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Titelthema: Warum wir doch vernünftig sind

Kopf eines Mannes als Silhouette, der sich einen Stift an den Mund hält, vor einem Zahlen-Hintergrund

In Buchhandlungen mache ich meist einen gro­ßen Bogen um Regale, die mit "Psychologie" beschriftet sind. An Bestseller über Karmalesen und die heilende Kraft der Selbstumarmung habe ich mich schon gewöhnt. Inzwischen finden sich dort aber auch viele Bücher mit Titeln wie "Bauchentscheidungen", "Das Geheimnis der In­tui­tion" oder "Die Macht der Unvernunft". Darin raten uns Autoren im Plauderton, mehr auf unser Gefühl als auf den Verstand zu hören. Der Bauch entscheidet oft besser als der Kopf, so lautet die Botschaft. Spaßige ­Anekdoten über erfolgreiche Bauchentscheidungen und katastrophale Misserfolge durch "zu viel Nachdenken" sollen diese These belegen. In der Öffentlichkeit ist diese Nachricht beliebt. Sie fühlt sich gut an und entlas­tet unser Gewissen, wenn wir uns mal wieder vor größerer geistiger Anstrengung drücken. Und sie bestätigt unsere Alltagserfahrung, dass wir oft irrational handeln.

Für die Zweifel an der menschlichen Vernunft ist auch die denkpsychologische Forschung der letzten Jahrzehnte verantwortlich. Psychologen haben die Art, wie wir denken, experimentell untersucht und von unzähligen Ergebnisse berichtet, nach denen sich Menschen oft nicht an die Regeln der klassischen Logik und Wahrscheinlichkeitstheorie halten. So schließen viele Personen aus der Aussage "Wenn jemand viele Süßigkeiten isst, bekommt er Karies" und der Information, dass Lena an Karies leidet: Das Mädchen hat viele Süßigkeiten gegessen. Gemäß der Aussagenlogik ist dieser Schluss aber unzulässig. Lena kann ja auch eine genetische Veranlagung für schlechte Zähne haben oder sich einfach nicht regelmäßig genug die Zähne putzen.

Der britische Psychologe Peter Wason (1924–2003) ließ seine Versuchspersonen die auf S. 16 dargestellte Aufgabe lösen. Versuchen Sie es einmal selbst! Haben Sie das Problem richtig gelöst? Wenn nein: Das muss Sie nicht beunruhigen, denn Sie befinden sich in guter Gesellschaft. Die Aufgabe wurde seit den 1960er Jahren in dutzenden Experimenten verwendet. Ergebnis: Nur ein Bruchteil der Probanden kann die nach den Regeln der formalen Logik richtige Antwort geben. Ergebnisse wie dieses werden oft ausgeschlachtet, um die Story von der Unzuverlässigkeit unseres Verstands zu erzählen.

  • Infos

Quellen

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Gazes, R. P. et al.: Transitive Inference of Social Dominance by Human Infants. In: Developmental Science 10.1111/desc.12367, 2015

Grosenick, L. et al.: Fish Can Infer Social Rank by Observation Alone. In: Nature 445, S. 429-432, 2007

Johnson-Laird, P. N., Wason, P. C.: A Theoretical Analysis of Insight into a Reasoning Task. In: Cognitive Psychology 1, S. 134-148, 1970

Johnson-Laird, P. N.: Mental Models and Human Reasoning. In: Proceedings of the National Academy of Sciences 107, S. 18243-18250, 2010

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Knauff, M.: Space to Reason. MIT Press, Cambridge 2013

Oaksford, M., Chater, N.: Bayesian Rationality: The Probabilistic Approach to Human Reasoning. Oxford University Press, New York 2007

Ragni, M., Knauff, M.: A Theory and a Computational Model of spatial reasoning with Preferred Mental Models. In: Psychological Review 120, S. 561-588, 2013

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