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Visualisierte Polarforschung

Die Ausstellung

Seit den sechziger Jahren haben militärische und zivile Erdbeobachtungssatelliten eine schier unüberschaubare Fülle an Datenmaterial gesammelt. Das meiste davon liegt ungenutzt in den Archiven. Allein die beiden französischen Satelliten des Typs SPOT (Satellite pour l'Observation de la Terre) haben in zehn Jahren vier Millionen Aufnahmen gemacht, die jeweils 3600 Quadratkilometer der Erdoberfläche umfassen; doch nur wenige Prozent dieser Bilder werden tatsächlich genutzt.

In diesem Jahr werden die Vereinigten Staaten einen weiteren Erdbeobachter, den Earth Observation Satellite (EOS) in eine Umlaufbahn bringen. Die täglich von ihm übermittelte Informationsmenge entspricht dem Inhalt der gesamten Library of Congress in der amerikanischen Bundeshauptstadt Washington und dem Dreifachen dessen, was der europäische Mikrowellen- und Radarsatellit ERS-2 (European Remote Sensing Satellite) zur Bodenstation sendet.

Die besten militärischen Späher im All können noch Objekte von wenigen Dezimetern Größe abbilden. Wenngleich sich die zivilen Instrumentenkapseln mit einer geringeren Schärfe begnügen müssen, werden auch sie immer leistungsfähiger. Doch dem steigenden Angebot stehen – gerade in Zeiten zunehmend strengerer wirtschaftlicher Bedingungen – die Kosten-Nutzen-Abwägungen der potentiellen Kunden gegenüber. Die Mineralölindustrie beispielsweise braucht die Ausgaben wohl nicht zu scheuen; doch für viele Wissenschaftler in der zivilen Forschung sind die Satellitendaten nur schwer zu finanzieren. Die hohen Kosten der Satellitenbetreiber müssen schließlich letztlich vom Kunden bezahlt werden, und auch die Verwaltung sowie die Verarbeitung der Informationen zu aussagekräftigen Bildern ist aufwendig und teuer.


Neue Ansichten und Perspektiven

Für die Umweltforschung und andere geographisch orientierte Wissenschaftsdisziplinen stellen die heutigen Satellitendatenbanken eine äußerst wertvolle Ressource dar. Um sie nutzen und die Fülle an hochwertiger Information erschließen zu können, müssen die Daten in geeigneter Weise aufbereitet werden. Visualisierung heißt das Schlüsselwort.

Moderne, leistungsfähige Rechner und ausgeklügelte Verfahren der Bildbearbeitung erlauben das Umsetzen der nüchternen Meßdaten in Bilder und Animationen, die völlig neue Perspektiven eröffnen. Eine gute Visualisierung vermag der Grundlagenforschung neue Impulse zu geben, der Öffentlichkeit die Eigen-schaften und Eigenheiten unseres Globus zu veranschaulichen, die Sensibilität gegenüber der Umwelt zu erhöhen und sogar die internationale Verständigung über politische und wirtschaftliche Fragen wie zum Beispiel über die Nutzung von Rohstoffquellen und -lagerstätten zu fördern (Bilder 1 bis 7).


Multimediale Veranschaulichung

Die am 18. Dezember 1997 eröffnete Ausstellung "Arktis-Antarktis" in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (KAH) in Bonn präsentiert dem allgemeinen Publikum Ergebnisse der wissenschaftlichen Polarforschung auf anschauliche Weise. Dabei stellen verschiedene künstlerische Beiträge – wie etwa Visionen von Eiswüste und Weltrand – auch den kulturellen Bezug her. Zu den behandelten Themen gehören beispielsweise die Eroberung der Pole durch wagemutige Forscher, die Menschen der Arktis und ihre Lebensbedingungen, die Erscheinungsformen des Eises sowie die Archäologie der Völkerwanderung. Ferner wird über medizinische Aspekte von Körper und Seele, die Nahrungskette, die polare Flora und Fauna, Lichtphänomene und meteorologische Besonderheiten informiert.

Eine moderne Multimediashow führt den Besucher in die Polregionen der Erde. Bilder und Animationen – zum Beispiel Videoprojektionen der globalen Meeresströmungen und der Wolkendynamik – erlauben dem Fachmann wie dem Laien gleichermaßen Einblicke in geophysikalische und meteorologische Phänomene. Dabei werden Satelliten-daten mit anderem wissenschaftlichen Bildmaterial sowie mit Texten und Musik zu einer interaktiven Polarreise durch mehrere naturwissenschaftliche Themengebiete kombiniert.

Die Multimediashow ist Kern eines Projekts, das von der Kommission der Europäischen Union unterstützt wird und an dem insgesamt sieben Organisationen aus Deutschland, Schweden und Großbritannien beteiligt sind: das Deutsche Fernerkundungsdatenzentrum des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen, die Firmen Planetary Visions Ltd, Multimedia Corporation und Binary Interactive Solutions in London, das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven, das Deutsche Klimarechenzentrum in Hamburg, die Firma Dyring Production AB in Uppsala (Schweden) sowie als Koordinator die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn.

Bestandteil des Projekts ist auch eine Konferenz über Multimedia und Geoinformation, die am 16. und 17. März 1998 in der Kunst- und Ausstellungshalle stattfindet.


Sedimente des Polarmeeres, ein Langzeitarchiv für Klimaforscher

Nicht nur Satellitendaten aus den Polarregionen sind eine reiche Informationsquelle für Umweltforscher. Auch aus dem Eis selbst und aus den Sedimenten am Meeresboden können die Wissenschaftler zahlreiche Hinweise über geophysikalische Vorgänge und meteorologische Bedingungen der letzten Jahrtausende gewinnen.

Ein solches historisches Klimaarchiv befindet sich zum Beispiel entlang des Lomonossow-rückens zwischen Grönland und den sibirischen Inseln. Dieser 50 bis 70 Kilometer breite Rücken zieht sich in einer Meerestiefe von etwa 2500 Metern über eine Länge von 1500 Kilometern unter dem Bereich des Nordpols hindurch. Man vermutet, daß dieses unterseeische Gebirge vor etwa 50 Millionen Jahren in der heutigen Barentssee unter die Meeresoberfläche gesunken ist und seitdem langsam in Richtung Grönland driftet.

Untersuchungen von Bohrkernen mit solchen Sedimenten des Polarmeeres können die globale Klimaentwicklung vieler Jahrtausende erhellen (Bild 6). An diesen Forschungen sind unter anderem die Universität Stockholm, das Alfred-Wegener-Institut und das Bedford Institute of Oceanography in Kanada beteiligt. Man hofft daraus weitere Erkenntnisse zu gewinnen über die Vorgänge, die an der Bildung von Meereis mitwirken, sowie über die Mechanismen des Wärmeaustausches zwischen den Ozeanen und der Atmosphäre und über den Sauerstoffgehalt der Tiefsee.

Die Ausstellung "Arktis-Antarktis" ist noch bis zum 19. April 1998 in der Kunst- und Ausstellungshalle in Bonn zu sehen.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1998, Seite 120
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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