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Bundestagswahl Teil III:: 'Weltmeister aller Klassen'

Nur in einem sind sich alle einig: Um die Forschungslandschaft in Deutschland attraktiver und international konkurrenzfähiger zu machen, muss gehandelt werden. Die Diskussion darüber entfacht sich vor allem an Großforschungsprojekten.


Bei der Eroberung des Weltraums sind zwei Probleme zu lösen: die Schwerkraft und der Papierkrieg. Mit der Schwerkraft wären wir fertig geworden.

Wernher von Braun

Deutschland hat den Anschluss an die Spitzengruppe der führenden Industrienationen der Welt in den neunziger Jahren verloren", so konstatierte die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn, als sie den Bundesforschungsbericht des Jahres 2000 vorlegte. In den 1970er und 1980er Jahren hingegen sei es selbstverständlich gewesen, dass die Bundesrepublik im internationalen Vergleich an der Spitze der Forschungsinvestitionen gestanden habe.

Dieser Rückschritt lässt sich mit Zahlen verdeutlichen: Während in den Jahren 1989 bis 1997 die Pro-Kopf-Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den USA von 581 auf 794 und in Japan von 482 auf 715 US-Dollar stiegen, hielten sie in Deutschland im gleichen Zeitraum kaum mit der Inflationsrate Schritt. Hier stiegen sie umgerechnet von 488 auf 511 US-Dollar.

Gerne verweist die Bundesregierung auf jene schwierigen Jahre nach der Wiedervereinigung – eine Phase, die von der Koalition aus CDU/CSU und FDP gelenkt wurde. Und sie lässt keine Gelegenheit aus, auf die forschungspolitische Trendwende im Wahljahr 1998 zu verweisen, als Rot-Grün die Regierungsverantwortung übernahm. Dabei war damals "Innovation" nicht nur bei der SPD, sondern auch bei der CDU/CSU das große neue Wahlkampfthema neben der vertrauten Arbeitslosigkeit. Inzwischen sind diese beiden Themen verbunden, denn Innovation, also Forschung und Entwicklung, wird als wesentlicher Motor des wirtschaftlichen Wachstums und der Schaffung von Arbeitsplätzen angesehen. Entsprechend kämpfen die Parteien auch mit dem Schlagwort Innovation um die Stimmen der Wähler.

Allerdings: Die im letzten Juni durch die Bund-Länder-Kommission verabschiedete Steigerung der Mittel für die Max-Planck-Gesellschaft und die Deutsche Forschungsgemeinschaft um 3,5 Prozent für das Jahr 2003 dürfte für einen deutlichen "Ruck" bei weitem nicht ausreichen. Denn unsere großen Mitbewerber Japan und die USA können auf dem Sektor Forschung und Entwicklung mit einer Verdoppelung ihrer Budgets bis 2007 rechnen. Es braucht also niemanden zu wundern, dass deutsche Spitzenforscher wie etwa Wolfgang Ketterle, Physik-Nobelpreistäger des Jahres 2001, lieber in den USA arbeiten. Zumal sich die Gehälter dort nicht an den Stufen des Bundesangestelltentarifs, sondern am Markt orientieren. Und der bietet den weltweit begehrten Spitzenforschern einiges mehr.

Peter Gruss, der neue Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, stellt hierzu fest: "Wenn wir einem Amerikaner nur die Hälfte des Gehalts bieten können, das er in den USA erhält, muss er schon Idealist sein, um trotzdem zu uns zu kommen." Ganz zu schweigen von der lähmenden Bürokratie im deutschen Forschungsbetrieb. Darin sind wir, wie sein Amtsvorgänger Hubert Markl drastisch qualifiziert, "Weltmeister aller Klassen …, unschlagbar in der Vielfachselbstbehinderung".

Jetzt wird für den Forschungsstandort Deutschland geworben. Eine undankbare Aufgabe, solange das Problem der leistungsorientierten Gehälter und einer radikalen Entbürokratisierung nicht politisch gelöst ist. Eine Initiative mit dem wuchtigen Titel "Internationales Marketing für den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland" soll es richten. Getragen wird sie von der Bund-Länder-Kommission und den großen Organisationen in Forschung, Wirtschaft und Politik. Mit allen in den Ländern vertretenen Parteien hat sie zum Ziel, den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland international attraktiver zu machen. So deutlich das vereinte Bekenntnis – so eindeutig belegt die Marketinginitiative freilich die allseits geteilte Erkenntnis: Hier besteht Handlungsbedarf.

Was tun? Großprojekte sind probate Instrumente. Neben dem eigentlichen Zweck, nämlich Talente anzuziehen und die angestrebten Resultate zu erbringen, entfachen sie in der Regel auch weitere dynamische Prozesse. Doch bei manchem Großprojekt, das wie ein Kristallisationskeim für die Forschung wirken könnte, endet der Konsens der Demokraten am Horizont der Parteilinie. Das führt zu Blockaden.

Eklatantes Beispiel hierfür ist die Fusionsforschung. Seit mehr als fünfzig Jahren gilt die Kernfusion als Energiequelle der Zukunft – und wird es vielleicht auch für immer bleiben. Denn noch immer ist alles andere als gewiss, ob Fusionskraftwerke jemals zu unserer Stromversorgung beitragen können. Der Internationale Thermonukleare Experimentalreaktor, abgekürzt Iter, soll zeigen, ob diese Kohlendioxid-neutrale und nachhaltig mit Wasserstoff zu betreibende Anlage einen Teil der künftig benötigten Energie wirtschaftlich beisteuern kann. Nach Einschätzung von Alexander Bradshaw, Direktor am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bei München, könnten kommerzielle Fusionskraftwerke in rund fünfzig Jahren in Betrieb gehen.

Voraussetzung dazu ist allerdings die praktische Bewährung von Iter. Über dessen Sein oder Nichtsein – und somit wohl über die grundsätzliche Möglichkeit einer neuartigen Energiequelle für künftige Generationen – wird in wenigen Monaten unter den Teilnehmern entschieden: Dies sind die Staaten der Europäischen Union, die Russische Föderation, Kanada, die Schweiz und Japan. Die USA haben sich bereits 1998 gegen eine Beteiligung ausgesprochen. Die mittlerweile fast typisch amerikanische Begründung für den Ausstieg: Weder sei mit einem Energie-Engpass noch mit einem Treibhauseffekt aufgrund des von Menschen verursachten Kohlendioxid-Ausstoßes zu rechnen. Wegen des Rückzugs der USA musste das auf ursprünglich 8 Milliarden Dollar veranschlagte Iter-Projekt auf eine Light-Version abgespeckt werden (siehe "Der nächste Schritt zum Fusionskraftwerk", Spektrum der Wissenschaft 06/2000, S. 86). Diese ist auf 3,5 Milliarden Euro taxiert. Deutschland soll hiervon den größten Anteil übernehmen.

Mit der Bundestagswahl am 22. September wird vermutlich eine wichtige Vorentscheidung zu Iter fallen, denn unterschiedlicher als zu diesem Großforschungsprojekt können Parteipositionen kaum sein:

CDU/CSU: "Die kontrollierte Kernfusion könnte die entscheidende Option für eine nachhaltige, sichere und verträgliche Energiequelle ab der zweiten Hälfte des Jahrhunderts sein", so Martin Mayer, bildungs- und forschungspolitischer Sprecher der CSU-Fraktion.

Das eindeutige Bekenntnis zur Kernfusion wird noch untermauert durch die Forderung, dass Iter, wenn schon nicht am favorisierten Standort Greifswald an der Ostseeküste, dann zumindest in einem europäischen Nachbarland errichtet werden solle.

FDP: Auch die Freien Demokraten sprechen sich für den Iter-Standort Deutschland aus. Für sie "muss an der politischen Option Kernfusion für eine zukünftige Energieversorgung festgehalten werden", wie es der FDP-Antrag zum Experimentierreaktor vom 13. März 2002 formuliert.

Bündnis 90/Die Grünen: Wenig überraschend ist die klare Ablehnung der Bündnisgrünen. Für deren forschungspolitischen Sprecher Hans-Josef Fell ist die Kernfusion eine "Fehlinvestition in Milliardenhöhe" und "riskant, teuer, überflüssig" sowie "ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft".

Eine Haltung, welche die zögerliche Position des Koalitionspartners SPD erklären mag.

SPD: Als einzige der Parteien zeigen sich die Sozialdemokraten in der Frage Iter unentschieden. Nach Angabe von Werner Richter von der forschungspolitischen Arbeitsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion bestünden noch Zweifel an der Wirtschaftlichkeit der Kernfusion. Diese würden beseitigt, wenn sich etwa ein Unternehmen der Energiewirtschaft an dem Projekt massiv wirtschaftlich beteilige.

PDS: Mit der Partei des demokratischen Sozialismus ist Iter nicht zu machen. Sie hält die Kosten und Sicherheitsfragen für ungelöst: "All diese und weitere Bedenken sind für uns Grund genug, der Kernfusion höchst kritisch gegenüberzustehen und einen mittelfristigen Ausstieg aus der Forschung anzustreben", so Angela Marquardt im Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technologiefolgeabschätzung im Juni vor dem Deutschen Bundestag.

Hier dürfte das politisch heikle, weil emotional vorbelastete Wort "Kern" in der Kernfusionsforschung Abneigungen im Lager und Umfeld der Kernkraftgegner wecken und dafür sorgen, dass feste, konträre Positionen bezogen werden.

Allerdings ist es angesichts des beschlossenen Ausstiegs aus der Kernenergie durch die rot-grüne Regierungskoalition höchst erstaunlich, dass alle Fraktionen Forschungen zur Kernkraft und zur Sicherheit von Kernkraftwerken einhellig begrüßen. Das Argument: Während der Ausstiegsphase und danach sollen deutsche Wissenschaftler weiter in Sicherheitsfragen kompetent bleiben und international mitreden können.

Teilt die Raumstation das Schicksal des Cargolifters?

Auch in punkto Weltraumforschung und anderen Großprojekten sind die Positionen der Parteien nicht sonderlich weit voneinander entfernt. Es gibt eben keine fundamentale liberale, soziale, christdemokratische oder grüne Position zu Nanotechnologie, zur Grundlagenforschung in der Teilchenphysik, zu Weltraumteleskopen. Diese Forschungszweige werden einhellig begrüßt. Ohnehin sind die meisten Großprojekte in diesen Bereichen in internationalen Rahmen eingebunden und durch langfristige Verträge gesichert. Regierungswechsel werden daran nichts ändern. Unliebsame Überraschungen drohen indes durch Fehlkalkulationen und Budget-Überschreitungen, wie der Fall der Internationalen Raumstation ISS auf drastische Weise zeigt.

Besonders betroffen davon sind die wichtigsten Nutzungsmöglichkeiten der Raumstation: langfristige Mikrogravitations-Forschungsprojekte im Orbit. Heftige Erdenschwere holt sie unsanft auf den Boden der Tatsachen zurück. Kostenüberschreitungen der Nasa beim Aufbau der ISS in Höhe von 4,8 Milliarden Dollar haben den US-Senat und den Präsidenten George W. Bush auf die Bremse treten lassen. Zudem liegt das Volumen industriefinanzierter Forschungsaufträge in der Station weit hinter den Erwartungen. Das geplante Wohnmodul auf der Raumstation fiel nun Sparmaßnahmen zum Opfer. Damit werden sich auch künftig nur drei Astronauten – und nicht, wie ursprünglich vorgesehen, sechs bis sieben – permanent auf der Raumstation aufhalten können.

Doch damit, so sagen Kritiker, steht der Sinn des teuren Unternehmens insgesamt in Frage. Denn zwei Personen sind mit dem Management der Station von den Ausmaßen eines Containerschiffs bereits im Normalbetrieb voll ausgelastet. Gibt es Pannen zu beheben, wird auch noch das weitere Händepaar gefordert. Die ISS wäre dann vielleicht in punkto Psychologie erkenntnisträchtig. Nicht so sehr hingegen in den projektierten umfangreichen Forschungsprogrammen beispielsweise über das Verhalten von Kristallen und Werkstoffen im Zustand minimaler Gravitation.

Folgt also die Raumstation – auf höherem Niveau – dem Schicksal des Cargolifters? Die 14 beteiligten Nationen sehen angesichts des Platzmangels ihre eigenen Missionen und somit den Sinn ihres Engagements in Frage gestellt. Mit einem Anteil von 1,1 Milliarden Euro trägt Deutschland die Hauptlast unter den nichtamerikanischen Projektpartnern. Aufgrund der prekären finanziellen Situation der Nasa sperrten die europäischen Forschungsminister auf der jüngsten Ratstagung der Europäischen Raumfahrtbehörde Esa in Edinburgh sechzig Prozent der für die ISS-Forschung vorgesehenen Mittel.

Die Situation ist konfliktträchtig – doch in diesem und anderen internationalen Großprojekten, die über mehrere Legislaturperioden laufen, herrscht weitgehend Einigkeit in unserer Parteienlandschaft. Raumfahrt ist einfach so schick, dass sich fast alle dazu bekennen. Sogar die eher durch Hightech-Skeptizismus ausgezeichneten Bündnisgrünen mögen nicht so richtig dagegen sein. Denn mit an Bord ist für die Grünen ein Projekt zur Optimierung von Solarkollektoren im schwerelosen Raum. Und für die PDS ist trotz einiger Kritik durch PDS-Sprecher ("Rot-Grünes Prestigeprojekt") die Teilnahme der einst führenden Raumfahrtnation Russland an der ISS offenbar Grund genug, nicht weiter zu opponieren.

Am Firmament wird sich die Sache also schon richten, weil sich auf Erden alle einig sind. "Die Deutschen lieben Astrophysik und Kosmologie – weil sie den Alltag nicht verändern", sagt Hubert Markl. Doch wenn es um Gentechnik, Kernfusion und andere brisante Themen geht, bläst der Forschung der von Bedenkenträgern entfachte kalte Wind ins Gesicht. Statt Offenheit und Zuversicht, verbunden mit einer gesunden Skepsis, dominieren heute Vorurteile und Misstrauen das öffentliche Meinungsbild.

"Ein Klima der Unvernunft" nannte Englands Premier Tony Blair kürzlich die verbreitete technologiefeindliche Hal-tung, die einige europäische Forschungsstandorte lähmt. An Börsen wird auf die sensible Psychologie der Märkte Rücksicht genommen. Kritik und düstere Prognosen haben noch keinen Aufschwung zuwege gebracht, weiß man hier schon länger. Wie es scheint, hat sich noch nicht die Erkenntnis durchgesetzt, dass dies auch für die Forschung gilt.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2002, Seite 96
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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