteil (secondary), die durch die Explosion des Triggers gezündet wird (Bild 3). Im sogenannten pit – dem kugelförmigen, im Zentrum hohlen Teil der Spaltbombe, der das Spaltmaterial enthält – befinden sich im Mittel drei bis vier Kilogramm Plutonium, manchmal gemeinsam mit etwas hochangereichertem Uran (highly enriched uranium, HEU, das zu mehr als 90 Prozent aus dem leicht spaltbaren Uran-235 besteht). Auch der Sekundärteil enthält im allgemeinen HEU, so daß dessen Gesamtmenge in einem typischen Sprengkopf etwa 15 Kilogramm beträgt.

Alle zur Abrüstung anstehenden Gefechtsköpfe der USA zusammen ergeben etwa 50 Tonnen Plutonium und bis zu 400 Tonnen hochangereichertes Uran. Das zur Demontage vorgesehene ehemals sowjetische Arsenal – einschließlich der etwa 10000 Gefechtsköpfe, die bereits auseinandergenommen worden sind – enthalten etwa 100 Tonnen Plutonium und mehr als 500 Tonnen hochangereichertes Uran.

Bei der Demontage eines Gefechtskopfes bauen die Arbeiter zunächst die Primär- und Sekundärteile aus dem Bombengehäuse aus und entfernen dann die chemischen Sprengstoffe, die den pit umgeben. Zuletzt entnehmen sie das Plutonium und das hochangereicherte Uran, das entweder gelagert oder für den erneuten Einsatz in anderen Sprengköpfen vorbereitet wird. In den USA geschieht diese Demontage in einer Anlage des Energieministeriums namens Pantex in der Nähe von Amarillo (Texas); die Sekundärteile werden in die demselben Ministerium unterstehende Anlage Y-12 in Oak Ridge (Tennessee) transportiert, wo man das restliche Uran entnimmt und lagert.

Bis 1989 wurden die pits in die Anlage Rocky Flats – ebenfalls eine Einrichtung des Energieministeriums – in der Nähe von Denver (Colorado) gebracht, wo man das Plutonium entnahm und für eine erneute Verwendung reinigte. Aus Umweltschutz- und Sicherheitsgründen wurde die Fabrik inzwischen allerdings geschlossen; einen Ersatz dafür gibt es noch nicht. In der Zwischenzeit lagert man die pits in versiegelten Kanistern in den stark gesicherten Bunkern der Pantex-Anlage. Dort gibt es 60 dieser sogenannten Iglus, in denen jeweils bis zu 400 pits untergebracht werden können – damit ist genügend Depotraum vorhanden, um das Spaltmaterial aller amerikanischen Sprengköpfe aufzunehmen, die ausgemustert werden sollen.

Rußland verfügt über vier Anlagen zur Demontage von Gefechtsköpfen mit einer Gesamtkapazität von angeblich bis zu 6000 Stück im Jahr (Bild 2). Das russische Atomenergieministerium möchte in der Nähe der sibirischen Stadt Tomsk – wo sich eine der drei russischen Produktionsanlagen für Plutonium befindet – ein sicheres Zentraldepot errichten, das 40000 Container mit Kernwaffenkomponenten und -materialien aufnehmen soll, und hat dazu um amerikanische Unterstützung nachgesucht. Die Stadtverwaltung von Tomsk befürchtet jedoch Schäden durch den Umgang mit dem radioaktiven Plutonium und widersetzt sich diesem Vorhaben. Nach einer Explosion im vergangenen April, die einen Teil der nahegelegenen Wiederaufarbeitungsanlage Tomsk-7 zerstört hatte, wurde das Projekt offiziell „ausgesetzt“.

Ob das Zentraldepot nun gebaut wird oder nicht – die sichere Lagerung nuklearen Materials ist sowohl für Rußland als auch für die Vereinigten Staaten die wichtigste anstehende Aufgabe. Nur so ließe sich bis zur späteren Umwandlung in proliferationsresistentere Formen ein Zugriff auf die kernwaffenfähigen Metalle verhindern. Solange Uran und Plutonium in einem Zustand verbleiben, der die einfache und rasche Verwendung in Waffensystemen gestattet, werden sie stets Anlaß zu Zweifeln am Abrüstungswillen geben; zudem besteht die Gefahr, daß solches Material eines Tages auf Umwegen in die Hände von Terroristen fallen oder in Länder gelangen könnte, die Nuklearmacht-Status anstreben.

Wohin mit dem Uran und Plutonium?

Es ist naheliegend, hochangereichertes Uran für Waffenanwendungen unbrauchbar zu machen, indem man es mit großen Mengen Uran-238 verschneidet, das im Natururan einen Isotopenanteil von 99,3 Prozent hat und sich im Gegensatz zu dem selteneren Uran-235 nicht durch Neutronen geringer Energie spalten läßt. Reduziert man so den Uran-235-Anteil wieder auf etwa 4 Prozent, kann man das Isotopengemisch als Brennstoff in den üblichen Leichtwasser-Kernreaktoren verwenden. Die erneute Anreicherung des Uran-235 auf mehr als 90 Prozent würde Isotopentrennverfahren erfordern, die bisher nur von Spezialeinrichtungen weniger Länder beherrscht werden.

Einem Vorschlag von Thomas Neff vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge folgend will die US-Regierung etwa zehn Milliarden Dollar für das schwach angereicherte Uran bezahlen, das aus den ungefähr 500 Tonnen HEU hergestellt werden soll, die in den auszumusternden sowjetischen Sprengköpfen enthalten sind. Mit dieser Menge ließe sich innerhalb der Vertragslaufzeit von 20 Jahren etwa ein Achtel der weltweit vorhandenen Kernkraftwerke betreiben. Den derzeitigen Plänen zufolge werden die Russen das HEU in einer eigenen Anlage nahe Jekaterinburg (früher Swerdlowsk) mit Uran-238 vermischen, bevor sie es in die USA liefern.

Von den insgesamt rund 500 Tonnen Waffen-Uran, über das die USA verfügen, dürften etwa 400 Tonnen ebenfalls obsolet werden. Der Bedarf für kernenergiebetriebene Kriegsschiffe und U-Boote sowie für Reaktoren, die Forschungszwecken oder der Herstellung von Radioisotopen für medizinische und andere Zwecke dienen, beträgt nur wenige Tonnen pro Jahr. Der Rest sollte so rasch wie möglich abgereichert und zum Verkauf als Reaktorbrennstoff zur Verfügung gehalten werden. Damit würden die Kosten für die Überwachung und Sicherung des Materials gesenkt; gleichzeitig wäre diese Maßnahme ein Signal an Rußland und andere Staaten, daß die Abrüstung der USA unumkehrbar ist.

Die 150 Tonnen Plutonium, die bei der Verschrottung der Gefechtsköpfe anfallen, stellen ein größeres Problem dar, denn dieser Spaltstoff verliert – im Gegensatz zu HEU – seine Fähigkeit zur Kettenreaktion nicht bei einer Veränderung der Isotopenzusammensetzung. Gleichwohl läßt sich durch Vermischen des Plutoniums mit radioaktiven Spaltprodukten seine Wiederverwendung in Kernwaffen erheblich erschweren.

Dies erreicht man beispielsweise, indem man aus dem Waffen-Plutonium gemeinsam mit Uran-235 sogenannte Mischoxid-Brennelemente (mixed-oxide fuel, MOX) herstellt, die sich in kommerziell betriebenen Leichtwasserreaktoren nutzen lassen (Bild 4). Durch Kernumwandlungen in den MOX-Brennelementen während des Einsatzes würde sich der Gehalt an Plutonium allmählich verringern, und zwar um etwa 40 Prozent in drei Jahren.

Das verbliebene Plutonium hätte zudem eine andere Isotopenzusammensetzung: Während Waffen-Plutonium überwiegend aus dem Isotop Plutonium-239 besteht, wäre dann der Anteil anderer Isotope – insbesondere von Plutonium-240 – erheblich größer. Dieses sogenannte Reaktor-Plutonium weist eine hohe Spontanspaltungsrate auf, die für eine Verwendung als Kernwaffenmaterial unerwünscht ist; dennoch könnte es aus den Brennelementen extrahiert und für die Herstellung einfacher nuklearer Sprengkörper verwendet werden, deren Ladungsstärke derjenigen von etwa 1000 Tonnen herkömmlichen Sprengstoffs entspräche. (Zum Vergleich: Die Bombe, die vor kurzem das World Trade Center in New York erheblich beschädigte, enthielt etwa eine halbe Tonne gewöhnlichen Sprengstoff.)

Japan und einige westeuropäische Staaten – insbesondere Deutschland und Belgien – verfügen bereits über eine gewisse Infrastruktur, um Plutonium aus verbrauchten Reaktorbrennelementen aufarbeiten zu können, so daß der Einsatz von Waffen-Plutonium in MOX-Brennelementen als durchaus möglich erscheint. Allerdings haben die beteiligten Unternehmen kein Interesse daran; denn zum einen sind die Herstellungskosten für Brennelemente aus Mischoxid gegenwärtig weit höher als diejenigen für solche aus schwach angereichertem Uran, und zum anderen erwartet man ohnehin einen beträchtlichen Überschuß an Plutonium aus dem zivilen Bereich.

Des weiteren wirft das MOX-Verfahren ernste Fragen nach der Sicherheit auf. Die frisch hergestellten Brennelemente enthalten nämlich Plutonium in einer leicht abtrennbaren Form, das nicht durch Spaltprodukte verunreinigt ist. Aus diesem Grunde lehnten die Vereinigten Staaten vor mehr als zehn Jahren das kommerzielle Wiederaufarbeiten von Plutonium ab. Deshalb gibt es in den USA keine Anlagen zur Herstellung von Mischoxid-Brennelementen für Leichtwasserreaktoren.

Auch Rußland hat keine Produktionsstätte für MOX-Brennelemente. Ohnehin wären dort die Möglichkeiten, Plutonium in Leichtwasserreaktoren einzusetzen, sehr beschränkt. Die Eigenschaften dieses künstlichen Elements erlauben es bei den meisten Leichtwasserreaktoren nicht, mehr als ein Drittel der Brennelemente aus schwach angereichertem Uran gegen solche aus Mischoxid auszutauschen. Darum kann man einen Leichtwasserreaktor mit einer elektrischen Leistung von 1000 Megawatt nur mit etwa 300 Kilogramm waffenfähigem Plutonium in MOX-Form pro Jahr beschicken. In Rußland sind sieben solcher Reaktoren in Betrieb, ein weiterer ist fast fertiggestellt. Folglich beträgt das Verarbeitungsvermögen lediglich etwa 2,5 Tonnen Plutonium pro Jahr. Es würde also 40 Jahre dauern, um in Rußland die dort überzähligen 100 Tonnen Waffen-Plutonium bestrahlen zu lassen. Während dieser gesamten Zeit müßte sichergestellt sein, daß weder in den Brennelementfabriken noch auf den Transportwegen Plutonium abhanden käme.

Die Sicherheitsrisiken ließen sich reduzieren, wenn man über Reaktoren verfügte, die ausschließlich mit Mischoxid-Brennelementen betrieben werden können; als Standort wäre in jedem Land nur ein einziges streng bewachtes Gelände vorzusehen. Für diesen Zweck wurden bereits mehrere Reaktortypen vorgeschlagen. Am schnellsten ließe sich vermutlich ein Leichtwasserreaktor der Firma ABB Combustion Engineering realisieren, der speziell konstruiert wurde, um leicht an eine reine Plutonium-Kernfüllung angepaßt werden zu können.

Zu den Alternativen zählen auch der flüssigmetallgekühlte Schnelle-Neutronen-Reaktor sowie der gasgekühlte Hochtemperaturreaktor; moderne Varianten dieser beiden Typen werden gegenwärtig in den USA und in anderen Ländern entwickelt. Der Anteil an Plutonium im Brennstoff ist im Schnelle-Neutronen-Reaktor höher als in einem Leichtwasserreaktor vergleichbarer Leistung, und darum kann auch mehr bestrahlt werden. Ohne Wiederaufbereitung wäre das Plutonium in den verbrauchten Brennelementen jedoch noch immer fast von waffenfähiger Qualität. Die Bestrahlung in einem gasgekühlten Hochtemperaturreaktor hingegen zerstört das meiste Plutonium, und der geringe Rest wäre für Kernwaffen noch weniger geeignet als dasjenige in den verbrauchten Brennelementen von Leichtwasserreaktoren.

Freilich wäre es wenig sinnvoll, sich darauf zu konzentrieren, das im militärischen Bereich anfallende Plutonium vollständig zu vernichten. Noch gibt es nämlich keine Pläne, mit den viel größeren Mengen, die sich nach und nach mit den nicht wiederaufbereiteten Brennelementen der zivilen Leistungsreaktoren ansammeln, ähnlich zu verfahren – bis zur Jahrtausendwende werden global bei der nuklearen Stromerzeugung mehr als 1000 Tonnen Plutonium angefallen sein.

Zudem sind sowohl für die flüssigmetall- als auch für die gasgekühlten Reaktoren noch erhebliche Entwicklungsarbeiten und Tests erforderlich, bevor man sie tatsächlich einsetzen könnte. (Noch ferner liegt eine andere Möglichkeit der Plutoniumbeseitigung; mit Teilchenbeschleunigern schnelle Protonen auf ein Target zu schießen und mit den dabei entstehenden Neutronen das Plutonium zu bestrahlen.) Die Vorarbeiten würden mindestens zehn Jahre dauern und mehrere Milliarden Dollar kosten; und selbst wenn die Technik anwendungsreif wäre, müßten immer noch teure Produktionsanlagen errichtet werden.

Direkte Endlagerung

Angesichts dieser Schwierigkeiten arbeiten Forscher in den USA und in Rußland an Alternativen, die eventuell schneller verfügbar und billiger sein könnten. Wir und andere haben uns insbesondere mit der Frage beschäftigt, ob man Plutonium zusammen mit radioaktivem Abfall beseitigen kann.

In beiden Ländern sowie in Frankreich, Großbritannien und Belgien gibt es bereits Anlagen, in denen hochaktiver Abfall aus Wiederaufbereitungsanlagen in Glas eingeschmolzen wird, so daß er in tiefen unterirdischen Stollen endgelagert werden kann. Würde man dieses Verfahren auch auf Plutonium anwenden, verlöre man zwar dessen Potential zur Stromerzeugung; wegen der sonstigen gravierenden Probleme wäre dies jedoch unbedeutend. Bei den gegenwärtigen Marktpreisen von Kernbrennstoffen würde sich Plutonium über Jahrzehnte hinaus nicht wirtschaftlich in Reaktoren nutzen lassen. Zudem entsprechen 100 oder 200 Tonnen Plutonium nur einem Bruchteil des in einem Jahr von allen Kernkraftwerken der Welt benötigten Spaltmaterials.

Aus diesen Gründen sollten Sicherheitserwägungen ausschlaggebend sein. Die direkte Endlagerung von Plutonium wäre im Vergleich zu der Verwendung als Kernbrennstoff mit weniger Arbeits- und Transportaufwand und darum mit einem geringeren Diebstahlsrisiko verbunden. Falls sich der zivile Einsatz von Plutonium eines Tages doch als wirtschaftlich und politisch vertretbar erweisen sollte, gäbe es immer noch Tausende von Tonnen dieses Materials, die aus verbrauchten Brennelementen gewonnen werden könnten.

Die USA haben auf dem Gelände der mittlerweile stillgelegten militärischen Plutonium-Produktionsanlage Savannah River in Aiken (South Carolina) eine Abfall-Verglasungsfabrik gebaut. Dort kann jeweils eine halbe Tonne hochradioaktiven Materials mit 1,2 Tonnen Borosilikatglas zu drei Meter langen Zylindern von 60 Zentimetern Durchmesser verschmolzen werden, die man in stählerne Sicherheitsbehälter einschweißt. Von 1994 bis 2009 sollen mindestens 8000 Tonnen dieser Schmelze hergestellt werden. Darin ließen sich statt anderen radioaktiven Materials siebzig Tonnen Plutonium unterbringen, ohne daß dessen Konzentration den für verbrauchte Brennelemente üblichen Wert übersteigen würde.

Zwar müßten zunächst in Savannah River entsprechende Sicherheitsvorkehrungen und andere Vorbereitungen getroffen werden, was mindestens fünf Jahre dauern würde; aber die Fachleute dort vermochten bisher keine erheblichen technischen Hindernisse festzustellen. Weil die Verglasungsanlage auf jeden Fall anläuft, entstünden Zusatzkosten nur durch die Vorbereitung des Plutoniums und besondere Vorkehrungen beim Einfüllen in die Schmelzvorrichtung sowie durch die erforderlichen Bewachungs- und Sicherungsmaßnahmen, und die wären vermutlich geringer als beim Einsatz in Leichtwasserreaktoren.

Wenngleich das Plutonium in den Glasblöcken immer noch von waffenfähiger Qualität wäre, würden die beigemengten radioaktiven Spaltprodukte seine Abtrennung fast genau so schwierig machen, wie dies bei verbrauchten Brennelementen der Fall ist. Es wäre für jede Person und auch jede Gruppe, die Mißbrauch beabsichtigte, praktisch unerreichbar; nur ein Staat könnte die erforderlichen Mittel aufbringen, um es in einem langwierigen Prozeß für eine erneute Verwendung wiederzugewinnen.

Eine andere Möglichkeit wäre, das Plutonium ohne hochradioaktive Zusätze in Glas einzuschmelzen und nur Elemente wie Gadolinium hinzuzufügen, die ähnliche chemische Eigenschaften haben und daher nur schwer wieder davon zu trennen sind. Auch bei diesem Verfahren hätte nur ein Staat mit nuklearen Ambitionen die Möglichkeit, das Plutonium in reiner Form wiederzugewinnen. Die Schmelze ließe sich auch mit Cäsium-137 versetzen; dieses in Kernreaktoren entstehende Spaltprodukt emittiert intensive Gammastrahlung und hat eine Halbwertszeit von 30 Jahren.

Rußland verglast hochradioaktiven Abfall in seiner Wiederaufbereitungsanlage nahe Tscheljabinsk. Gemessen an der Radioaktivität lagert in den dortigen Tanks fast genausoviel Abfall wie in Savannah River. Das als Matrix verwendete Phosphatglas scheint allerdings nicht so haltbar zu sein wie das Borosilikatglas, das man in Westeuropa, Japan und den USA benutzt; auch fehlen ihm die Sicherheitsvorteile, die das neutronenabsorbierende Bor bietet.

Ein Technologietransfer würde Rußland ermöglichen, all sein waffenfähiges Plutonium in Glasblöcke einzuschmelzen. Die verantwortlichen Stellen dort haben jedoch bisher weder für die Verglasung noch für andere Verfahren, mit denen man den Zugriff erschweren könnte, besonderes Interesse gezeigt. Der Preis, den Menschen und Umwelt in Rußland für die Erzeugung dieses Materials hatten zahlen müssen, ist enorm hoch, so daß man es als kostbaren nationalen Besitz erachtet. Noch herrscht die Absicht vor, das Plutonium für eine mögliche spätere Nutzung zu deponieren, auch wenn seine Sicherung auf Jahrzehnte hinaus teuer und nicht ohne Risiko sein wird. Vielleicht wäre das Land bereit, sich von seinem tödlichen Schatz zu trennen, wenn die politische Führung diese Kosten und Risiken erkennte und sie davon überzeugt würde, daß die USA sich ihrerseits ihres waffenfähigen Plutoniums auf Dauer entledigen wollen; auch finanzielle Hilfen könnten zu einem Meinungsumschwung beitragen.

Verifikation

Wenn die USA und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion sich über Prozeduren zur Beseitigung der ausgemusterten Sprengköpfe einigen könnten, wären freilich noch Fragen der Verifikation zu klären. Förderlich für das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft in die nukleare Abrüstung wäre es, wenn mit der Überprüfung der ausgehandelten Maßnahmen unabhängige Inspektoren betraut würden. Experten des Los-Alamos-Nationallaboratoriums und der Pantex-Anlage kamen zu dem Schluß, daß eine effektive Überwachung möglich ist, ohne daß sensitive Informationen über den Aufbau nuklearer Sprengköpfe enthüllt werden müßten. Dennoch bleibt die US-Regierung bei ihrer im Grunde einseitigen Politik, indem sie sich darauf beschränkt, über Kontrollbefugnisse nur im Zusammenhang mit dem Erwerb sowjetischen hochangereicherten Urans und mit der Unterstützung beim Bau von Depots für die ausgemusterten Gefechtsköpfe zu verhandeln.

Wir meinen hingegen, die USA und Rußland sollten die Beseitigung der Gefechtsköpfe auf gleichberechtigter Basis gegenseitig überprüfen und das aus den Waffen entnommene Spaltmaterial – nachdem es derart bearbeitet worden ist, daß keine Rückschlüsse auf die Konstruktion der Sprengkörper mehr zu ziehen sind – unter internationale Kontrolle stellen. Die Internationale Atomenergiebehörde (International Atomic Energy Agency, IAEA) hat bereits angeboten, die Lagerung und nachfolgende Weiterverarbeitung oder Vernichtung des Spaltmaterials zu überwachen. Eine solche Kombination aus bilateralen und internationalen Vorkehrungen würde zur technischen und politischen Sicherheit bei der Beseitigung der Sprengköpfe beitragen und gewährleisten, daß die Spaltmaterialien niemals wieder in Kernwaffen eingesetzt werden.

Die gegenwärtige politische Führung Rußlands hat erkennen lassen, daß sie dieser umfassenden Überprüfung zustimmen würde, sofern sie auf Gegenseitigkeit beruht. Wie lange diese Chance erhalten bleibt, ist offen. Die USA sollten Rußland rasch im Gegenzug anbieten, die Beseitigung amerikanischer Sprengköpfe zu überwachen.

Weitergehende Maßnahmen sollten auf ein verbessertes Nichtverbreitungs-Regime hinwirken, in dessen Rahmen nicht nur in den USA und der früheren Sowjetunion, sondern weltweit die Herstellung von kernwaffenfähigem Material einzustellen wäre. Damit würde der Abbau der nuklearen Arsenale unumkehrbar und des weiteren auch das Risiko minimiert, daß andere Staaten oder Terrororganisationen sich die Mittel zur Herstellung von Kernwaffen beschaffen können.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1993, Seite 32
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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