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Viewegs Geschichte der Astronomie und Kosmologie

Aus dem Englischen von Rainer Sengerling. Vieweg, Braunschweig 1997. 463 Seiten, DM 78,–.


Wie kein anderes Wissensgebiet ist die Himmelskunde nicht nur intellektueller Natur, sondern seit jeher eng mit Religion und Aberglaube verknüpft. Ihre Entwicklung war stets innig mit dem kulturellen und gesellschaftlichen Umfeld verbunden.

Diese Verflechtung im Detail aufzuzeigen hat sich der Autor vorgenommen. John North studierte Mathematik, Physik, Astronomie und Philosophie in Oxford und London. Seit mehr als zwanzig Jahren ist er Lehrstuhlinhaber für Geschichte der Philosophie und der exakten Wissenschaften an der Universität Groningen (Niederlande).

Astrologie und religiöse Deutung kosmischer Erscheinungen sind in seinen Augen etwas Selbstverständliches – ein einfaches Merkmal der menschlichen Natur. Den Schwerpunkt legt er daher auf die Astronomie im heutigen Sinne, die er als eine intellektuelle Glanzleistung der Menschheitsgeschichte wertet.

Die erste Hälfte des Buches führt den Leser zurück zu den Anfängen der Himmelskunde in den frühen Kulturen. Er erfährt von den prähistorischen Steinwällen in Stonehenge, von den mit erstaunlicher Genauigkeit an den Himmelsrichtungen orientierten Pyramiden im alten Ägypten, von der Bedeutung des Sternes Sirius für die Vorhersage der Nilflut und vom Ursprung unseres Begriffes der Stunde. Breiten Raum nimmt – seiner Bedeutung entsprechend – das Weltbild der griechischen Antike ein. Hipparch von Nikaia (um 190 bis um 125 vor Christus) hat als erster systematisch arithmetische Methoden auf geometrische Modelle angewandt und damit den Wandel der Astronomie von einer qualitativen Beschreibung zu einer empirischen Wissenschaft eingeläutet. Claudius Ptolemäus (um 100 bis 170 nach Christus) hat mit seinem umfangreichen Werk, das viel später den Namen "Almagest" erhielt, das geozentrische Weltbild festgeschrieben, das immerhin eineinhalb Jahrtausende Bestand hatte.

Mit einer klaren Gliederung gelingt es North, die Entwicklung der Astronomie nach Kulturen getrennt aufzuzeichnen, ohne jedoch deren wechselseitige Einflüsse zu vernachlässigen. Dabei streift er den präkolumbischen Sternenkult der Maya und Azteken ebenso wie die Rechenkünste der frühen indischen und islamischen Astronomen. Den chinesischen Gelehrten dagegen lag das bloße Sammeln und Aufzeichnen ihrer Beobachtungen mehr als das Entwerfen komplexer mathematischer Theorien. Dadurch fanden dort – anders als bei den Griechen – auch unregelmäßige Himmelsphänomene wie Kometen, Novae und Sonnenflecken Beachtung. In Europa setzte sich das Wissen um deren Existenz erst 2000 Jahre später durch, nach der Erfindung des Fernrohrs im 17. Jahrhundert.

Norths Reise durch die Geschichte kulminiert – nach eher trockenen Passagen über das Europa des frühen Mittelalters – in der Zeit der kopernikanischen Wende. Der revolutionäre Wandel zum heliozentrischen Weltbild durch die Entdeckungen von Nikolaus Kopernikus (1473 bis 1543), Tycho Brahe (1546 bis 1601), Johannes Kepler (1571 bis 1630), Galileo Galilei (1564 bis 1642) und Isaac Newton (1643 bis 1727) bildet den Kern seiner Arbeit, der den Leser über viele Seiten fesseln kann.

Im 18. und 19., vor allem aber im 20. Jahrhundert folgt eine atemberaubende Explosion astronomischen Wissens, bedingt durch die konsequente Anwendung physikalischer Prinzipien auf die Himmelskörper. Dies stellt aber jeglichen Versuch astronomischer Geschichtsschreibung vor immense Probleme. Die Vielfalt kosmischer Phänomene ist nur mit Hilfe der modernen Atom-, Kern- und Elementarteilchenphysik zu verstehen. Und doch unternimmt es der Autor, die Geschichte der Astronomie und Kosmologie bis in die Gegenwart hinein zu beschreiben. Dabei muß er den Leser mit einer Fülle an Erkenntnissen überschütten, vor welcher der Historiker und der interessierte Laie recht bald kapitulieren.

Obwohl der Autor ausdrücklich nicht den Anspruch erhebt, auch nur ansatzweise ein astronomisches Lehrbuch ersetzen zu können, läuft es letztlich auf ein solches hinaus, indem er versucht, bis hin zum Hubble-Weltraumteleskop und den Messungen der kosmischen Hintergrundstrahlung durch den Satelliten COBE (Cosmic Background Explorer) aus dem Jahre 1992 ein vollständiges Bild der astrophysikalischen Forschung zu zeichnen. Dann dürften aber eigentlich auch so entscheidende Dinge wie die Berechnung des Aufbaus und der Entwicklung der Sterne in den sechziger Jahren und die Messungen solarer Neutrinos nicht fehlen.

Insgesamt ist das Buch aber ein sehr ehrgeiziges Werk und eine reichhaltige Informationsquelle für jeden, der die Entwicklung der Himmelskunde im Kontext der kulturgeschichtlichen Etappen der Menschheitsgeschichte nachvollziehen möchte.Dr. Christoph A. GummersbachLandessternwarte Heidelberg-Königstuhl


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1998, Seite 120
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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