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Empathie: Schattenseiten des Mitgefühls

Empathie hat ein blendendes Image: Sich in andere hineinzuversetzen, gilt als Grundlage von Fairness und ­Hilfsbereitschaft. Einige Forscher zweifeln allerdings an dieser Sichtweise.
Auf eine Mauer am Rand eines Flusses befindet sich ein Graffito "Refugees Welcome".

Im September 2015 ging ein Bild um die Welt. Nicht etwa, weil es so schön anzuschauen ist, sondern im Gegenteil, weil es fast jedem, der es betrachtet, unweigerlich Tränen in die Augen treibt. Aufgenommen hat es die Fotografin Nilüfer Demir am Strand nahe Bodrum in der Türkei. Es zeigt einen toten Jungen, den dreijährigen Aylan Kurdi, der auf der Flucht vor dem Krieg in Syrien im Mittelmeer ertrank und an Land gespült wurde.

Dieses Bild weckt Empathie pur. Die Tragik von Aylans kurzem Leben, der Schmerz der Hinterbliebenen (nur der Vater überlebte das Kentern des Flüchtlingsboots, Aylans Bruder und seine Mutter starben ebenfalls) kriechen einem buchstäblich unter die Haut. Das verdeutlicht, was empathisches Mitgefühl oft ausmacht: Es ist längst nicht immer angenehm, sondern kann regelrecht weh tun, gerade beim Anblick fremden Leids. Und wir können uns ihm oft kaum verschließen, es überkommt uns einfach – es sei denn, wir sehen weg.

Empathie hat einen exzellenten Ruf. Viele halten sie für die Voraussetzung von Hilfsbereitschaft und Fairness schlechthin. Nur wer mit anderen mitfühlen könne, bringe die nötige Motivation auf, um ihnen in der Not beizustehen. Rationale Argumente allein, etwa hinsichtlich der Vorteile gegenseitigen Helfens, genügten dafür nicht.

Als "Empathie-Altruismus-Hypothese" ging diese Sichtweise in die Sozialwissenschaften ein. Einer ihrer Wortführer, der Psychologe C. Daniel Batson von der University of Kansas, hatte bereits in den 1980er Jahren in seinem berühmten Elaine-Experiment gezeigt, dass wir für andere eher Partei ergreifen, wenn wir uns mit ihnen verbunden fühlen. Batson gab Studierenden eine Beschreibung ihrer (fiktiven) Kommilitonin Elaine zu lesen. Die Skizze war mal sehr persönlich gehalten, mal nüchtern und distanziert. Anschließend sahen die Probanden, wie Elaine im Rahmen eines Experiments schmerzhafte Elektroschocks erhielt ...

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  • Quellen und Literaturtipps

Literaturtipps

Bloom, P.: Against Empathy. Bodley Head, London 2016
Der Psychologe Paul Bloom wendet sich gegen die Idealisierung der Empathie - und setzt ihr das Konzept des "rationalen Wohlwollens" (rational compassion) entgegen.

Breithaupt, F.: Die dunklen Seiten der Empathie. Suhrkamp, Berlin 2017
Ausführliche Darstellung der negativen Seiten menschlichen Mitgefühls


Quellen

Batson, C. D. et al.: Is Empathetic Emotion a Source of Altruistic Motivation?. In: journal of Personality and Social Psychology 40, S. 290-302, 1981

Cameron, D. C. et al.: Deconstrusting Empathy: A motivational Frmawork for the apparent limits of Empathy. In: Open Science Framework, 2017

Konrath, S. et al.: Changes in Dispositional Empathy in American College Students over Time: A Meta-Analysis. In: Personality and Social Psychology Review 15, S. 180-198, 2011

Schumann, K. et al.: Addressing the Empathy Deficit: Beliefs about the Malleability of Empathy Predict Effortful Responses When Empathy is Challenging. Journal of Personality and Social Psychology 107, S. 475-493, 2014

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