Direkt zum Inhalt

Achtsamkeit: »Es fehlt die ­Demut«

Der Psychologe Thomas Joiner warnt vor überzogenen Erwartungen an die Achtsamkeitsmeditation. Sie sei zu einer Industrie verkommen, in der die ursprüngliche Idee verloren gehe.
Thomas Joiner

Herr Professor Joiner, Achtsamkeit halten die ­meisten für eine feine Sache. Sie soll helfen, Stress abzubauen sowie aufmerksamer und zufrie­dener zu sein. Was kritisieren Sie daran?

Es geht mir vor allem um drei Dinge: Erstens knüpfen heute viele Menschen stark übertriebene Erwartungen an diesen Begriff. Natürlich hat Achtsamkeit in ihrer ursprünglichen Form eine Menge für sich. Daraus ist inzwischen aber eine regelrechte Industrie geworden – man findet Achtsamkeitsangebote, wo man nur hinsieht: Achtsamkeit für Autofahrer, Achtsamkeit für Schwangere, achtsam kochen, achtsam kommunizieren, achtsam gärtnern … Das hat mit der Sache selbst oft nichts mehr zu tun. Zweitens scheint mir gerade das Überangebot die eigentliche, authentische Idee der Achtsamkeit immer mehr zu verdrängen, ja zu pervertieren. Es geht dabei nicht um das eigene Ego, nicht um ständige Beschäftigung mit sich selbst und die Konzentration auf das eigene Denken und Fühlen. Das Gegenteil ist der Fall. Und drittens dürfen wir bei aller Euphorie über die positiven Effekte nicht vergessen, dass die Achtsamkeits­praxis bei manchen Menschen auch kontraproduktiv sein kann. Zirka fünf Prozent derjenigen, die an Achtsamkeits-­Retreats teilnehmen, zeigen danach mehr Unbehagen als zuvor. Sie kommen mit der Fokussierung auf sich selbst nicht gut zurecht. Solche unerwünschten Nebenwirkungen wurden zu lange ignoriert ...

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – Liebes Gehirn, konzentrier dich doch mal!

Unser Gehirn empfängt ununterbrochen Reize aus unserer Umgebung. Wie können wir trotzdem fokussiert sein und uns auf bestimmte Dinge konzentrieren? In dieser Ausgabe der »Woche« widmen wir uns dem Phänomen der Aufmerksamkeit und Konzentration. Außerdem: Neutrino-Experiment KATRIN bekommt Konkurrenz.

Spektrum - Die Woche – Übersehene Mädchen

Die Diagnose ADHS wird deutlich öfter bei Jungen als bei Mädchen gestellt, doch spiegelt das tatsächlich die Realität wider? Was steckt hinter dem Geschlechterbias? Außerdem in der aktuellen »Woche«: ein Experteninterview zum Cyberkrieg, der hinter den blutigen Kulissen in Nahost stattfindet.

Spektrum Kompakt – Wahrnehmung - Zusammenspiel von Sinnen und Gehirn

Aus den Informationen, die Sinnesorgane liefern, konstruiert das Gehirn ein Bild unserer Umwelt. Doch auch Erfahrungen und Erinnerungen beeinflussen unsere Wahrnehmung.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

  • Literaturtipp und Quellen

Literaturtipp

Joiner, T.: Mindlessness. The Corruption of Mindfulness in a Culture of Narcissism. Oxford University Press 2017

Plädoyer für eine Rückbesinnung auf »authentische« Achtsamkeit

Quellen

Twenge, J. M.: The Evidence for Generation Me and against Generation We. In: Emerging Adulthood 1, S. 11–16, 2013

Williams, J. M. G. et al.: Mindfulness-Beased Cogntive Therapy for Preventing Relapse in Recurrent Depression: A Randomized Dismantling Trial. In: Journal of Consulting and Clinical Psychology 82, S. 275–286, 2014

Wilson, B. M. et al.: Increased False-Memory Susceptibility after Mindfulness Meditation. In: Psychological Science 26, S. 1567–1573, 2015

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.