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Hirschhausens Hirnschmalz: Wann beginnt die Zukunft?

Eckart von Hirschhausen

"T he Power of Now" ist ein internationaler Bestseller von Eckhart Tolle. Der Mann sagt richtige Dinge wie zum Beispiel: "Lebe im Jetzt!" Und sinngemäß erklärt er auch, warum das Jetzt jetzt wichtig ist. Denn wenn man jetzt nicht im Jetzt lebt, kann man ja später nur im Jetzt von später leben und nicht mehr in dem von jetzt. Aber das schaffen die meisten auch wieder nicht, weil sie sich später ärgern, dass sie nicht schon jetzt im Jetzt lebten. Ist das jetzt klarer?

Einen wissenschaftlichen Einwand gegen die reine Jetztigkeit liefert die Publikation von zwei Psychologen, die den Einfluss des Zeithorizonts auf die Motivation untersuchen. Zeit ist schwer greifbar, und deshalb fehlt einem oft der Ansporn, jetzt schon zu sparen oder jetzt schon Sport zu machen oder jetzt schon mit dem Rauchen aufzuhören, wenn man das Gefühl hat: Ach, dafür ist später immer noch Zeit.

Wann beginnt für Sie die Zukunft?

  1. A) morgen
  2. B) übermorgen
  3. C) über Nacht
  4. D) überhaupt nicht

Die Forscher wollten wissen, wie "nah" uns die Zukunft gefühlt kommt – und variierten hierfür die "Darreichungsform" der Zeit. Sie gaben die Dauer bis zu einem zukünftigen Ereignis also mal in Jahren und mal in Monaten an, in einem anderen Fall in Minuten beziehungsweise in Stunden.

Das Ergebnis war verblüffend: Die kleinere Maßeinheit sorgte für den größeren Motiva­tions­schub. Obwohl es noch viel mehr Monate als Jahre bis zur Rente sind, kann unser Vorstellungsvermögen mit der kleinen Einheit offenbar mehr anfangen und stimmt das Verhalten eher darauf ab. Wenn wir uns heute also irgendwie schlau anstellen wollen, hilft es, sich spätere Ereignisse nicht zu abstrakt zu denken, sondern als eine Fortschreibung des Jetzt.

Was bedeutet das nun? "Lebe jeden Tag so, als wäre es dein letzter – eines Tages wirst du Recht behalten!?" Oder: "Besser früher an später denken?" Der Trick steht schon in der ­Bibel und war auch Motto des Deutschen Evangelischen Kirchentags 2015 in Stuttgart: "Lasse uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden."

Wir brauchen beides – die Fähigkeit, heute das Leben zu genießen, und auch die, ab und an in ­erreichbare Zukünfte zu schauen, um daraus im Rückschluss auf heute Dinge anzuschieben, zu sammeln oder loszuwerden (Projekte, Erfahrung, Kilos) und so später auf uns stolz sein zu können. Ganz schönes mentales Judo! Doch Leute, die immer nur vorsorgen, sind vor Sorgen oft nicht in der Lage, im Jetzt "präsent" zu sein. Und das Präsent des Lebens, den Augenblick, würdigen sie keines Blickes, weil sie so auf die Zukunft starren.

Die Studie der beiden Psychologen lässt viele praktische Schlussfolgerungen zu für die Mammutaufgabe, sich und andere zu einem ­gesünderen Lebensstil zu ermuntern. So wie der Arzt, der zu dem rauchenden Patienten sagt: "Sie müssen endlich die Finger von den Zigaretten lassen." Antwort: "Aber ich rauche doch schon 30 Jahre." "Zum Aufhören ist es nie zu spät!" "Na, dann kann ich ja noch ein bisschen weiterrauchen!"

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