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Kajak: Von Robbenhaut zu Plastik



Die Baidarka war nur eine der Kajak-ormen, die von den Inuit und anderen Bewohnern der arktischen Regionen von Sibirien bis Grönland benutzt wurden. Die Koryak auf Kamtschatka beispielsweise entwickelten kurze, breite Boote für den Einsatz in geschützten Gewässern; Kajaks vom Mackenzie-Delta im Nordwesten Kanadas hatten dagegen nach oben gerichtete Bug- und Heck-Hörner und wurden zur Jagd sowie manchmal zum Ausbringen von Fischnetzen eingesetzt (oben Mitte). In Zentralkanada, wo die Wanderrouten der Karibus Flüsse und Seen kreuzten, fertigten Copper- und Netsilik-Inuit leichtere Boote an, um ihrer schwimmenden Beute schnell nachjagen zu können (oben links). In der Hudson-Bucht und um die Insel Baffin im Nordosten Kanadas schließlich wurden breitere, schwerere Kajaks mit hohem Bug und hochgezogenem Süllrand gebaut. Sie dienten vornehmlich zum Transport großer Lasten.

Das Design, das aus heutiger Sicht am vertrautesten wirken dürfte, ist das des Grönland-Kajaks (oben rechts). Dieses schmale, wendige Boot mit flachem Deckprofil, anmutig in spitzen Bug und spitzes Heck übergehend, diente vor allem der Jagd. Seine gleichermaßen zweckmäßige wie hübsche Form hat das moderne Kajak-Design noch am ehesten beeinflusst. Manche Formelemente sind in heutigen Kajaks deutlich erkennbar, auch wenn sie – was Zweck, Material und Herstellung betrifft – mit den Booten der nordamerikanischen Ureinwohner nur noch wenig gemein haben.

Während Kajaks seit Jahrhunderten, möglicherweise seit Jahrtausenden zur Fortbewegung, zur Jagd und zum Transport genutzt wurden, ist das Kajakfahren als Freizeitbeschäftigung eine relativ neue Erscheinung. 1866 veröffentlichte John McGregor, ein britischer Philanthrop, den ersten einer ganzen Reihe von Berichten über Kajaktouren (wobei sein Boot, die "Rob Roy", allerdings eher einem schmalen, abgedeckten Ruderboot glich). In der westlichen Welt setzte ein erster Kajak-Boom nach 1907 ein, als Hans Klepper, ein deutscher Schneider, die Massenproduktion eines tuchbespannten, zusammenfaltbaren Rahmen-Kajaks aufnahm. Das Boot ließ sich in Taschen transportieren, die praktischerweise in den Gepäckfächern von Zugwaggons Platz hatten. So konnte die neue städtische Mittelklasse dem neuen Volkssport frönen.

Während der Wirtschaftskrise der zwanziger Jahre und im Zweiten Weltkrieg litt der Kajaksport nachhaltig. Erstens wurde die Herstellung in Hand-arbeit zu teuer. Zweitens verlor Sport im Freien an Popularität. Entgegen diesem Trend experimentierten hart gesottene Kajak-Liebhaber jedoch weiter mit Design und Materialien. Glasfaser kam auf, und das Kajakfahren auf Flüssen wurde mit der Zeit wieder beliebter. Unterdessen inspirierten einige der alten Grönland-Designs moderne Modelle von Seekajaks.

Mitte der achtziger Jahre verhalf ein Durchbruch in der Fertigungstechnik dem Kajaksport zu bis dato ungeahnter Verbreitung. Beim so genannten Rota-tionsgussverfahren wird die Innenseite einer rotierenden Gussform mit flüssigem Plastik beschichtet. Auf diese Art lassen sich Kajaks kostengünstiger produzieren.

Zwar erinnern die heutigen Plastikboote, die in leuchtenden Farben prangen, durchaus noch an manche Grönland-Kajaks. Doch sie sind Freizeitgeräte einer Überflussgesellschaft. Für die Aleuten und andere nordamerikanische Völker waren ihre kleinen Boote aus Treibholz, Elfenbein und Robbenhaut dagegen zum Überleben in einer rauen Umwelt notwendig.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2000, Seite 82
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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