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Medizinische Informatik: Vom Anatomie-Atlas zum virtuellen Körper

Die Programme des Projekts VOXEL-MAN erzeugen Bilder des Körperinneren von bisher unerreichter Qualität. Anatomiestudenten profitieren davon ebenso wie Chirurgen bei der Planung komplizierter Operationen.


Heutzutage wäre es undenkbar, einen Piloten an den Steuerknüppel eines Passagierflugzeuges zu lassen, ohne dass er in virtuellen Flügen alle erdenklichen Situationen geübt hätte. Leider steht Ärzten für ihre Tätigkeit ein solches Hilfsmittel nicht zur Verfügung. Dazu müsste nämlich in einem Rechner ein Modell gespeichert sein, das sowohl die Details der Erscheinungsform als auch einen Bau- und Funktionsplan des Menschen enthält. Ein solches generelles Modell gibt es bisher nicht; es müsste um Größenordnungen komplizierter sein als bei einem Jumbo-Jet.

Unsere Arbeitsgruppe beschäftigt sich seit Jahren damit, diesem großen Ziel schrittweise näher zu kommen. Über ein Modell des Kopfes habe ich in dieser Zeitschrift (April 1999, S. 54) ausführlich berichtet. Inzwischen ist ein Modell des Rumpfes entstanden, das mit mehr als 650 einzelnen dreidimensionalen anatomischen Strukturen, von inneren Organen bis hinunter zu einzelnen Nerven und Blutgefäßen, alle bisherigen Modelle an Realität und Detailtreue übertrifft.

Zusammen mit der zugehörigen Software bildet diese Datenbasis einen interaktiven Anatomieatlas: Für den Lernenden ist er gleichsam Präpariersaal und Bibliothek zugleich, da er sowohl den optischen Eindruck vom Inneren des Körpers als auch zugehöriges Wissen liefert. Dem Radiologen kann er die Interpretation von Röntgen- oder Computertomografie-Bildern erleichtern, dem Chirurgen einen möglichst schonenden Operationsweg finden helfen. Schließlich lassen sich aus dem Modell auf Grund seiner großen Allgemeinheit und Abstraktheit herkömmliche Bilder oder Trickfilme extrahieren, ohne dass es einer Neubearbeitung der Datenbasis bedürfte. Die Bilder wurden in ihrer Qualität bisher von keinem anderen Computer-Modell übertroffen.


Die Ausgangsdaten von VOXEL-MAN stammen aus dem Projekt "Visible Human". Unter der Federführung der amerikanischen National Library of Medicine wurden von einer männlichen Leiche 1871 fotografische Querschnittsbilder angefertigt. Aus 770 dieser Bilder haben wir ein detailliertes Modell des Torsos erzeugt. Hauptproblem war die Segmentierung, also die Zuordnung jedes Bildbereichs zu einem der mehr als 650 anatomischen Objekte. Die größeren Objekte, die in dem Bild mit jeweils einer eigenen Farbe erscheinen, wurden von Ex-perten "elektronisch präpariert". Hierbei schlägt ein Programm auf Grund der Original-Farbwerte vor, welchem Objekt jedes der mehr als 150 Millionen Volumenelemente (Voxel) zuzuordnen ist. Da Farbwerte verschiedener Objekte einander oft sehr ähnlich sind, ist das Verfahren fehlerträchtig; der Experte muss daher häufig vom Vorschlag des Programms abweichen. Das Ergebnis der Prozedur wird durch eine Kennung ("Objektmarke") an jedem Voxel festgehalten. Kleine Objekte wie Nerven und kleine Blutgefäße zeigt das Original-Datenmaterial nur bruchstückhaft; sie wurden anhand dieser Fragmente als Röhren rekonstruiert. Der realistische Eindruck kommt durch ein von uns entwickeltes Visualisierungsverfahren zu Stande, das die genaue Lage der Oberflächen aufgrund der Objektmarken berechnet. Die so erreichte Auflösung ist feiner als das durch die Voxelgröße vorgegebene Raster. Die Entwicklung der (auch für klinische Anwendungen genutzten) Verfahren und die Segmentation haben sich über fünf Jahre erstreckt.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2001, Seite 46
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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  • Infos
VOXEL-MAN 3D-Navigator: Innere Organe unter
http://www.voxel-man.de/3d-navigator/inner_organs/
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