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Was kostet die Welt?

Nach herkömmlichen Wirtschaftlichkeitskriterien dürfte die Menschheit natürliche Güter wie Luft und Meere, fruchtbare Böden und tropische Artenvielfalt eigentlich ungehemmt nutzen, ja sollte sie sogar schleunigst aufbrauchen und in Kapital verwandeln; es läßt sich nämlich fast überall gewinnbringender anlegen als in Maßnahmen zum Umweltschutz. Diesem ökologischen Manko üblicher Bilanzen sucht eine umfassende Studie beizukommen, indem sie den wirtschaftlichen Nutzen der gesamten Biosphäre schätzt.

Im Jahre 1973 rechnete der Forscher Colin W. Clark von der Universität von British Columbia in Vancouver (Kanada) in der amerikanischen Wissenschaftszeitschrift "Science" (Band 255, Seiten 890 bis 897) am Beispiel des Walfangs modellhaft vor, daß Ausrotten allemal profitabler ist als nachhaltiges Wirtschaften; denn die Walbestände wachsen langsamer, als dies die durch ihre Nutzung gewonnenen Bankguthaben selbst bei moderaten Zinsen tun (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1995, Seite 92).

Mit heilsamem Zynismus demonstrierte der Artikel, wie ohnmächtig die hochmoralischen Anliegen des Umweltschutzes gegen das freie Spiel der Marktkräfte sind – zumindest solange in der Kalkulation nur die unmittelbaren Kosten (der Waljagd) vom direkten Nutzen (beim Verkauf als begehrte Luxusnahrung) subtrahiert werden. Zweifellos bedeutet das Dezimieren der Wale einen Verlust, der uns näher geht als das Ausmerzen einer Mottenpopulation im Kleiderschrank (wofür wir sogar bereit sind, Mottenpulver und Insektenspray zu kaufen), aber erst wenn der Unterschied, den wir zwischen bedrohter Art und störendem Ungeziefer machen, sich ökonomisch quantifizieren läßt, kann er in eine wirtschaftliche Gesamtrechnung eingehen.

Das kaufmännische Beziffern des Werts von Umweltgütern mag manchem erst recht als Zynismus oder bloße Spiegelfechterei erscheinen – denn wer darf sich anmaßen, dem Naturschönen ein Preisschild aufzukleben, als wäre es Gegenstand einer Kunstauktion? Und wie bewertet man etwas, das weder als Produkt menschlicher Tätigkeit auf den Markt kommt (in dessen Preis somit Rohstoff- und Lohnkosten plus Gewinn eingingen) noch eine natürliche Ressource von solchem Seltenheitswert ist, daß ihr Preis als Knappheitsindikator die Nachfrage nach einem raren Gut anzeigte?

Freilich steht der Mensch vor einem ähnlichen Bewertungsdilemma, wenn seinesgleichen Schaden nimmt und er (beziehungsweise seine Versicherungsanstalt) den Verlust eines Körperteils oder der Gesundheit wohl oder übel in Form einer Schadenssumme zu veranschlagen hat. Auch täte man gut daran, der Verschwendung eines nicht-nachwachsenden Guts vorzubeugen, indem man auf dessen aktuellen Marktpreis eine Verknappungskomponente aufschlüge – beispielsweise in der Abfallwirtschaft durch vorsorgliches Verteuern des Deponierens; in diesem Fall ist der als Deponiefläche verfügbare Boden das knappe Gut (siehe Spektrum der Wissenschaft, Juni 1990, Seite 46). Und weil die Begrenztheit der weltweit verfügbaren Erdölreserven nach neuen Schätzungen schon in zwanzig Jahren den dauerhaften Niedergang der Ölförderung bewirken wird, wäre es eigentlich höchste Zeit, den Preis dieses künftig immer knapperen Gutes entsprechend anzuheben, um Nachfrage und Förderquoten zu bremsen ("Nature", Band 387, 8. Mai 1997, Seite 121). Andernfalls drohen Verteilungskämpfe, ja regelrechte Umwelt-Kriege, zum Beispiel um die im Nahen Osten knappe Ressource Wasser (Spektrum der Wissenschaft, April 1993, Seite 36).


Eine globale Umweltbilanz

Angesichts solcher Probleme – den Ökonomen als Marktversagen im Umweltschutz bekannt – hat man ansatzweise versucht, unter- oder nichtbewerteten natürlichen Guthaben Preise zuzuschreiben und sie in die volkswirtschaftlichen Bilanzen einzubringen. So hat Robert Repetto vom World Resources Institute in der amerikanischen Bundeshauptstadt Washington vorgerechnet, daß das vermeintliche Wirtschaftswunder Costa Ricas sich in eine Negativbilanz verwandelt, wenn man die Folgen der Bodenerosion durch Waldrodung sowie das Überfischen der Küstengewässer in Rechnung stellt (Spektrum der Wissenschaft, August 1992, Seite 36). Dabei wird die natürliche Ressource als ein Guthaben betrachtet, dessen Wert den Kosten entspricht, die anfallen, wenn man den entstandenen Schaden durch Rekultivierung wiedergutmachen muß. Erst in einer solchen – ökologisch ergänzten – volkswirtschaftlichen Bilanz macht sich Raubbau tatsächlich als Verlust bemerkbar, während nachhaltiges Bewirtschaften optimalen Ertrag bringt.

Jetzt hat eine internationale Forschergruppe um Robert Constanza (er leitet das Institut für ökologische Ökonomie an der Universität von Maryland in Solomons) das Nonplusultra solcher Studien vorgelegt: eine Bewertung der erneuerbaren Güter und Dienstleistungen, die unsere Biosphäre insgesamt bereitstellt ("Nature", Band 387, 15. Mai 1997, Seiten 253 bis 260). Gleich eingangs räumen die Autoren ein, wie grob eine derartige Schätzung ausfallen muß; sie verteidigen ihr Unternehmen mit der Notwendigkeit, auf die in herkömmlichen Wirtschaftlichkeitsrechnungen notorisch unterschätzten Umweltfaktoren hinzuweisen und wenigstens pauschal die darin verborgenen Werte zu umreißen. Aus dem Vergleich mit zwei anderen Globalschätzungen (eine aus den achtziger Jahren, eine derzeit fertiggestellte mit anderer Methodik) schließen sie, daß die eigenen Resultate zumindest in ihrer Größenordnung plausibel sein dürften.

Constanzas Team hat das globale Ökosystem in 16 Bereiche, sogenannte Biome, unterteilt – vom offenen Meer über Küstenregionen, Tropenwälder, Steppen, Feuchtgebiete, Flüsse und Seen bis zu Anbauflächen. Diese 16 Biome stellen nun jeweils insgesamt 17 unterschiedliche Gruppen von Gütern und Dienstleistungen bereit, die von der Klimaregulierung bis zum Wert des Bioms als Erholungsgebiet reichen; somit entsteht eine Matrix mit 16 × 17 = 272 Eintragungen, die angeben, welchen Wert eine spezielle Leistung eines bestimmten Bioms hat. (Dabei wurden nur erneuerbare Umweltgüter berücksichtigt, nicht-nachwachsende Energieträger und wirtschaftlich genutzte Mineralien dagegen ausgeklammert.) Grundlage der Quantifizierung war der aktuelle Wert, den die Menschen dem betreffenden Gut heute zubilligen; er mußte meist indirekt erschlossen werden, oft auf recht abenteuerliche Weise. Zum Beispiel schätzt die Studie den sogenannten kulturellen Wert des offenen Meeres – gewissermaßen dessen ästhetische Anziehungskraft – anhand der höheren Immobilienpreise in Küstenregionen.

Manche Einzelresultate (aus rund 100 Quellen und eigenen Szenarien zusammengetragen) sind überraschend. So würde man beim wirtschaftlichen Nutzen der biologischen Artenvielfalt zunächst an den genetischen Reichtum denken, aus dem sich neue Medikamen-te oder ertragreichere Nutzpflanzen gewinnen lassen; doch der Wert der Artenvielfalt als reines Anschauungsmaterial (man denke an die zahlreichen Natursendungen im Fernsehen) und touristisches Reiseziel wird in der Studie noch sechsmal höher veranschlagt: mit weltweit 700 Milliarden Mark pro Jahr.


Das Ergebnis

Unterm Strich summieren sich die Güter und Dienstleistungen des globalen Ökosystems demnach auf einen jährlichen Wert von grob 46 Billionen Mark (33 Billionen Dollar); das entspricht dem 1,8fachen des globalen Bruttosozialprodukts. Allerdings ist dieses Resultat, wie nicht anders zu erwarten, äußerst ungenau: Die Studie räumt dem Wert der Biosphäre einen Spielraum zwischen 22 und 76 Billionen Mark pro Jahr ein.

Solche Zahlen erscheinen einerseits überraschend niedrig, wenn man bedenkt, daß der Wert der natürlichen Ressourcen, auf ein Jahr umgerechnet, nach dieser Schätzung in der Größenordnung der von der Menschheit jährlich geschaffenen Werte liegt. Andererseits besagt das Ergebnis, daß die in der Ökonomie übliche Rechnungsweise nur einen mehr oder weniger großen Bruchteil der tatsächlichen Güter erfaßt, die in der Biosphäre kursieren. Insofern weist die Studie gerade durch ihre methodischen Schwächen auf ein Problem hin, das durch Ignorieren nicht verschwindet, sondern von Jahr zu Jahr größer wird.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1997, Seite 21
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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