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Wie Killerzellen scharf gemacht werden

Als eine Art Schutzpolizei des Immunsystems zerstören cytotoxische Lymphocyten gezielt infizierte, entartete oder körperfremde Zellen. Ein umstrittenes neues Modell zu ihrer Aktivierung hat nun die Nagelprobe im Experiment bestanden.


Polly Matzinger, streitbare Immunologin am US-Nationalinstitut für Allergien und Infektionskrankheiten in Bethesda (Maryland), hat sich den Ruf einer Bilderstürmerin erworben, die mit Vorliebe altehrwürdige Gedankengebäude zum Einsturz bringt. So wie sie in ihrem Auftreten Konventionen ignoriert und bei Fachtagungen etwa in Hausschuhen erscheint, hinterfragt sie respektlos etablierte Vorstellungen, deckt deren logische Mängel und Inkonsistenzen auf, und setzt ketzerische neue Ideen dagegen. Aufsehen erregte sie vor fünf Jahren mit einem Übersichtsartikel, in dem sie eine Reihe revolutionärer Konzepte zur Immunologie aufstellte ("Annual Review of Immunology", Band 12, Seiten 991 bis 1045, 1994). Eine ihrer provozierenden Thesen, einen neuen theoretischen Ansatz zur Aktivierung cytotoxischer T-Zellen (Killerzellen), konnte ihre Arbeitsgruppe nun auch experimentell beweisen ("Nature", Band 393, Seite 474).

Zweischneidiges Schwert


Zur Bekämpfung von Infektionen verfügt das Immunsystem über zwei Typen von spezifischen Abwehrzellen: B- und T-Lymphocyten. Dabei sind die B-Zellen vor allem für die Produktion spezifischer Antikörper zuständig, die sich gegen frei zirkulierende Invasoren richten – etwa Bakterien. Den T-Lymphocyten obliegt es dagegen (unter anderem), solche Eindringlinge aufs Korn zu nehmen, die sich – wie etwa Viren – im Inneren körpereigener Zellen einnisten. Dies ist die ungleich heiklere Aufgabe, und so gibt es gleich zwei Gruppen von T-Lymphocyten, die sich darin teilen: die Helfer- und die Killerzellen.

Letztere zerstören gemäß ihrem Namen körpereigene Zellen, die von einem Krankheitserreger befallen sind, oder auch fremdes Gewebe, etwa von einem transplantierten Organ. Jeder Irrtum dabei wäre fatal und muß unbedingt vermieden werden (anderenfalls kommt es zu Autoimmunerkrankungen wie Diabetes, multipler Sklerose oder Rheuma). Als Sicherung hat sich deshalb ein kompliziertes Netzwerk von Abhängigkeiten der verschiedenen Immunzellen voneinander entwickelt.

So müssen Helfer- und Killerzellen erst einmal aktiviert werden. Dazu dienen Antigen-präsentierende Zellen, deren wichtigste Vertreter die dendritischen Zellen sind (und nicht, wie früher angenommen, die Makrophagen, die als Freßzellen vor allem Zell- und Gewebereste beseitigen). Sie bieten das in den Körper gelangte infektiöse oder fremdartige Material den T-Lymphocyten in einer Form dar, in der diese es gleichsam als Erkennungsmerkmal des Eindringlings "wittern" können. Dazu verschlingen die dendritischen Zellen den Fremdkörper zunächst, zerschneiden ihn in kleine Bruchstücke (Antigene) und legen diese in ein spezielles Präsentationsmolekül: den Haupthistokompatibilitäts- oder MHC-Komplex (nach englisch main histocompatibility).

Der Antigen-beladene Präsentierteller wandert dann an die Oberfläche der dendritischen Zelle und wirkt dort wie ein komplizierter Schlüssel. Unter den unzähligen T-Zellen im Körper gibt es einige wenige mit passendem Schloß: einem Rezeptor, der beim Kontakt mit dem Fremdstoff-Fragment auf dem MHC-Komplex einrastet. Sie weisen sich dadurch als geeignete Jäger zum Aufspüren und Beseitigen etwa eines Krankheitserregers aus; denn von diesem befallene Zellen tragen gleichfalls Bruchstücke des Eindringlings auf ihrer Oberfläche.

Helferzellen werden bereits durch den bloßen Kontakt mit einer dendritischen Zelle aktiviert, deren Schlüssel zu ihrem Schloß paßt. Sie beginnen daraufhin, sich rasant zu vermehren.

Bei den gefährlicheren Killerzellen hat die Natur dagegen ein zusätzliches Sicherheitssystem eingebaut. Sie müssen, um in Gang gesetzt zu werden, nicht nur mit dem passenden Präsentationskomplex auf einer dendritischen Zelle in Kontakt treten, sondern zusätzlich einen Botenstoff namens Interleukin-2 empfangen. Diesen gibt eine Helferzelle ab, nachdem sie an dieselbe dendritische Zelle angedockt hat. Erst das komplexe Wechselspiel dieser drei Partner schaltet den cytotoxischen T-Lymphocyten an, so daß er nun all jene Zellen vernichtet, auf deren Oberfläche er die Bruchstücke des Krankheitserregers erkennt. Ist dagegen keine Helferzelle mit von der Partie, wenn die Killer- auf eine passende dendritische Zelle trifft, wird sie unwiderruflich stillgelegt – ein Zustand, den man als Anergie bezeichnet.


Kollision zweier Lehrmeinungen


Nach bisher gängiger Lehrmeinung soll die Interaktion zwischen den drei Zellen tatsächlich gleichzeitig stattfinden. Polly Matzinger hat diese Vorstellung in dem erwähnten Übersichts-Artikel massiv kritisiert. Zum einen ist inzwischen bekannt, daß Killerzellen bei geeigneter Stimulation durchaus auch von sich aus Interleukin-2 produzieren können. Vor allem aber monierte die kritische Immunologin, daß das Zusammentreffen der drei verschiedenen Zellen höchst unwahrscheinlich sei.

Dazu muß man wissen, daß T-Lymphocyten ausgesprochene Vagabunden sind. Auf der Suche nach Infektions-Orten oder aktivierenden dendritischen Zellen wandern sie unablässig von äußeren Körperregionen in lymphatische Gewebe hinein und lassen sich danach vom Blutstrom wieder in die Peripherie befördern. Auch die dendritischen Zellen sind nicht ortsfest; sie verharren nur solange unbeweglich in peripherem Gewebe, bis ein Krankheitserreger in ihrer Nähe in den Körper eindringt. Nachdem sie diesen verschlungen haben, kriechen sie in nahegelegene Lymphknoten, um T-Zellen die Bruchstücke ihrer Beute zu präsentieren. Man kann sich leicht vorstellen, daß die Wahrscheinlichkeit, irgendwo zur selben Zeit Helfer-, Killer- und dendritische Zellen mit zueinander passenden Schlüsseln und Schlössern anzutreffen, sehr gering ist.

Polly Matzinger vertrat deshalb die Ansicht, daß die Wechselwirkung der drei Partner in Wahrheit nicht gleichzeitig stattfinde, sondern nacheinander an unterschiedlichen Stellen. Demnach sollte die dendritische Zelle zuerst mit einer passenden Helferzelle zusammentreffen und dabei in einen aktivierten Zustand versetzt werden. Nach dem Lösen der Verbindung zum Helferlymphocyten könnte sie dann selbständig nach der passenden Killerzelle suchen, um sie nun im Alleingang scharf zu machen.

Diese zunächst rein theoretisch abgeleitete Vermutung konnte Polly Matzinger nun auch experimentell beweisen. Ihr Team impfte Weibchen eines Maus-Inzuchtstammes mit Milzzellen männlicher Tiere und brachte sie so dazu, in großen Mengen Killerzellen zu produzieren, die ein für männliche Mäusezellen spezifisches Protein – das sogenannte H-Y-Antigen – erkennen. Diese wurden aber erst isoliert, nachdem die Immunreaktion abgeklungen war, so daß sie wieder im inaktiven Zustand vorlagen. Anschließend gaben die Forscher sie zu männlichen Zellen im Reagenzglas und prüften, unter welchen Bedingungen sie ihre tödliche Wirkung entfalteten. Für sich allein blieben die Killer harmlos. Dagegen zerstörten sie die männlichen Zellen, wenn sowohl dendritische als auch Helferzellen mit den passenden Oberflächenstrukturen zugegeben wurden. Soweit stimmten die Versuchsergebnisse auch mit den bisherigen Vorstellungen überein.

Um ihre neue Theorie zu prüfen, führte Polly Matzinger den Versuch jedoch auch in abgewandelter Form durch. Sie inkubierte dendritische Zellen zwölf Stunden lang mit passenden Helferzellen und trennte sie dann wieder von ihnen ab. Wenn die so vorbehandelten dendritischen Zellen im Reagenzglas (in vitro) mit den Killerzellen zusammengebracht wurden, vermochten sie diese nunmehr auch für sich allein zu aktivieren. Zum Vergleich führte Polly Matzinger denselben Versuch mit nicht vorbehandelten dendritischen Zellen aus; erwartungsgemäß blieben die Killerzellen untätig. Die gleichen Resultate wurden schließlich auch an intakten Mäusen (in vivo) erzielt.

Dies ist ein klarer Beweis für Polly Matzingers neues Modell. Als entscheidend für die Aktivierung einer dendritischen Zelle erwies sich ein als CD40 bezeichneter Rezeptor auf deren Oberfläche. Normalerweise wird er durch CD40-L stimuliert: ein komplementäres Molekül, das sich auf Helferzellen befindet. Doch konnte Polly Matzinger die Helferzellen auch durch Antikörper ersetzen, die sich spezifisch an den CD40-Rezeptor heften; sie vermochten die dendritischen Zellen ebensogut zu aktivieren. Denselben Befund erhielten unabhängig davon zwei andere Arbeitsgruppen ("Nature", Band 393, Seiten 478 und 480).

Worin die Veränderung besteht, die mit der Aktivierung der dendrititschen Zellen einhergeht, ließ sich bisher freilich nicht klären. Fest steht nur, daß es nicht die verstärkte Produktion sogenannter kostimulatorischer Moleküle oder spezieller Cytokine durch die dendritischen Zellen ist.

Daß Polly Matzinger den Beweis für eine ihrer kontroversen Thesen erbracht hat, läßt auch die anderen glaubwürdiger erscheinen. Zwar war es frech, alte Zöpfe abzuschneiden, ohne mehr als den gesunden Menschenverstand als Rechtfertigung anführen zu können. Doch der Erfolg sanktioniert das Vorgehen; und so ist an die Stelle vereinzelten Naserümpfens allgemeine Bewunderung für die Weitsicht der Forscherin getreten. Mit Spannung werden deshalb die nächsten Arbeiten aus ihrem "Geisterlabor" erwartet, wie sie es selber nennt.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1999, Seite 14
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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