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What Remains to be Discovered. Mapping the Secrets of the Universe, the Origins of Life, and the Future of the Human Race.

Martin Kessler Books / The Free Press, New York 1998. 434 Seiten, $ 26,–.

Zur Jahrtausendwende ist es modisch geworden, ein Ende der Wissenschaft zu verkünden. Das Wesentliche sei erforscht, und der Rest bleibe unergründlich, meinte zum Beispiel John Horgan in seinem Buch „An den Grenzen des Wissens“ (Spektrum der Wissenschaft, November 1997, Seite 138). John Maddox, langjähriger Herausgeber der hochangesehenen britischen Fachzeitschrift „Nature“, ist anderer Meinung und begründet das auf eindrucksvoll sorgsame Weise.

Maddox teilt seinen Rechenschaftsbericht und die daraus abgeleiteten Zukunftsaussichten in drei Teile: die Geheimnisse der Materie und ihrer Kräfte, die Frage nach dem Beginn organischen Lebens und die Zukunft der menschlichen Gesellschaft. Als erfahrener Wissenschaftsjournalist wählt er eine einfache, aber keinesfalls oberflächliche Sprache. Der Faustregel folgend, daß jede mathematische Gleichung und sogar schon eine etwas kompliziertere chemische Formel den Absatz eines Buches um zehn Prozent drückt, bleibt er bei der Prosa, die er nur mit wenigen einfachen Skizzen anreichert. Aber 50 Seiten Kommentare und ein gutes Register geben Hinweise und Quellen.

Ein wesentlicher Teil des Buches ist eine meisterhafte Übersicht der zentra-len wissenschaftlichen Entwicklungen unseres ausgehenden Jahrhunderts. Anders als in einem Lehrbuch legt Maddox aber stets besonderen Wert auf die Kritik, die offenen Fragen und Dispute, die Unsicherheiten, Widersprüche und Näherungen in den Theorien und Deutungen. Von dieser Basis leitet er dann die Sammlung ungelöster Probleme als Aufgabe künftiger Wissenschaft ab. Diese Darstellung ist auch für den Nichtfachmann logisch und nachvollziehbar.

In der modernen Physik ist die Suche nach einer Vereinigung der vier elementaren Kräfte untrennbar verknüpft mit einem Verständnis der Entwicklung des Weltalls von den hohen Temperaturen des Urknalls bis heute. Ausführlich schildert Maddox die heute drängendste Frage: Wie ist die Schwerkraft in die Vereinigung der übrigen Fundamentalkräfte (starke, elektromagnetische und schwache Wechselwirkung) einzubeziehen? Selbst die Situation der Quanten-Chromodynamik mit ihren Vorhersagen noch nachzuweisender Teilchen und die reichlich ungewohnte Mathematik vieldimensionaler strings weiß er auf einfache Weise darzustellen.

Hier kommt ihm seine jahrzehntelange Erfahrung als Wissenschaftsjournalist zugute. Er beherrscht das, was dem aktiven wissenschaftlichen Experten meist schwerfällt und ihn als Spezialisten seiner Zunft häufig dem Spott oder gar der Verachtung der Kollegen aussetzt.

Leben erscheint uns Lebenden als eine natürliche Selbstverständlichkeit. Eindringlich demonstriert Maddox in seinem zweiten Abschnitt, daß es alles andere als selbstverständlich ist. Die Entstehung großer Biomoleküle ist so unwahrscheinlich, daß sie auch in den riesigen Zeiträumen der Erdgeschichte kaum durch schieren Zufall stattgefunden haben kann. Es muß also Prinzipien einer optimalen Vervielfachung solcher Moleküle geben. Maddox holt wieder weit aus, schildert Charles Darwin und seine streitbaren Zeitgenossen, erläutert die Entdeckung der Doppelhelix und endet bei der Erforschung des menschlichen Genoms und den zugehörigen Problemen.

Der dritte Abschnitt schildert den Bau unserer Gehirne, „unsere größte Erfindung“, die Mathematik – und wie wir mögliche Katastrophen der Zukunft verhindern könnten. Bleibt unsere mathematische Beschreibung von Raum und Zeit noch tragfähig? Wie werden zukünftige Auseinandersetzungen über Landwirtschaft, Umwelt- und politische Fragen mit einer wissenschaftlichen Basis zu lösen sein?

Ein großer Strom der Forschung ist geflossen. Maddox belegt, daß dieser Strom stetig weiterfließen kann. Das Buch fasziniert den interessierten Leser durch seine Konzentration auf die Grundlagen, bis tief in die Naturphilosophie und die Erkenntnislehre. Kaum geschildert werden die experimentellen Methoden; dabei sind zum Beispiel die großen astronomischen Fernrohre oder die bis in atomare Dimensionen tastenden neuen Mikroskope letztlich die einzigen Mittel, um über die Gültigkeit einer Theorie oder Vermutung zu entscheiden.

Noch wertvoller als der Ausblick in künftige Forschung mag manchem Leser die Synopsis des in diesem Jahrhundert Geleisteten erscheinen. Das Buch faßt mit großem Wurf die wesentlichen Resultate besonders der letzten Jahrzehnte zusammen und beschreibt Aktionen wie Akteure. Unter den Heerscharen der amerikanischen Gelehrten und vieler Engländer und Franzosen taucht ein einziger zeitgenössischer Deutscher auf; ein bedenklicher Befund, der nicht nur sprachliche Gründe hat!

Forschung und Neugier werden also weiterleben, von einem Ende kann keine Rede sein. Der Auftrag an die Grundlagenwissenschaften ist aus diesem Buch klar zu erkennen. Nur bezweifle ich, daß die Gesellschaften des kommenden Jahrhunderts hinreichend vorgebildet, informiert und großzügig mit ihren Steuermitteln sein werden. Eine alternde und

vielköpfigere Menschheit mag anderen Problemen Vorrang geben. Die Abwendung des derzeitigen Nachwuchses von den schwierigen und weniger lukrativen Natur- und Ingenieurwissenschaften und das erschreckende Anwachsen des Aberglaubens stimmen nachdenklich. Deshalb lese man John Maddox, auch wenn sein Buch anspruchsvoll und ein wenig anstrengend ist.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1999, Seite 117
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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