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Die Genome der Arten: Was haben wir mit Hefe, Würmern, Fliegen und Mäusen gemein?



Das Interesse an diesen Organismen besteht aus gutem Grund: Immerhin 50 bis 80 Prozent unserer Gene haben ein hinreichend ähnliches Gegenstück bei Fadenwürmern oder Taufliegen, sodass man dort die Funktion dieses Gens studieren kann. Zudem lassen sich diese Lebewesen sehr leicht im Labor halten. Wissenschaftler in der akademischen und industriellen Forschung bedienen sich ihrer als "Modell-Organismen" zur Erforschung von Krebs, Diabetes und vielen anderen Krankheiten.

Die Hefe


Die unscheinbare Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae – einzellig, aber mit Zellkern – gab als erstes Nicht-Bakterium die Geheimnisse ihrer Gene preis. Von allen ihren Proteinen zeigen immerhin 2300 (38 Prozent) noch Übereinstimmungen mit Säugetierproteinen. Das macht sie zu einem besonders guten Modellorganismus für die Krebsforschung.

"An einfachen Systemen wie der Hefe haben wir schon viel über Zellteilung und DNA-Reparatur gelernt, was gerade für das Verständnis von Krebs wichtig ist", erklärt Leland H. Hartwell, Präsident und Direktor des Fred-Hutchinson-Krebsforschungszentrums in Seattle. Er ist Mitbegründer des so genannten "Seattle-Projekts", eines Gemeinschaftsunterfangens von akademischen und industriellen Forschungsinstituten. Am Modell Hefe soll die Wirkweise von bereits bekannten Krebsmedikamenten aufgeklärt werden; die Forscher haben bereits herausgefunden, dass das gängige Chemotherapeutikum Cisplatin besonders effektiv Krebszellen mit einem bestimmten Defekt im DNA-Reparatursystem abtötet.

Der "elegante" Wurm


1998 lag die komplette Genomsequenz des Fadenwurms Caenorhabditis elegans vor. Von seinen Proteinen hatten über 6000 – also etwa ein Drittel – Ähnlichkeit mit Säugerproteinen. Mehrere Firmen machen sich nun die Winzigkeit der nur etwa einen Millimeter langen Fadenwürmer zunutze und verwenden sie in automatischen Suchtests auf potenzielle neue Pharmaka – beispielsweise gegen Diabetes.

Für solche Tests setzt man je ein bis zehn Würmchen in die zahlreichen tablettengroßen Vertiefungen einer Plastik-Mikrotiterplatte, die ungefähr die Abmessungen eines Geldscheins besitzt. Bei einer der Testvarianten tragen die verwendeten Würmer eine Mutation im Gen für den Insulin-Rezeptor und wachsen dadurch schlecht.

Fördert eine der angegebenen Verbindungen das Wachstum, wird sie weiter geprüft, denn sie könnte den schadhaften Rezeptor umgangen haben. Auf der Grundlage solcher Stoffe ließen sich neue Medikamente für Diabetiker entwickeln, deren Zellen oft nicht mehr auf Insulin ansprechen.

Die Taufliege


Die Genomsequenz der Taufliege Drosophila melanogaster wurde im vergangenen März fertig gestellt, als Gemeinschaftsprojekt von akademischen Forschern und Wissenschaftlern von Celera Genomics in Rockville, Maryland. Die Hälfte der etwa 14000 Fliegenproteine, erschlossen aus ihren Genen, wies Ähnlichkeiten mit Säugetierproteinen auf. Überraschender noch: Von den 289 damals bekannten Krankheitsgenen des Menschen hatten allein 60 Prozent ein Pedant im Taufliegen-Genom.

Als Beispiel sei das menschliche "Anti-Krebsgen" p53 genannt, das in seiner mutierten Form die Entstehung von Krebs begünstigt. Es ist Teil eines molekularen Signalweges, der nach einer irreversiblen genetischen Schädigung der Zelle sicherheitshalber deren programmierten Selbstmord einleitet. Die im März identifizierte Fliegenversion von p53 verhält sich entsprechend: Kann sie kein funktionsfähiges Protein mehr bilden, dann sind Drosophila-Zellen nach einem DNA-Schaden auch nicht mehr zur Selbstzerstörung fähig, sondern wachsen unkontrolliert – genau wie man es von menschlichen Zellen kennt. Wegen solcher Übereinstimmungen eignen sich Fliegen zur Erforschung der molekularen Vorgänge, die Krebserkrankungen zugrunde liegen. Ihr Einsatz ist ein "vernünftiger Kompromiss", so Gerald M. Rubin vom Howard-Hughes-Institut für Medizin an der Universität von Kalifornien in Berkeley und einer der Leiter des Fliegen-Genom-Projekts: "[An Fliegen] kann man raffinierte genetische Manipulationen durchführen, die bei den relativ großen und teueren Mäusen nicht möglich wären."

Die Maus


So wertvoll die anderen Modellorganismen auch sind – irgendwann muss jedes neue Medikament am Säugetier erprobt werden, und das heißt oft, an der Maus. Im Genom steht der kleine Nager dem Menschen sehr nahe, denn über 90 Prozent der bisher identifizierten Mäuseproteine zeigen Übereinstimmungen mit bekannten menschlichen Proteinen. In den USA haben sich zehn am Mäuse-Genom interessierte Labors zu einem Sequenzierverbund zusammengetan (Mouse Genome Sequencing Network), den die Nationalen Gesundheitsinstitute 1999 mit 21 Millionen Dollar unterstützten. Bisher sind erst wenige Prozent dieses Genoms entziffert; die komplette Fassung soll aber im Jahre 2003 vorliegen. Vielleicht geht es aber auch schneller: Celera hat im April angekündigt, sich mit der geballten Kraft seiner Sequenziermaschinerie an die Arbeit zu machen.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2000, Seite 35
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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