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Predictive Coding: Die Kristallkugel im Kopf

Viele Neurowissenschaftler glauben, dass unser Gehirn permanent die Zukunft vorhersagt. Erklärt diese ­Theorie die grundlegende Funktionsweise des Geistes?
Handinnenflächen schützen leuchtendes virtuelles Gehirn

Im Sommer 2018 stellte das Google-Unternehmen DeepMind eine neue Software vor. Sie erzeugt anhand weniger Fotos von Objekten dreidimensionale Darstellungen dieser Gegenstände. Das Programm basiert auf einer Technik namens »generative query network« (GQN), die nicht nur IT-Spezialisten begeistert. Auch Neurowissenschaftler haben ein Auge darauf geworfen. Sie interessiert vor allem der Algorithmus, durch den das Programm selbstständig lernt.

Der funktioniert grob gesagt so: Aus einem Bild leitet GQN Vorhersagen darüber ab, wie die jeweilige Szene aus anderen Positionen aussehen würde. Wo befinden sich die Objekte, wie fallen ihre Schatten, was ist aus verschiedenen Blickwinkeln sichtbar? Unterschiede zwischen den Vorhersagen und dem realen Input nutzt das System, um die Genauigkeit seiner Vorhersagen stetig zu verbessern. Der Algorithmus verändert also die Parameter seines Vorhersagemodells derart, dass es von Mal zu Mal weniger von der echten Situation abweicht.

Viele Forscher vermuten, dass unser Gehirn auf ganz ähnliche Weise arbeitet. Demnach erzeugt es laufend Modelle, die beschreiben, was in der Welt draußen vor sich geht. Daraus leitet es Vorhersagen darüber ab, was als Nächstes geschehen wird, die wiederum mit den Sinnesdaten abgeglichen werden. So entstehen immer bessere Modelle der Wirklichkeit.

Die Zahl der Neurowissenschaftler, die dieser als »Predictive Coding« bekannte Ansatz überzeugt, wächst stetig. Manche erklären ihn bereits zur umfassenden Theorie der Funktionsweise unserer grauen Zellen. »Das Gehirn passt seine internen Modelle so an, dass der Vorhersagefehler schrumpft«, sagt auch Karl Friston. Der Hirnforscher vom University College in London gilt als Pionier des »Predictive Coding«. Die Grundthese, wonach das Gehirn ständig Schlüsse aus Sinnesdaten zieht und die daraus generierten Vorhersagen an der Realität überprüft, teilen zwar die meisten Wissenschaftler. Jedoch waren die empirischen Belege dafür bislang rar …

Von »Gehirn&Geist« übersetzte und bearbeitete Fassung des Artikels »To Make Sense of the Present, Brains May Predict the Future« aus »Quanta Magazine«, einem inhaltlich unabhängigen Magazin der Simons Foundation, die sich die Verbreitung von Forschungsergebnissen aus Mathematik und den Naturwissenschaften zum Ziel gesetzt hat.

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  • Quellen

Alexander, W. H. et al.: Frontal cortex function as derived from hierarchical predictive coding. Scientific Reports 8, 2018

Eslami, A. S. M. et al.: Neural scene representation and rendering. Science 360, 2018

Hohwy, J.: The Predictive Processing Hypothesis. In: A. Newen, L. de Bruin, S. Gallagher (Hrsg.): The Oxford Handbook of 4E Cognition. Oxford University Press 2018, S. 129-145

Keller, G. B., Mrsic-Flogel, T. D.: Predictive Processing: A canonical cortical computation. Neuron 100, 2018

Schwiedrzik, C. M., Freiwal, W. A.: High-level prediction signals in a low-level area of the macaque face-processing hierarchy. Neuron 96, 2017

Suzuki, K. et al.: A deep-dream virtual reality platform for studying altered perceptual phenomenology. Scientific Reports 7, 2017

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